Washington:Pssssssssst!

Auf den Spuren von Agenten durch Washington, der Hauptstadt der Geheimdienste.

Ralf Hertel

Völlig unerwartet wird die ehemalige Agentin plötzlich sentimental. Eine halbe Stunde hat Carol Bessette in einer Washingtoner Hotellobby zusammen mit ihrem ebenfalls früher beim Geheimdienst tätigen Mann John aus ihrem Leben als Spionin erzählt.

Capitol in Washington

Capitol in Washington: Wo Entscheidungen getroffen werden, wird häufig auch manipuliert.

(Foto: Foto: Washington, DC Convention & Tourism Corporation)

Davon, wie John Versorgungsflüge während der Blockade ins abgeschnittene Westberlin nutzte, um sowjetische Truppenbewegungen in Ostdeutschland zu beobachten, von ihrem Leben in Ramstein, von den Tricks, mit denen sie die Sowjets ausspionierten, von ihrer Verbundenheit zu Deutschland, dem Land ihrer Einsätze.

Neulich erst hätte sie wieder den Film "Good Bye Lenin" gesehen, und immer wieder seien ihr dabei die Tränen gekommen, sagt Carol: "Der Film erinnert mich an eine Ostdeutsche, die uns inmitten all der Verkäufer von Mauerstücken sagte: Vierzig Jahre hat mich diese Mauer eingesperrt - und jetzt kann ich mir nicht mal ein Stück davon leisten."

Spiel der Täuschungen

Heute kann sich Carol ihre Sentimentalität erlauben, denn inzwischen ist die 67-Jährige wie ihr Ehemann im Ruhestand. Und wenn sie schon nicht mehr selbst beim Spiel der Täuschungen mitmischen kann, so bleibt ihr doch, davon zu erzählen. Die ehemalige Spionin drückt einem als erstes eine hellblaue Visitenkarte mit ihrer Webadresse in die Hand.

Das Interesse an ihrer ungewöhnlichen Stadtführung scheint groß zu sein. Vermutlich übt die Figur des Spions eine paradoxe Faszination aus: Einerseits lebt er davon, unsichtbar zu bleiben, andererseits blühen gerade deswegen die Spekulationen und machen ihn zu einem allgegenwärtigen Phantom. Das gilt gerade hier in Washington: Die Stadt ist nicht nur Hauptstadt des mächtigsten Staates der Welt, sondern auch die Welthauptstadt der Spionage.

Und wo Entscheidungen getroffen werden, dort können sie auch manipuliert werden. Wohl nirgendwo sonst bewegen sich so viele Geheimdienstmitarbeiter auf so engem Raum wie in der Hauptstadt der USA. Vorsichtige Schätzungen sprechen von annähernd 3000 Spionen in einer Stadt von der Größe Nürnbergs.

Schrecken der Sowjets

Dabei ist die Ankunft in Washington für Verschwörungstheoretiker ernüchternd. Der noch während des Anflugs verteilte Einreisefragebogen lässt vermuten, dass das Niveau der Geheimdienstler dramatisch gesunken sein muss. Anders ist kaum zu erklären, dass zumindest einige offensichtlich daran glauben, mit so plumpen Fragen wie "Waren oder sind Sie in Spionage-, Sabotage- oder terroristische Aktivitäten verwickelt?" etwas anderes als Heiterkeit zu erzielen.

Strenger zur Sache geht es nach der Landung. Bei der Einreise werden die Abdrücke des linken und rechten Zeigefingers genommen und ein Foto mit der Digitalkamera gemacht. Und später, wenn man Carol und John in der Hotellobby gegenüber sitzt, kann man sich nicht vorstellen, dass dieses angegraute Pärchen mit den Hornbrillen, billigen Digitaluhren und grobkarierten Flanellhemden unter dem Pullunder einst die Sowjets das Fürchten gelehrt haben und waghalsige Spionageflüge an der sowjetischen Grenze unternommen haben soll.

Sie wirken auf den ersten Blick so bieder wie Washington selbst, diese so durchschnittliche Stadt mit ihrem sauber gekehrten Innenstadtbezirk, den seltsam unbelebten, eklektisch zusammengewürfelten Monumenten und den breiten Straßen mit wenig Verkehr.

Doch Biederkeit ist die beste Tarnung, das wissen nicht nur Carol und John, das wissen alle in ihrem Geschäft. Und wenn die beiden erzählen, dann beginnt sich unter dem unscheinbaren Washington eine Falltür aufzutun, die in die Abgründe von Verrat und Betrug führt.

Arglos war man noch am Morgen durch die Stadt gegangen, jetzt versteckt sich hinter jedem Monument, hinter jedem Gebäude eine Geschichte wie ein Schatten. So blicken die Touristen, die sich vor dem Weißen Haus für Fotos postieren, ohne es zu wissen in Richtung des Hauses einer der ersten Spioninnen Washingtons.

