Weltraumtourismus:Kopf gerade vor dem Saturn!

Im Space Center Bremen kann man in einer Achterbahn durch eine fiktive Galaxie sausen. Man kann in einer Star-Trek-Inszenierung mitwirken und Raketenstarts im Abendhimmel erleben. Das Problem: Bei beschleunigter Reiz-Überflutung bleiben weder Raum noch Zeit, den eigentlichen Sinn des Themenparks zu erfassen.

Von Jan-Frederik Valentin und Jörg Walser

Für den Besucher sind es nur ein paar kleine Schritte. Aber sie sollen genügen, ihn auf den Weg zum Mond bringen. Rechts und links ragen schrankgroße Material- und Instrumentenkästen auf, allesamt mit Temperaturangaben weit unter Null. Das Licht wird blau, der Lärm gewaltig. Wenn du hier bist, liegt die Erde hinter dir, soll das virtuelle Habitat einer Raumstation suggerieren.

Moon

Perfekte Raumstation? Der Mond sei die beste Abschussrampe, sagen Astronauten. Um die Besucher davon zu überzeugen, hat das Space Center "Destination Moon" drehen lassen.

(Foto: Foto: Space Center)

Wenn du hier durch bist, befindest du dich schon halb in der Zukunft. Jedenfalls wirst du erkennen, wo sie liegen muss: auf dem Erdtrabanten, der, sechsmal kleiner und gravitationsärmer als die Erde, eine ideale Abschussinsel für alle weiteren Weltraumfahrten abgäbe.

Schneller als George W.

Wolfgang Wilke ist von der Idee aufrichtig begeistert. "Erst gerade hat Präsident Bush angekündigt, dass es keine bessere Raumstation geben könne als den Mond", sagt der Geschäftsführer des Bremer "Space Center". Und: Er habe das schon vor Bush gewusst. Deshalb habe er "Destination Moon" drehen lassen, einen computergenerierten Film über einen Mondspaziergang. Deshalb habe das Space Center auch den "Galaxie Express" in diesen Raum gebaut: "Sie besteigen gleich auf dem Mond ein Raumschiff, um durchs Weltall zu jagen", sagt Wilke. "Vor dem Saturn den Kopf gerade halten!"

Tatsächlich sitzt der Gast, nachdem er 22 Euro Eintritt bezahlt hat, dann in einer ziemlich normalen Achterbahn. Ohne Loopings. Vor jeden Sitz ist dafür ein Monitor geschnallt, auf dem binnen eineinhalb Minuten farbenprächtige Bilder ineinanderrasen: vom Jupiter, von der Sonne, bei einer schneidigen Linkskurve auch vom Saturn. "Wir hatten überlegt, bei der Anfahrt auf die Sonne die Sitze zu beheizen", sagt Wilke. "Aber das wäre dann doch zu aufwändig gewesen."

Am Aufwand, das ist auf jedem der 22 000 Quadratmeter des Ende Februar eröffneten Space Center spürbar, haben die Planer ansonsten aus Prinzip nicht gespart: Im "Space Shot" werden die Besucher 65 Meter gen Himmel geschossen, um das Gefühl eines Raketenstarts nachzuerleben.

In der Europapremiere der Attraktion "Star Trek Bog Encounter" sollen sie sich sogar fühlen wie aufrechte Akteure der Paramount-Picture-Filmserie. Hundert Millionen Euro haben die Investoren in die Ausstattung von "Europas größtem Indoor-Erlebnispark" gesteckt, und "inzwischen", versichert Wilke, kämen auch so viele Besucher wie erwartet.

Kopf gerade vor dem Saturn!

Eine Risikoinvestition ist das Bremer Space Center dennoch. Sie wurde getätigt in dem Glauben, dass sich die Deutschen zusehends von echtem Urlaub ab- und dafür künstlichen Welten zuwenden. Der Hamburger Freizeitforscher Horst Opaschowski hat solche Erlebnisparks bereits den Titel "Kathedralen des 21. Jahrhunderts" verliehen, der umstrittene Schweizer Bestseller-Autor Erich von Däniken gibt als Losung aus, die Menschen würden in diesen Kathedralen wieder "das Staunen lernen".

