Süddeutsche Zeitung

Weihnachtschaos bei der Bahn:Wartet nur, s'Züglein kommt bald

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Volle Züge, lange Wartezeiten: Wegen technischer Probleme fährt auf der Strecke Berlin-München bis Sonntag nur jeder zweite ICE.

Wegen winterbedingter Zugausfälle müssen sich Bahnreisende zwischen München und Berlin voraussichtlich noch bis Sonntag auf volle Waggons und Verzögerungen einstellen. Auf der ICE-Strecke zwischen beiden Städten könne in den folgenden Tagen nur die Hälfte der fahrplanmäßig üblichen Züge verkehren, teilte die Bahn in Berlin mit. Als Grund für die Maßnahme nannte ein Unternehmenssprecher "Witterungseinflüsse" auf Triebzüge.

Aussagen des Bahnsprechers für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, Jörg Böhnisch, hatten grundsätzliche Zweifel an der Verlässlichkeit des ICE hervorgerufen. Im Mitteldeutschen Rundfunk sagte er: "Die Fahrzeuge sind nicht so gebaut, dass sie diesen sibirischen Temperaturen standhalten." Damit meinte er Temperaturen von minus 15 bis minus 20 Grad, wie sie am Wochenende in Deutschland herrschten.

Nicht genügend Reservezüge

So seien Abwasser- und Wasserleitungen am Fahrzeugboden nicht gegen Temperaturen von minus 15 oder minus 20 Grad isoliert. "Die Züge sind reihenweise kaputtgegangen, weil wie bei den Eurostar-Zügen dieser trockene Pulverschnee durch die Lüftungsgitter in die Fahrzeuge flutscht und dabei die elektrischen Bauteile in Mitleidenschaft ziehen kann."

Ein Sprecher der Bahn in Berlin erklärte später hingegen, betroffen von den Ausfällen sei lediglich die Neigetechnik-Baureihe, die auf der Strecke Berlin-München eingesetzt werde. Da diese regelmäßig auch auf mögliche Achsschäden kontrolliert werden müssten, stünden derzeit nicht genügend Reservezüge zur Verfügung.

"Mehr als bedauerlich"

Techniker seien rund um die Uhr im Einsatz, um die Züge wieder instand zu setzen. Der Sprecher entschuldigte sich bei den Kunden: "Das ist mehr als bedauerlich in der Hauptreisezeit."

Es sei deshalb entschieden worden, den Takt auf der Strecke vorübergehend auszudünnen und die ICEs dort nur alle zwei Stunden fahren zu lassen. Reisende hätte so zumindest Planungssicherheit. Dies sei besser, als immer wieder unkalkulierbar einzelne Züge zu streichen.

Geld zurück für die Fahrgäste

Die Bahn kündigte an, Passagieren auf der betroffenen Strecke unter anderem mit einer Aufhebung der Bindung von Tickets an bestimmte Züge entgegenzukommen. Wer einen Platz in einem ausgefallenen ICE reserviert habe, erhalte sein Geld zurück, sagte der Sprecher. Bei Verspätungen von einer Stunde gebe es 25 Prozent des Reisepreises zurück, ab zwei Stunden 50 Prozent, hieß es.

Informationen zu den geänderten Fahrtzeiten auf der Strecke Berlin-München gibt es im Internet unter www.bahn.de/aktuell sowie über die Service-Rufnummer der Bahn 01805 - 996633).

Fahrgastverband fordert technisch genaue Erklärung

Mangelnde Transparenz kritisiert der Fahrgastverband "Pro Bahn" Bayern im Umgang der Bahn mit ICE- Ausfällen zwischen München und Berlin: Warum derzeit nur jeder zweite ICE verkehre, habe die Bahn bislang nicht überzeugend erklärt. "Das Verständnis bei den Fahrgästen wäre größer, wenn die Probleme nachvollziehbar dargestellt würden", sagte Sprecher Andreas Barth.

Die Aussage eines Bahnsprechers, jeder Frost sei anders, reiche nicht aus: "Der Frost auf dem Weg von der Wohnung zum Bahnhof ist auch jedes Jahr anders, trotzdem wird immer gestreut." Er wünsche sich stattdessen eine technisch genaue Erklärung. Bereits jetzt sei absehbar, dass bald eine Welle von Beschwerden bei "Pro Bahn" eingehen werde. "Schon im vergangenen Jahr waren die Züge voll", sagt Barth, "das wird durch die Ausfälle nicht besser."

Die Grünen: Fehlplanungen des Konzerns

Der Grünen-Verkehrsexperte Anton Hofreiter warf allerdings der Bahn vor, ihre Kunden hinters Licht zu führen. "Nach internen Informationen aus dem DB-Konzern werden ICEs zwischen Berlin und München keineswegs wegen der Witterung aus dem Verkehr gezogen.

Richtig ist vielmehr, dass die Wartungskapazitäten für die ICEs nicht ausreichen", erklärte Hofreiter in Berlin. Dies sei ein weiterer Beleg für Fehlplanungen des Konzerns.

Der bundeseigene Konzern bedauerte die Einschränkungen, wies aber gleichzeitig darauf hin, dass von 1400 Fernverbindungen täglich derzeit lediglich etwa 20 ausfielen. "Das heißt, über 98 Prozent des Fernverkehrs läuft störungsfrei", betonte ein Sprecher.

Beim ICE T gebe es wegen der Wetterprobleme Fahrzeugengpässe. Sie wirkten sich "bei dieser Baureihe so gravierend aus, weil die Ultraschalluntersuchungen der Achsen nach wie vor zehnmal häufiger durchgeführt werden als vorher und deshalb weniger Reservezüge zur Verfügung stehen als üblich".

Der ICE-Hersteller Siemens nahm zu den Problemen nicht direkt Stellung. Ein Sprecher wies aber auf die Erfahrungen des Unternehmens bei der Konstruktion von Zügen hin, die auch unter Extremtemperaturen fahren. "Gerade erst haben wir den Hochgeschwindigkeitszug 'Sapsan' nach Russland ausgeliefert, der auch sibirischen Temperaturen bis minus 50 Grad standhält", sagte er. Und in Spanien fahre der Hochgeschwindigkeitszug 'Velaro' auch bei Temperaturen bis plus 50 Grad.

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