Wasserwanderung:Dramatische Schönheit

Die Passer ist nur knapp 43 Kilometer lang. Doch die Landschaft, die das Wasser geformt hat, ist spektakulär. Der Schluchtweg macht sie erlebbar.

Von Ingrid Brunner

Will man in St. Leonhard, dem Hauptort des Passeiertals, von den Bewohnern als einer der Ihrigen akzeptiert werden, gilt es erst einmal einen Sprachtest zu bestehen und den Ortsnamen wie ein Hiesiger auszusprechen. Das ist schwierig. Erst mal ist man schon durchgefallen, wenn man vorneweg Sankt sagt. Den Sankt weglassen? So weit, so einfach. Aber der Leonhard hat es dann in sich: Es hört sich ein wenig an wie "Liachat", mit einem Kratzen in der Mitte. Das bekommen angeblich nicht mal die Leute aus Nachbarorten richtig hin. Macht aber nichts, denn wer den knapp acht Kilometer langen Passerschluchtweg von Moos bis St. Leonhard geht, hat gut zwei Stunden Zeit zum Üben. Wenn einem unterwegs nicht was Besseres einfällt. Denn der Passerschluchtweg ist ein landschaftliches Kleinod.

In Moos verengt sich das Tal der Passer zwischen hoch aufragenden Berghängen, die am westlichen Flussufer zum Texelmassiv gehören. Dieses enge, tiefe Tal wurde über Jahrtausende vom Schmelzwasser und dem darin mitgerissenen Geröll geformt. Eine Schlucht, deren Schönheit und Dramatik bis vor zwei Jahren nur wenigen zu sehen vergönnt war. Zu unzugänglich war sie, zu gefährlich das Terrain.

An manchen Stellen springen Mutige in Neoprenanzügen ins eiskalte Wasser

Daher verwundert es wenig, dass es drei Jahre dauerte, bis der Weg, der an vielen Stellen über Stege und Metallgitter führt, fertiggestellt war. Seit 2015 weist nun ein Schild in Moos zum östlichen Flussufer, dem Eingang in den Passerschluchtweg. Auf kleinen luftigen Metallbrücken wechselt der Wanderer immer mal wieder das Ufer. Aber was heißt hier schon Wanderer. Nur etwa 400 Höhenmeter sind auf der Strecke zu bewältigen, und wer in Moos startet, geht flussabwärts, sprich bergab. So ist diese kleine Tour auch für weniger sportliche Menschen geeignet und bietet doch Ausblicke, wie man sie sich sonst eher auf einer knackigen Bergtour mit schmerzenden Waden ersteigen muss.

Hier gibt es Landschaftskino auch für Flachwanderer und Menschen, die nicht schwindelfrei sind. Man steht vor moosbewachsenen Felswänden, die schmal wie Nadelöhre zusammenstehen und unentwegt vom Sprühwasser befeuchtet werden, blickt hinab auf glatt geschmirgelte Steinwände und ausgewaschene Höhlen, noch weiter unten gurgelt das Wasser, fließt über Kaskaden, um sich bald darauf zu tiefblauen, ruhigeren Gumpen zu weiten. An weniger gefährlichen Stellen springen Wagemutige in Neoprenanzügen ins eisige Wasser. Ganze Schulklassen stehen an, um sich beim Canyoning von Wasserfällen zu stürzen oder beim Tarzaning am Drahtseil über die Schlucht zu sausen. Ein wohldosiertes Abenteuer. Echten Respekt hingegen entwickelt man für die Menschen, die den Weg, all die vergitterten Steige in die Steilwand dübelten. Leute von der Bergrettung, Profi- und Industriekletterer haben sich da übers Wasser gehängt und am Seil geschuftet, damit die Ausflügler nun sicher in den schäumenden Abgrund blicken können. Ein klein wenig ergriffen ist man schon bei der Ankunft in "Liachat".

Auf der Alm leben die Hängebauchschweine namens Speck und Kaminwurz

Wenn's beim nächsten Ausflug ein klein wenig mehr Herausforderung sein, also auch mal bergauf gehen darf, wäre die Wurzer Alm eine Möglichkeit unter den vielen Wegen und Zielen, die sich im Meraner Land bieten. Vom Parkplatz in Hafling (1290 Meter) geht es erst einmal stramm bergauf. Das Gute an diesem Ziel: Viele Wege führen dorthin. Aber, alte physikalische Regel: Was an Kraft gespart wird, geht am Weg verloren. Sprich: Je flacher man dahinhatscht, desto weiter ist der Weg. Und das ist schon schade, denn nicht mal 500 Meter weiter oben, auf 1707 Meter, warten die Almwirte Ulli und Markus Kofler mit italo-alpinen Spezialitäten. Das heißt, wenn Markus nicht gerade auf seinem Westernpferd sitzt und die Kälber und Rinder zusammentreibt. Er ist in seinem Herzen ein Cowboy, der auch auf der Alm Chaps, die ledernen Überhosen der Kuhhirten, trägt. "Das ist sein wildes Wurzistan", sagt Ulli.

Sie lässt ihn machen, ihre Liebe zu Tieren und zu den Bergen ist ein festes Band. Dort oben leben zum Beispiel völlig unbedroht vom Metzgerbeil die Hängebauchschweine Speck und Kaminwurz, daneben Ziegen, Schafe, Katzen, Pfauen - eine Menagerie, die Jahr für Jahr zu Beginn der Saison mit auf den Berg zieht und den Winter im Tal verbringt. Kinder lieben diesen kleinen Streichelzoo, sie dürfen Speck und Kaminwurz auch mit Essensresten füttern. Obwohl man ungern etwas zurückgehen lässt. Auf den Tisch kommen neben Klassikern zum Beispiel Ziegen- oder Schafsbratwürste, Taleggio-Roggenkuchen mit Oliven und getrockneten Tomaten, im Herbst auch Pilzgerichte. Alles außer Speck und Kaminwurz.

Informationen: Der Passerschluchtweg ist nicht für Kinderwagen geeignet und darf nicht mit Mountainbikes befahren werden. Vom 1.12. bis 28.2. geschlossen (www.passeiertal.it). Die Wurzer Alm hat keine Zimmer, bietet aber Kochkurse. Die nächsten Termine: 10.10. und 24.10.2017 (www.wurzer-alm.com). Eine empfehlenswerte Unterkunft im Meraner Land ist das Hotel Hohenwart in Schenna. Dieses herzliche und stilvolle Familienhotel bietet vorzügliche Küche sowie viele Sport- und Wellnessangebote (www.hohenwart.com). Weitere Informationen: www.meranerland.com.

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