Whistler:Der Traum von Olympia

Echte Visionäre sorgten vor fast 50 Jahren dafür, dass in einem entlegenen Winkel British Columbias der Grundstein für das größte Skigebiet Nordamerikas gelegt wurde.

Verena Wolff

Alles begann mit einem Traum. Vier skibegeisterte Geschäftsmänner aus Vancouver besuchten 1960 die Olympischen Winterspiele im amerikanischen Squaw Valley. Was sie da in Kalifornien sahen, begeisterte sie - und sie wollten nichts mehr, als einen Ort in der kanadischen Provinz British Columbia zu finden, den sie ausbauen konnten, um die Winterolympiade 1968 zu holen.

Whistler: Alle Wege führen nach Whistler: Die meisten Pisten enden mitten im Dorf.

Alle Wege führen nach Whistler: Die meisten Pisten enden mitten im Dorf.

(Foto: Foto: CTC)

Ihre Suche führte sie schließlich an den Alta Lake, Anfang der sechziger Jahre noch fast eine Tagesreise nördlich von Vancouver. Nur ein Zug fuhr dort hin und statt einer Straße gab es eine Schotterpiste. Zwei Berge standen da, die sich für einen Skizirkus bestens eigneten - vor allem der London Mountain schien den Unternehmern optimales Terrain zu sein. Den Berg benannten sie um in Whistler Mountain wegen der zahlreichen Murmeltiere, die dort lebten und deren Pfeifen ständig zu hören war.

Wintersportler und Sommerfrischler

Franz Wilhelmsen und die anderen Geschäftsleute gründeten das Unternehmen Garibaldi Lifts Limited und überlegten sich, wie man Whistler Mountain zu einem international bekannten Skigebiet ausbauen könne.

Aus der schnellen Verwirklichung des Traumes Olympia wurde zwar zunächst nichts. Doch im Februar 1966 wurde schließlich das Skigebiet eröffnet: mit einer Gondel, einem Sessel- und zwei Schleppliften. Sogar eine Straße von dem etwa 50 Kilometer südlich gelegenen Ort Squamish war in der Zwischenzeit gebaut worden - Skibegeisterte konnten also auch aus Vancouver ohne große Probleme anreisen.

Anfang des 20. Jahrhunderts hatte der Tourismus in der Region mit Sommerfrischlern begonnen, die wegen der schönen Seen, der vielen Fische und der Landschaft kamen. Zwar richtete die Eisenbahn schon 1914 eine Strecke an den Alta Lake ein, doch eine Entwicklung des dann umbenannten Ortes Whistler begann erst mit den Geschäftsleuten aus Vancouver.

Whistler ist ein Reiseziel für alle Jahreszeiten, die Zahl der Sommer- und Wintergäste hält sich in etwa die Waage. Wo winters Skifahrer ihre Spuren ziehen, toben sich in den warmen Monaten die Mountainbike-Fahrer aus. Gemäßigtere Outdoor-Enthusiasten gehen Angeln, Schwimmen, Bootfahren, Wandern oder Golfen.

Noch ein Berg

In den siebziger Jahren traf man in Whistler zwei wichtige Entscheidungen: der Ort wurde zur Stadt und man beschloss, den benachbarten Blackcomb Mountain ebenfalls zum Skigebiet auszubauen.

Whistler kaufte Eldon Beck ein, der bereits den amerikanischen Nobel-Skiort Vail in Colorado entworfen hatte - er sollte das Skidorf planen, das am Fuß der beiden Berge entstehen sollte. Denn bislang gab es nur einige Häuseransammlungen an den Seen, in Creekside und Alpine Meadows. Beck stylte den Ort durch - ein europäisch angehauchtes Städtchen entstand, mit einigen verwinkelten Gassen, Natursteinen und viel Holz; autofrei, mit einer langen Fußgängerzone.

Rechts und links davon Shops, Hotels, Spas und ein paar Wohnungen. Und: alle Wege führen in Whistler zu den Gondel-Talstationen der Whistler und Blackcomb Mountains. Wer vom Berg kommt, kann mit seinen Skiern oder dem Snowboard direkt in den Ort fahren und muss nur ein paar Schritte zu seinem Hotel zu laufen. Oder in die nächste Bar.

Neu aufgestellt wollte es Whistler noch einmal wissen und bewarb sich abermals um die olympischen Winterspiele 1976. Doch auch der zweite Versuch schlug fehl, Innsbruck erhielt den Zuschlag. Beim dritten Anlauf schließlich hat es geklappt. Whistler, inzwischen kein Skidorf mehr, sondern ein Ort von wahrhaftem Weltrang bei Alpinisten, wurde zusammen mit Vancouver Gastgeber der Olympischen Winterspiele 2010.

