Süddeutsche Zeitung

Weihnachtslotterie in Spanien:Pilgerfahrt ins Glück

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Sort ist ein Dorf in den Pyrenäen, dessen Name "Glück" bedeutet. Und tatsächlich gewinnen die Leute hier besonders häufig in der Weihnachtslotterie.

Gerhard Waldherr

Heute sind die Nummern 75424, 34571 und 35035 im Angebot. Die Lose haben das Format eines kleinen Geldscheins, rechts sind Vermerke wie 102/08, 1a SERIE und 9A FRACCIÓN. Links ist ein Detail des Gemäldes "La Natividad" von Pietro Berretini da Cortona. Es zeigt Maria, Josef und das Jesukind in der Krippe; das Original hängt im Prado. Es sind hübsche Lose, und, wenn es nach Juan und Rosalita geht, sind sie "Gold wert".

Juan und Rosalita, beide Ende sechzig, beide Rentner, sind mit dem Bus aus Barcelona gekommen. Sie machen gerade Zwischenstopp in Sort, gleich geht es weiter. Eine Ausflugstour nach Andorra, wo sie Schnaps und Zigaretten kaufen wollen, vielleicht auch ein paar originelle Weihnachtsgeschenke.

So sind sie auf die Nationalstraße 260 geraten und auf Serpentinen hinein in die zauberhafte Welt der Pyrenäen. Steile Hänge, tiefe Täler, dichte Wälder. Ein schönes, wildes Land. Der Zauberer Fassmann soll hier gelebt haben, und, so sagt man, Clementinaires, weise Frauen, die sich die Magie der Berge zunutze machen, gäbe es noch heute.

Es gibt viele Ausflugstouren in die Pyrenäen, fast jede führt über Sort. Der Ort liegt an einem reißenden Gebirgsfluss, hat 1000 Einwohner, eine Kirche, eine Hauptstraße, ein passables Hotel. Im Sommer kommen Raftingtouristen und Hobbyangler. Die Bewohner gelten als geizig, schweigsam und eigensinnig. Doch um all das geht es nicht.

Sort ist katalanisch und heißt Glück. Und in Sort gibt es die Bruixa d'Or, die Goldhexe, eine Lottoannahmestelle, deren Lose in den vergangenen zehn Jahren fünfmal bei einer der beiden Sonderziehungen der Lotería Nacional den Hauptgewinn plus eine Reihe von größeren Nebengewinnen erzielten.

Deswegen halten die Busse, kommen gerade vor Weihnachten wieder Menschen aus aller Welt, deswegen unken Reporter alle Jahre wieder vom Schicksal und dem "dem Wispern des Windes" zwischen verschneiten Tannen. "Die Leute mögen Geschichten", sagt Xavier Gabriel, Inhaber der Bruixa d'Or, "ein Ort, der Glück heißt und in dem das Glück wohnt, ist eine schöne Geschichte." Umso mehr, wenn es um Historie und Hysterie, fünfstellige Nummern und zehnstellige Geldbeträge geht.

Die Lotería Nacional ist die älteste und größte Lotterie der Welt. Sie wird seit 1812 ausgespielt, bis heute in weitgehend unveränderter Form. Dabei sind 85.000 Lose mit den Nummern 00000 bis 84999 im Umlauf. Von jedem Los existieren 195 Serien, die wiederum unterteilt sind in Zehntel, sogenannte Decimos. Ein Decimo kostet 20 Euro.

Dafür werden sowohl am 22. Dezember beim Sorteo de Navidad, der Weihnachtslotterie, sowie bei El Nino am Dreikönigstag etwa 2,2 Milliarden Euro ausgeschüttet. 75 Euro geben Spanier im Schnitt für beide Ziehungen aus - vom Baby bis zum Greis, denn eine Teilnahme ist quasi Volkssport.

Spielen muss jeder, und wer spielt, muss seine Nächsten an einem Los teilhaben lassen. Decimos über Decimos verteilen sich über Familie, Verwandte, Freunde, Kollegen, Vereinskameraden. Gabriel sagt: "Die größte Angst ist, abseits zu stehen, wenn der Cousin, der Kumpel oder dein Arbeitskollege gewinnt."

"La Bruixa d'Or hace realidad tu deseo", steht am Schalter von Gabriels Laden - "die Goldhexe macht Realität aus deinen Träumen." Und die Menschen glauben tatsächlich, dass sie ihre Hand im Spiel hat, wenn das ganze Land zweimal vor der Glotze sitzt und zuschaut, wie die Kugeln in einer zweieinhalb Meter hohen Lostrommel hüpfen.

Ein kollektiver Aufschrei bei El Gordo

Klickerdiklack, klickerdiklong, und dann verlesen Waisenkinder aus Madrid die Nummer und die Gewinnsumme. Stundenlang geht das so wegen der zahlreichen Preise, unterbrochen von einem kollektiven Aufschrei, wenn El Gordo, auf Deutsch "der Dicke", gezogen wird. Pro Decimo ist er immerhin noch 300.000 Euro wert. Und weil es üblich ist, dass jede Lottoannahmestelle überwiegend alle Serien einer Nummer aufkauft, wird unmittelbar im Anschluss bekannt gegeben, wo das siegreiche Los in Umlauf kam.

Als die Bruixa d'Or 1995 bei El Nino zum ersten Mal den Dicken gewann, posierte Gabriel mit dicker Zigarre, eine goldene Rolex am Handgelenk. Inzwischen hat er angeblich 5000 Interviews gegeben, macht landesweit Werbung, dreht Videos, lässt Songs produzieren.

Die Goldhexe reitet ihren Besen außerdem auf dutzenden "Productos de la Buena Suerte". Die Produkte des Glücks sind Sekt, T-Shirts, Feuerzeuge, Kekse, Kinderbücher. Täglich kommen bis zu 2000 Kunden, vor Weihnachten und um Sylvester sind es bis zu 5000. Gabriel erzählt von Russen, Amerikanern, Chinesen, sogar einem Tibeter; einmal habe ein Hund mit Geldscheinen im Maul Schlange gestanden.

Sie alle hoffen, Sorts Glück möge sich erneut einstellen, auch wenn sie wissen müssten, dass jedes Los, egal von welcher Losbude, die selbe Chance hat: 1:85.000. Dass die Bruixa d'Or häufig zu den Gewinnern zählt, hat seit einigen Jahren einen einfachen Grund. Sie verkauft über den Laden in Sort, ein Call Center und vor allem das Internet Lose im Wert von 110 Millionen Euro jährlich.

Das ist mehr als die Provinzen Kantabrien, La Rioja und Navarra zusammen. Gutes Marketing, sagt Gabriel, wenn man ihn um eine Erklärung bittet. Er habe nur, ergänzt er, nach dem ersten Treffer im richtigen Moment das Richtige gemacht: "Ich verkaufe den Traum von der perfekten Zahl, ich verkaufe ein Illusion, sonst nichts, es gibt kein Glück."

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Quelle:
SZ vom 18.12.2008/beu
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