Space Shot

Wo geht's nach oben? Im "Space Shot" zur Linken werden die Besucher 65 Meter gen Himmel befördert. Die Ariane-4-Rakete rechts daneben ist dagegen nur eine Attrappe, wie vieles im Bremer Themenpark.

(Foto: Foto: Space Center)

Ein paar Brösel Mondgestein

Die Auswahl an Kunstwelten, in denen Urlauber nach Vorstellung der Forscher künftig ihre Freizeit verbringen sollen, ist groß. Sie reicht von Ferien- und Themenparks über Musicals und Science Center bis zu so genannten "Brand Lands", in denen große Konzerne aufwändig ihre Produkte inszenieren und mit Shows und anderen Attraktionen dafür werben. In diesen Parks bleibt es bei Dänikens "Staunen"; für Reflexion, wissenschaftliche Neugier und ihre Befriedigung ist weder Platz noch Zeit. Zwar haben die Planer im Bremer Space Center ein paar Brösel Mondgestein und Utensilien von Buzz Aldrin, dem zweiten Menschen auf dem Mond, im Eingangsbereich ausgestellt. "Aber wir haben kein Museum gebaut", erklärt Wilke, "wir wollen die Besucher bei ihren Gefühlen abholen. Wir wollen sie für das Thema Weltraum begeistern."

Als Zielgruppe, die diese Begeisterung im Inneren eines riesigen Komplexes aus Stahl und Glas ausleben möchte, hat Wilke vor allem Familien im Visier, und tatsächlich loben diese vor allem die "Atmosphäre" und das "Erlebnisgefühl", im Space Center. Wie alle anderen Freizeit- und Themenparks auch, müssen sich auf längere Sicht die Bremer Bauherren fragen: Reichen die Attraktionen aus, um Besucher mehr als einen Tag an einem Ort zu halten, um so die Anzahl der Übernachtungen in die Stadt zu steigern? Gelingt es, Reiseveranstalter von der Urlaubsinitiative Kunstwelt zu überzeugen?

Kopf gerade vor dem Saturn!

Denn obwohl Albrecht Steinecke, Fremdenverkehrsgeograph an der Universität Paderborn, beobachtet hat, dass sich "Erlebniswelten in ganz Europa von Tagesausflugs- zu Kurzurlaubszielen entwickeln", geben in Befragungen gerade fünf Prozent der Deutschen an, schon einmal ein Hotelzimmer in einem Freizeitpark gebucht zu haben.

Dabei wächst das Angebot ständig: Nach Prognosen der Dresdner Bank sollen in den kommenden Jahren deutschlandweit allein sieben künstliche Skihallen gebaut werden. Auf "zwei Dutzend" schätzt die Hamburger Unternehmensberatung Wenzel Consulting die Zahl der Science Center, (siehe auch nebenstehenden Artikel) die mittelfristig geplant sind.

Kathedralen vor dem Abriss?

Nicht alle werden wie das Bremer Space Center gleich nebenan ein Hotel errichten. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass viele der neuen Themen- und Freizeitparks Übernachtungsquoten erreichen wie der Europapark Rust im Schwarzwald: Jeder sechste Gast bleibt dort inzwischen länger als einen Tag.

Im Falle des Space Center glaubt indes bisher nur der Veranstalter Berge & Meer an den Erfolg von Drei-Tages-Reisen für Preise ab 99 Euro. So sei es, sagt der Hamburger Carl-Otto Wenzel, "auch schwer vorstellbar, dass die Erlebniswelten einen Einbruch der Urlaubsreisen nach sich ziehen".

Den Abriss ihrer "Kathedralen" müssen die Betreiber deshalb freilich nur selten fürchten. Denn als Ausflugziele, die binnen eines Tages zu erreichen und nach beschleunigter Reiz-Überflutung wieder zu verlassen sind, haben sie gegenüber echten Urlaubsdestinationen einen entscheidenden Vorteil: "Im Tourismus spielen Klischees eine große Rolle", sagt Tourismusgeograph Albrecht Steinecke. "Diese Erwartungen erfüllen künstliche Erlebniswelten perfekt."

Was Steinecke nicht sagt: Klischees sind immer nur halbe Wahrheiten. Und jede Mondfahrt ist deutlich länger und komplizierter, als es das Bremer Space Center suggeriert. Über ihren Nutzen zu diskutieren, ist hier sowieso nicht der Ort.

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