Ein außergewöhnlicher Ort

Heute kann Whistler mit Superlativen aufwarten: Der Ort wird seit Jahren immer wieder zum beliebtesten Skigebiet Nordamerikas gekürt. Sportler schätzen die grandiosen Pisten, den federleichten Schnee und die schnellen Lifte. Zehn Meter der weißen Pracht fallen im Winter durchschnittlich auf die Berge - im Tal sind es gut vier Meter. Die Temperaturen sind dabei moderat: Der durchschnittliche Wert liegt im Winter zwischen minus acht und drei Grad plus, in den Sommermonaten zeigt das Thermometer deutlich über 20 Grad.

Whistler: In Whistler wird der Weg zur Gondel von  Geschäften und Restaurants gesäumt.

In Whistler wird der Weg zur Gondel von Geschäften und Restaurants gesäumt.

(Foto: Foto: CTC)

Unermüdlicher Helfer Mountain Host

"Die Schneegötter mögen unsere Berge", sagt Steve. Er ist einer der zahlreichen Mountain Hosts, die an vielen Bergstationen der 38 Liftanlagen stehen und den Gästen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Die Freiwilligen kennen Geschichten aus und über Whistler, sie erklären das System der Bowls und der zugehörigen Abfahrten. Denn auch das ist eine Besonderheit der durchdesignten Berge: Die einzelnen Kessel (Bowls) tragen unterschiedliche Namen - und die Bezeichnungen der Pisten nehmen diese Namen auf. Beispiel: In der Symphony Bowl am Little Whistler Peak befinden sich Abfahrten mit so klangvollen Namen wie Adagio Run, Staccato und Glissando Glades, Encore (Zugabe) Ridge oder Jeff's Ode to Joy, die Ode an die Freude. "Man weiß also immer, wo man ist", sagt Steve.

Mehr als 200 Abfahrten gibt es auf beiden Bergen - und die Lifte können mehr als 61.000 Skifahrer befördern. Pro Stunde. Etwa zwei Millionen Touristen werden pro Winter gezählt. In der Weite des Gebietes merkt man trotzdem nicht viel davon. Es gibt sogar häufig Pisten, auf denen man auch am Wochenende und sogar in Ferienzeiten ganz allein unterwegs ist.

Sowohl auf dem Whistler als auch auf dem Blackcomb sind einige Abfahrten mehr als elf Kilometer lang. "Wer es geschickt anstellt, kann morgens auf den Berg fahren und braucht bis mittags keinen Lift mehr", so der Mountain Host. Und genau das ist es, was die zahlreichen Gäste aus Europa an Kanadas größtem Skigebiet lieben: "Mehr Ski- und weniger Liftfahren", sagt Melanie Beyer, die schon zum dritten Mal nach Whistler gekommen ist.

Von den Skiern in den Schnee

Auch vom Rahmenprogramm ist sie begeistert: "Man kann Langlaufen und Schneeschuhwandern, Eisklettern, mit dem Hundeschlitten oder einem Schneemobil durch unberührte Landschaften fahren, Bungeejumpen oder auf Gummireifen die Berge hinuntersausen", sagt die 32-Jährige. Und dann ist da noch das Partydorf Whistler - "in den Kneipen und Pubs rund um die Talstation steppt jeden Abend der Bär".

Im Skigebiet ist ebenfalls für jeden etwas dabei: Der Großteil der Pisten ist blau, im nordamerikanischen System sind das die mittelschweren (intermediate) Abfahrten. Etwa ein Fünftel der Runs ist grün, also anfängergeeignet, und 30 beziehungsweise 25 Prozent (Blackcomb bzw. Whistler) der Pisten sind schwarz.

Dann gibt es da noch die Runs für die wirklichen Experten - sie tragen einen schwarzen "Double-Diamond" und sind nur für hervorragende Fahrer mit Hang zum Nervenkitzel geeignet. Solche Pisten tragen meist bezeichnende Namen, "Coffin" etwa, Sarg - und das nicht ohne Grund. Es geht fast senkrecht nach unten, zwischen schroffen Felsen hindurch und ohne jeden Halt.

Nichts für Ängstliche ist auch der neueste Rekord, den Whistler aufgestellt hat: Seit vergangenem Winter verbindet die längste frei schwebende Gondelbahn der Welt die 4,5 Kilometer voneinander entfernten Gipfel des 2182 Meter hohen Whistler und des 2440 Meter hohen Blackcomb. In 436 Metern Höhe schwebt die "Peak2Peak-Gondola" über dem Tal. Drei Kilometer legt sie zwischen den beiden Bergen zurück, ohne dabei einen Stützpfeiler zu passieren.

Wem das noch nicht spannend genug ist, reiht sich im Wartehäuschen nicht in die normale Schlange ein, sondern wartet auf eine der gelegentlich einfahrenden silbernen Gondeln. Denn in denen hat man den totalen Überblick zu allen Seiten: Sie haben einen Glasboden.

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