Süddeutsche Zeitung

Unesco-Kommission:Pfahlbauten sind Weltkulturerbe

Gemeinsam mit anderen Alpenländern nominierte Deutschland Überbleibsel prähistorischer Siedlungen, um sie besser erforschen zu können. Auch das Hamburgische Wattenmeer steht nun unter dem Schutz der Unesco.

Prähistorische Pfahlbauten in Baden-Württemberg und Bayern genießen künftig als Weltkulturerbe besonderen Schutz - im Bild sind die Pfahlbauten in Unteruhldingen am Bodensee zu sehen. Das Komitee der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur stimmte einem Gemeinschaftsantrag mehrerer europäischer Länder zu. Sie hatten insgesamt 111 Pfahlbauten und Relikte prähistorischer Siedlungen für die Weltkulturerbeliste nominiert - sie stammen aus der Zeit von 4300 bis 800 vor Christus. Die Orte sind nun ...

... die ersten archäologischen Unterwasser-Denkmäler mit dem begehrten Welterbe-Titel. Im Antrag aufgeführt sind je zehn Fundstellen am Bodensee und in oberschwäbischen Feuchtgebieten sowie eine Fundstelle im Raum Ulm. Die Siedlungsspuren aus der Stein- und Bronzezeit befinden sich in Seen und Mooren - dort blieben organische Materialien wie Holz, Textilien, Pflanzen und sogar Essensreste erhalten. In der Siedlung Hornstaad-Hörnle - an der Spitze der in den Bodensee ragenden Halbinsel Höri gelegen - ist der älteste Hausgrundriss aus dem Jahr 3915 vor Christus nachweisbar. In Bayern sollen nach Angaben des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege die Roseninsel im Starnberger See sowie jungsteinzeitliche Pfahlbausiedlungen im Landkreis Landsberg am Lech Welterbe werden. Die übrigen Areale sind in Österreich, der Schweiz, Italien, Frankreich und Slowenien zu finden. Von dem Titel verspricht man sich  ...

... eine bessere Erforschung: Denn nur zwei bis fünf Prozent der Pfahlbausiedlungen seien bisher wissenschaftlich untersucht worden. Eingriffe des Menschen wie die Uferverbauung oder der Klimawandel beispielsweise am Bodensee hätten dazu geführt, dass Pfahlbau-Reste freigespült und damit zerstört würden. Auch das Hamburgische Wattenmeer wurde zum Unesco-Weltnaturerbe gekürt ... Pfahlbau-Museums in Unteruhldingen

Der Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer gehört künftig auch zum Unesco-Weltnaturerbe. Das Komitee der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur stimmte in Paris einem Antrag der Hansestadt zu. Das 137 Quadratkilometer große Areal an der Elbmündung ergänzt das bereits bestehende Welterbe mit den Watt-Regionen vor Schleswig-Holstein, Niedersachsen und den Niederlanden. Eigentlich sollte fast das gesamte Wattenmeer bereits 2009 zum Unesco-Weltnaturerbe werden - doch die Hamburger waren aus den Planungen ausgestiegen. Die damalige CDU-Alleinregierung hatte Probleme bei der geplanten Elbvertiefung gefürchtet. Erst im Dezember 2010 hatten sich die Hamburger unter Schwarz-Grün bei der Unesco nachträglich um den Titel beworben - mit Erfolg: Dies ist Hamburgs erster Welterbe-Titel. So steht nun auch ...

... der "Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer" um die Inseln Neuwerk, Scharhörn und Nigehörn als "Weltnaturerbe" auf einer Stufe mit Naturwundern wie den Galapagos-Inseln im Pazifik oder dem Great Barrier Reef vor Australien. Hamburgs Wattgebiet an der Elbmündung (etwa 1,4 Prozent der Welterbe-Fläche an der Nordseeküste) bildete bislang eine Lücke in dem rund 9500 Quadratkilometer großen Gebiet. Dänemark hatte 2005 entschieden, seinen Teil des einzigartigen Küstenstreifens vorerst nicht nominieren zu wollen. Mehr über das Weltnaturerbe Wattenmeer erfahren Sie auf den folgenden Seiten. sueddeutsche.de/kaeb/dpa/dapd

Es ist eine Landschaft wie gemalt und ein Bild, das im Wechsel der Gezeiten mal Land, mal Wasser zeigt. Entstanden ist das Wattenmeer nach der jüngsten Eiszeit, sein Name leitet sich von dem altfriesischen Wort "wad" für seicht oder untief ab. Leuchtturm Westerheversand auf der Halbinsel Eiderstedt an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste Foto: dpa

Das Abschmelzen der Gletscher ließ den Wasserspiegel steigen, und die mitgeführten Sedimente lagerten sich in den flachen Küstenregionen ab. Zweimal am Tag wird bei Ebbe der Meeresboden auf einer Breite von bis zu 20 Kilometern freigelegt. Im Watt des Jadebusens bei Dangast (Landkreis Friesland, Niedersachsen) Foto: dpa

Das Wattenmeer erstreckt sich über 450 Kilometer von der dänischen Nordseeküste bei Esbjerg bis zum niederländischen Den Helder. Mit einer Gesamtfläche von 13.000 Quadratkilometern besitzt das mitteleuropäische Wattenmeer die weltweit größte zusammenhängende Wattfläche und ist eines der größten Feuchtgebiete der Erde. SZ-Grafik: Michael Mainka

Nach rund sechs Stunden spült die Flut regelmäßig neue Nährstoffe an. Ein Quadratmeter Wattboden enthält mehr tierische Biomasse als der Boden tropischer Urwälder. Mehr als 3000 Tierarten leben im Wattenmeer, von denen etwa 250 nur dort vorkommen. Wattenmeer vor dem schleswig-holsteinischen Vollerwiek (Eiderstedt) Foto: dpa

Vom Erhalt des Wattenmeers profitieren auch Touristen: Für sie ist das Wattenmeer einer der schönsten Plätze der Welt, ein Ort der Erholung und Balsam für die Seele. Eine besondere Erfahrung ist die Stille und vor allem die Weite des Watts. 2009 wurde die beeindruckende Naturlandschaft an der Nordseeküste von der Unesco geadelt und auf die Liste der Weltnaturerbestätten gesetzt - bis auf das Hamburgische Wattenmeer, da die Hansestadt wegen der geplanten Elbvertiefung aus den gemeinsamen Planungen ausgestiegen und erst zwei Jahre später nachgezogen war. Foto: AP

Deutschland und die Niederlande hatten bereits im Februar 2008 bei der Unesco beantragt, die deutschen Wattenmeer-Nationalparks Niedersachsens und Schleswig-Holsteins sowie das niederländische Wattenmeer-Schutzgebiet aufzunehmen - etwa 90 Prozent der Gesamtfläche. Unesco-Delegierte aus 21 Ländern waren im Jahr 2009 der Meinung, dass es sich bei dem Gebiet um eine Stätte "von universellem Wert" handele, deren Untergang "ein unersetzlicher Verlust für die gesamte Menschheit" wäre. Wattenmeer bei Schlüttsiel, Nordfriesland, Schleswig-Holstein Foto: dpa

Wer je an einem Sonnentag durch die Dünen von Sankt Peter-Ording gestreift oder durchs Watt zu einer der ostfriesischen Inseln gewandert ist, wird das kaum in Frage stellen. Die Unesco verlangte für eine fundierte Entscheidung die Vorlage von Managementplänen, aus denen hervorgeht, wie das Gebiet für zukünftige Generationen erhalten bleibt. Dies bereitet jedoch Fischerei- und Seehäfenindustrie Sorgen. Foto: ddp

Diese befürchten, in den bestehenden oder künftigen Nutzungen durch die hohen Anforderungen der Unesco eingeschränkt oder behindert zu werden. Ähnliche Bedenken brachten Hamburg und Dänemark dazu, ihre Unterstützung der Aufnahme in die Unesco-Liste zurückzuziehen: Die damalige CDU-Alleinregierung 2008 in Hamburg hatte die geplante Elbvertiefung nicht gefährden wollen. Baustelle Eon-Netz Norderney, Ostfriesland Foto: ddp

Das Wattenmeer ist eine der letzten ursprünglichen Naturlandschaften Mitteleuropas. Es befindet sich aber längst nicht mehr im Urzustand. An den Küsten und auf den Inseln sind allerorten die Eingriffe des Menschen in die Natur sichtbar, dies gilt insbesondere für den Küstenschutz. So gilt es, die Balance zwischen dem Schutz der Natur und dem Nutzungsanspruch der Menschen zu finden. Sonnenaufgang bei Friedrichskoog, Dithmarschen, Schleswig-Holstein Foto: dpa

Die Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben damit schon früher Erfahrung gesammelt, als sie ihre Wattenmeer-Gebiete in den achtziger Jahren zum Nationalpark erklärten. Hamburg zog 1990 nach. Seit 1991 steht fast das gesamte Watt vor der norddeutschen und der niederländischen Küste als Biosphärenreservat unter dem Schutz der Unesco. Leuchtturm Pilsum, Ostfriesland, Niedersachsen Foto: dpa

Die Nationalparks sind in mehrere Schutzzonen aufgeteilt, in denen in Abstufungen die Natur Vorrang hat oder aber Eingriffe des Menschen erlaubt sind. Jedes Jahr werden zudem die Vögel- und Seehundbestände gezählt und die Veränderungen der Vegetation und Wattfauna wissenschaftlich dokumentiert. Spaziergänger beim Seezeichen vor Tossens, Butjadingen, Niedersachsen Foto: dpa

Es ist ein artenreiches Ökosystem von herausragender Bedeutung - allein rund 250 Tierarten kommen nur dort vor. Wattenmeer bei Neßmersiel (Dornum, Ostfriesland) Foto: dpa

Wenn das Wattenmeer zweimal täglich während des Hochwassers überflutet wird, ragen nur noch die etwas höher gelegenen Halligen heraus. Bei ablaufendem Wasser werden die ... Die Hallig Hooge - die zweitgrößte der zehn Halligen, Nordfriesland Foto: dpa

... Dämme, die Versorgungsadern zwischen Halligen und Festland wieder sichtbar. Dann nutzen die Menschen eine der letzten weitgehend naturbelassenen Großlandschaften in Mitteleuropa. Unterwegs auf der Halligbahn Lüttmoorsiel-Nordstrandischmoor, Nordfriesland Foto: AP

Nur 14 Gebiete in Deutschland und 351 in Europa tragen das Prädikat "Nationalpark". In ihnen soll sich die Natur entwickeln können, wie sie es will, so dass die natürliche Vielfalt und die Evolution der Lebewesen in den Ökosystemen erhalten bleibt. Der Mensch wird aus den Nationalparken jedoch nicht ausgesperrt - im Gegenteil. Familie vor Büsum, Dithmarschen Foto: dpa

Überall dort, wo keine Pflanzen oder Tiere gestört werden, können Menschen diese besondere Wildnis erleben - ob trockenen Fußes in Pferdekutschen oder barfuß im Schlick. Pferdekutschen vor Cuxhaven Foto: dpa

Bisweilen werden die Menschen auch bei Ebbe von Kopf bis Fuß nass wie beim Duhner Wattrennen nahe Cuxhaven. Foto: dpa

Ob Tourist oder Sportler, am wichtigsten ist die Planung des Wattausflugs, damit alle Besucher rechtzeitig vor dem auflaufenden Wasser wieder festen Boden unter den Füßen haben. Foto: AP

Die Seehunde sind wohl die prominentesten Meeresbewohner der Region, aber zum Beispiel auch Kegelrobben und Gemeine Schweinswale leben hier. Foto: dpa

Die Salzwiesen, Sandstrände und Dünen der Küste bieten Vögeln Nist- und Versteckmöglichkeiten und sind Zugvögeln wie den Nonnengänsen willkommene Rast- und Ruheplätze. Daher ist das Watt eine Drehscheibe für den Vogelzug: Zehn bis zwölf Millionen Zugvögel machen jedes Jahr dort Station. Und viele Fischarten haben in den Prielen ihre Kinderstube. Foto: dpa

Das Wattenmeer ist die zweite deutsche Naturerbestätte, neben der Fossilienfundstätte Grube Messel bei Darmstadt. 2011 wurden auch vier deutsche Buchenwälder zum Weltnaturerbe erklärt. Foto: dpa

Das Wattenmeer steht damit auf einer Stufe mit dem Great-Barrier-Riff in Australien (Naturerbe seit 1981), ... Foto: Reuters

... oder auch dem Grand Canyon in den USA (Naturerbe seit 1979). Foto: AFP/Getty

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