Wien:Metropole des Morbiden

Lesezeit: 3 Min.

"Der Tod, das muss ein Wiener sein", heißt es in einem Lied von Georg Kreisler. Das besondere Verhältnis der Wiener zum Sterben spiegelt sich an vielen Orten in der Stadt.

Zu Allerheiligen und Allerseelen Anfang November strömen die Wiener auf den Zentralfriedhof im elften Bezirk in Simmering. In Massen besuchen sie dann die Ruhestätten ihrer verstorbenen Angehörigen. Eine "Gräberrallye" mit Volksfeststimmung: Kinder mit Luftballons und Zuckerwatte hüpfen vor den Grabsteinen, ältere Damen im Pelzmantel schleppen riesige Chrysanthemen-Gestecke.

Österreich
:Die Wiener und der Tod

Das besondere Verhältnis der Wiener zum Tod zeigt sich an vielen Orten in der Stadt.

Diese Grabseligkeit der Wiener zu beobachten, macht den Besuch des mit 330.000 Grabstellen gigantischen Friedhofs zur Besonderheit. Fast zur Nebensache geraten dann die Berühmtheiten der Ehrengräber: Brahms, Strauß, Beethoven oder der 1998 zu Grabe getragene Musiker Falco haben hier ihre letzte Ruhestätte erhalten. Sein wie eine transparente CD geformtes Grab versinnbildlicht eine neue Friedhofsästhetik: Fast alles scheint erlaubt - egal, ob es gefällt.

Gleichwohl wird den Großen gerade in Wien auf ewig Ehre zuteil, wie schon der Schauspieler Helmut Qualtinger wusste: "In Wien musst' erst sterben, damit sie dich hochleben lassen. Aber dann lebst' lang."

Nach dem Ausflug in der Totenstadt treffen sich die Wiener im nahe gelegenen Restaurant "Schloß Concordia". Bei Kerzenlicht wird eine "tröstliche Kräutersuppe" gereicht, die man sonst auch beim Leichenschmaus bestellt. Es wirkt wie ein Moment ohne Zeit. Die Uhr über dem Eingang ist stehen geblieben - auf fünf vor Zwölf.

Die Habsburger sind in Wien immer noch präsent, auch durch ihren Totenkult. In der Kapuzinergruft stehen ihre Sarkophage fein säuberlich nebeneinander. "12 Kaiser, 17 Kaiserinnen, insgesamt 146 Personen ruhen hier", zählt Pater Felix vom Kapuzinerkloster auf. Am prunkvollsten wirkt die Grablege von Kaiserin Maria Theresia. Sie hatte den mächtigen Metallsarkophag schon Jahre vor ihrem Tod bis ins Detail geplant, verziert mit Schlachtszenen, Kanonen und Schwertern.

Doch Besuchergedränge herrscht nur an einem Grab - dem von "Sisi": Chinesische Touristen fotografieren sich gegenseitig am Sarkophag der österreichischen Kaiserin Elisabeth, die 1898 ermordet wurde.

Am Stephansdom warten die Fiaker auf Kundschaft, um sie durch die Stadt zu kutschieren. Kaum einer der Gäste ahnt, dass sich unter den Hufen der Pferde eine Katakombenwelt mit vielen Grüften auftut. Es mutet schon etwas schaurig an, wenn Domführer Bernhard Erlach beim Gang durch diese Unterwelt erzählt, dass in der Herzogsgruft die inneren Organe der Habsburger in Spiritus eingelegt sind. Und da stehen sie im Regal, schmucklose, verlötete Kupferurnen, alle leicht verstaubt. "Bis 1878 war es Ritus bei den Habsburgern, die Körper der Toten dreizuteilen", erzählt Erlach. "Die Eingeweide kamen in die Herzogsgruft, die Leiber in die Kapuzinergruft und ihre Herzen ins 'Herzgrüftl' in der Augustinerkirche."

Touristen können in Wien dem Tod sogar direkt ins Gesicht sehen: Wer die steile Treppe in die Michaelergruft hinabsteigt, findet in bunt bemalten Holzsärgen die "Luftgselchten", wie der Wiener die luftgetrockneten Mumien nennen. Einige Särge sind geöffnet. Da verstummen die Besucher, als sie auf eine Dame aus dem 18. Jahrhundert blicken: ein Skelett im Rüschenkleid mit Stöckelschuhen und einem Rosenkranz in den behandschuhten Händen. Oder sieht das bekleidete Knochengerüst die Besucher an? "Die Wiener sind eben a bisserl nekrophil", meint Gruftführer Christopher Timmermann.

Die "schöne Leich" war einst in der Kaiserstadt Wien ein Muss. Manche haben für das herrschaftliche Begräbnisritual ein Leben lang gespart. Davon zeugen auch die Exponate im Bestattungsmuseum: mit Gold bestickte Sargtücher, wie Gala-Uniformen anmutende Trauer-Livreen des Personals, Pferdegeschirre mit schwarzen Straußenfedern für den Leichenzug.

Die Pracht der Trauer

Die Pracht der Trauer hat in Wien Tradition. Im Museum sind auch Kuriositäten zu bestaunen, darunter handbemalte Totenschädel und ein mehrfach benutzbarer Klappsarg. Das Bestattungsmuseum will aber auch mit dem Zeitgeist gehen. "Für unser Probeliegen im Sarg stehen die Leute Schlange", erklärt Museumsleiter Wittigo Keller, der auch als Sarg-Designer aktiv ist. Sein Sitzsarg ist ihm zufolge "leicht modifiziert auch als Hausbar einsetzbar".

So komfortabel hatten es die Toten auf dem "Friedhof der Namenlosen" nicht. Ihnen wurde keine "schöne Leich'" zuteil, kein pompöses Begräbnis, noch nicht einmal die letzte Ruhe in geweihter Erde. "Bei uns liegen vor allem Selbstmörder und Verunglückte, welche die Donau wegen eines Wasserstrudels hier anspülte", erklärt Josef Fuchs jr. Wie schon sein Vater und Großvater, betreut er ehrenamtlich den kleinen Friedhof am Stadtrand. Nur wenige Touristen verweilen vor den schmiedeeisernen Kreuzen mit der Aufschrift "Namenlos". Der Tod kann auch ganz still sein in Wien.

Informationen:

Bestattungsmuseum: Geführte Besichtigungen sind nach Voranmeldung werktags zwischen 12.00 und 15.00 Uhr möglich (Tel.: +43 1 501950).

Zentralfriedhof: Seit kurzem können Besucher am Haupttor einen "Audio-Picture-Guide" mit Informationen zu Gräbern und berühmten Verstorbenen ausleihen, die hier begraben sind. Die Leihgebühr beträgt sieben Euro (Tel.: +43 1 760410).

Kapuzinergruft: Auskünfte unter Tel. +43 1 512685316.

Herzgruft Augustinerkirche: Führungen sind nur nach Voranmeldung möglich (Tel.: +43 1 5337099).

Friedhof der Namenlosen: Auskünfte gibt es bei Josef Fuchs (Tel.: +43 664 6235664, E-Mail: Josef_Fuchs@gmx.at).

Allgemeine Informationen: Wien Tourismus, Albertinaplatz, A-1010 Wien (Tel.: +43 1 24555, http://www.wien.info).

© Daniela David, dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: