Wasserwege:Alle an Bord

Mit dem LED-SUP über die Hamburger Alster

Und nachts mit Beleuchtung: Stand-up-Paddler ziehen ihre Bahnen mit LED-Lichtern auf einem Alsterfleet. Da viele Hamburger in den Ferien nicht verreisten, waren die Kanäle der Stadt zuletzt ziemlich überlaufen.

(Foto: Axel Heimken/dpa)

Stehpaddler, Ruderer, Brückenspringer: Selten war die Alster so gefragt wie in diesem Sommer. Das verursacht auch Konflikte.

Von Peter Burghardt

Das Dauertief Corona lag schon eine ganze Weile über Hamburg, da kam im August überraschend das Hoch Detlef vorbei. 30 Grad und mehr, zwölf Tage hintereinander, das gab es so zuletzt vor ungefähr einer Generation. Danach war endgültig klar: Zu den Hamburger Siegern dieses sonderbaren Jahres 2020 gehören das Brett mit dem Kürzel SUP sowie das Schlauchboot. Und vielleicht mehr denn je ist dies das Jahr, in dem die Hamburger und ihre Gäste das Wasser entdeckten.

Auf der Elbe fiel das nicht so auf. Sie fließt dahin wie eh und je, ihr Tempo überfordert Hobbykapitäne und Schwimmer schnell. Jetzt wird der große Fluss obendrein ausgebuddelt, damit noch größere Containerschiffe ungestört hineinpassen. Die Elbstrände an der Strandperle in Övelgönne oder am Falkensteiner Ufer waren voll an den heißen Tagen, nur die Kreuzfahrtschiffe kommen wegen der Pandemie deutlich seltener des Weges. Höhepunkt der Elbsaison war die Rückkehr des Viermasters Peking aus der Verbannung. Dafür hat der Betrieb auf der Alster und ihren Ablegern bei dem Bombenwetter erheblich zugenommen, was die einen verzückt und den anderen schwer auf die Nerven geht.

An einem dieser gut temperierten Abende hätte man zum Beispiel oben auf dem Balkon den Grill anwerfen oder runter zum Italiener an die Ecke gehen können. Die Alternative für das Familiendinner: eine Tasche vom Gewicht eines Kleinkindes zum Isebekkanal schleppen, das Schlauchboot auspacken und die Kinder in die Schwimmwesten einpacken.

Die einleitende Pumpbewegung, auf und nieder, ist in der Hansestadt in solchen Momenten an den Einstiegsstellen eine Art Gruppengymnastik, Ersatz fürs derzeit häufig gemiedene Fitnessstudio. Da wachsen aus Gummihüllen ganze Flotten von Stand-up-Paddelboards, also SUPs, und Schlauchbooten. Kajaks oder Kanus sind auch am Start, die Verleihstellen haben sich rapide vermehrt.

Man fährt also unter der Brücke an Klosterallee und Eppendorfer Baum hindurch. Entfernungen werden ab sofort in Brücken gemessen, wobei ein für allemal festzuhalten wäre, was bei jeder Hafenrundfahrt erzählt wird: Es gibt in Hamburg mehr Brücken als in Amsterdam und Venedig zusammen, 2500. Von der Isebrücke hüpfen gerade mal wieder junge Leute, was sollen sie mangels Klippen wie in Acapulco anderes tun. Idealerweise lässt man sich nicht von ihnen auf den Kopf springen. Es geht vorbei an Sup-Club und Supper-Club, man könnte anlegen und im Liegestuhl im Ufersand einen Drink nehmen, aber man fährt sieben Brücken weiter, passiert das Nordufer der Binnenalster mit seinen Bilderbuchsegelbooten und biegt in den Rondeelkanal, rechts ab in den Goldbekkanal und das Nadelöhr Mühlenkampkanal, wo das Burgerlokal die Bestellung an Bord bringt, wobei bei Anlandung mit Stau gerechnet werden kann. Gegessen wird standesgemäß auf der Binnenalster, im Hintergrund glänzt die Elbphilharmonie.

Für die rapide wachsende Zahl der Freizeitkapitäne sind solche Ausflüge ein geradezu metaphysisches Erlebnis, für Neulinge eine Entdeckung. Auf dem Wasser ist Hamburg ja noch schöner als an Land, durchzogen von einem Geflecht aus Fleeten und Kanälen, vorbei an Trauerweiden und Gartenstühlen, Lofts und Stadtvillen. Und es begleitet einen jederzeit die beruhigende Gewissheit, dass man theoretisch bis nach Buenos Aires oder Kapstadt rudern könnte durch diese Hamburger Tore zur Welt, ohne Land zu betreten.

Die Anwohner sind nicht so erfreut über die vielen neuen Hobbykapitäne

Geht man außerhalb der Rushhour auf Stadttour, dann kann es sogar sehr idyllisch zugehen, eskortiert von unaufgeregten Enten. Das einzige Problem: In Zeiten von Virus und Klimawandel suchte phasenweise so ziemlich jeder die Hamburger Gewässer auf, der Mallorca oder Sylt mied und dem Nord- und Ostsee zu voll sind. In Hitzeperioden geht es auf Alster und Kanälen zu wie im Elbtunnel auf der A 7.

Es ist die kurioseste Variante der Verkehrswende, mit Tretbooten von der Gestalt eines Schwans oder Polizeiautos. Mit elegantem Holzkajak, in dem ein Herr gepflegt vor Käseteller und Rotwein sitzt. Mit SUPs, auf denen Poser ihre Bahnen ziehen oder sich Witzbolde mit Sombreros auf dem Kopf ausbremsen. Mit Gondolieri, Hobbykanuten und Freunden des Vollbades in der Menge. Es gibt auch SUP-Leuchttouren, mit bunten LED-Lichtern, und SUP-Yoga, Lotussitz auf der Alster.

Nicht so begeistert von den vermehrten Wasserfreuden sind Profis und Anwohner, Mensch und Tier. Die Hitzewallungen der Besucher lösten Beschwerden aus. Ein Alsterkapitän beklagte im Hamburger Abendblatt die "Ballermannisierung" des Reviers, er muss die Stehpaddler und Sitzpaddler über die Lautsprecher seiner Barkassen ständig aus der Fahrrinne verscheuchen. Gelegentlich landet auch mal ein Brückenspringer auf dem Barkassendach. Ambitionierte Ruderer aus den Ruderklubs sind ebenfalls pikiert, wenn vor ihnen wieder ein Hobbykahn plump manövriert.

An neuralgischen Punkten wie der Liegewiese Winterhuder Kai, dem Hayns Park oder Mühlenteich ist an geeigneten Feierabenden und Wochenenden die Hölle los, in Hörweite bis Sichtweite beneidenswerter Privathäuser oder der Konsulate von Iran und Indonesien. Viele Discos und Bars waren oder sind wegen der Seuche ja dicht, ersatzweise zieht das Partyvolk in die Natur, was außer Alsterkapitäne und künftige Deutschlandachter auch Alsterschwäne und Alsternachbarn irritiert. Gettoblaster unter dem Alsterbalkon oder vor der Alsterterrasse missfallen dem einen oder anderen Bewohner. "Ansturm auf die Alster wird zum Mega-Problem", meldete die Hamburger Morgenpost. Die Behörden verwiesen auf die allgemeine Grünflächenverordnung, die das Abspielen lauter Musik untersagt.

Aber der Kollateralschaden ist nur ein weiterer Beweis für Hamburgs Freude am Wasser, erst recht in der Ära Corona und eines Sommerhochs namens Detlef. Das Schlauchboot pumpt man dann am heimatnahen Steg ganz sachte wieder ab.

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