Intime Atmosphäre

Auf der anderen Seite des Lafayette Square, an der Ecke K-Straße und Sechzehnte, betrieb Rose Greenhow während des amerikanischen Bürgerkriegs einen Club, in dem sie Senatoren und Kabinettsmitglieder der Nordstaaten unterhielt. In der intimen Atmosphäre ihres Salons plauderten diese so manche vertrauliche Information aus, die sie dann in chiffrierten Briefen, welche sie unter anderem in ihrem Haarzopf versteckt transportierte, den Südstaatlern zukommen ließ.

Als man ihr schließlich auf die Schliche gekommen war - ein Agent der Gegenseite hatte auf den Schultern zweier Polizisten stehend ihre Gespräche durchs Fenster belauscht -, stand man vor der heiklen Frage, wie man eine weibliche Spionin bestrafen solle? Frauen hatten der allgemeinen Meinung nach nichts mit dem Kriegswesen zu tun.

Rose Greenhow wurde am Ende in die Südstaaten abgeschoben, von wo sie nach England reiste, um ihre Memoiren zu veröffentlichen. Auf dem Rückweg nach Amerika lief ihr Schiff auf Grund, und als sie sich auf ein Beiboot rettete, sank dieses bald unter dem Gewicht des Goldes, das sie mit ihrer Publikation verdient hatte.

Pssssssssst!

Greenhows subversive Aktivitäten waren nur der Auftakt einer langen Geschichte der Spionage in Washington. Die Stadt an der Grenze zwischen Nord- und Südstaaten war schon während des Bürgerkriegs ein Treibhaus der Spionage und verlor später als Hauptstadt der USA nichts an Attraktivität für Geheimdienste.

Ein Spaziergang führt den Besucher vom Lafayette Square vor dem Weißen Haus, wo der Südstaatler Thomas Nelson Conrad die Gewohnheiten Abraham Lincolns ausspähte, um ihn zu entführen, bis zur ehemaligen sowjetischen Botschaft im pittoresken Georgetown, die angeblich von amerikanischen Abhörgängen untertunnelt ist. Auf dem Weg dorthin kommt man auch an jenem Briefkasten vorbei, auf dem der Doppelagent Aldrich Ames mit Kreide Nachrichten für den KGB hinterließ, in welchen toten Briefkästen er CIA-interne Informationen versteckt habe.

Verhängnisvolles Telegramm

Die Liste der ebenso unscheinbaren wie geschichtsträchtigen Orte in Washington ließe sich beliebig verlängern, etwa um das Watergate-Gebäude, in dem Nixon-Anhänger 1972 einbrachen, um interne Informationen über den Wahlkampf der gegnerischen Demokraten zu erlangen, oder die ehemalige deutsche Botschaft an der Massachusetts Avenue, die während des Ersten Weltkriegs ein Zentrum der Spionage war.

Hier wurde 1917 ein verhängnisvolles Telegramm nach Mexiko weitergeleitet, in dem der deutsche Staatssekretär im Auswärtigen Amt Arthur Zimmermann Mexiko die US-Staaten Texas, Arizona und New Mexico versprach, falls sich Mexiko im Falle eines Kriegseintritts der USA mit Deutschland verbünden sollte. Britische Agenten konnten das Telegramm abfangen, und wenig später druckten es alle großen amerikanischen Zeitungen.

Nicht zuletzt der dadurch entfachte Sturm der Entrüstung führte dazu, dass die bis dahin neutralen Vereinigten Staaten tatsächlich auf Seiten der deutschen Gegner in den Krieg zogen.

Viele Schauplätze der Spionagegeschichte sind im Innenstadtbezirk Washingtons leicht zu Fuß zu erreichen. So auch das "International Spy Museum", das als erstes seiner Art eine aufwändige Dauerausstellung zum Thema zeigt. Mehr als 700.000 Besucher hat die Einrichtung jährlich.

Abhörwanze im geschnitzten US-Adler

Agenten im Dienste der USA erhalten einen Dollar Rabatt, und der dort beschäftigte Historiker Thomas Boghardt sagt, dass es schon vorgekommen sei, dass Agenten anderer Geheimdienste dem Museum Fotos angeboten hätten, auf denen sie vorteilhafter getroffen seien.

Bei einem Rundgang begegnet man dem mit einer vergifteten Spitze versehenen Schirm, mit dem der Dissident Georgi Markow 1978 in London auf offener Straße erstochen wurde, und einem geschnitzten US-Adler, den sowjetische Schüler 1946 dem amerikanischen Botschafter in Moskau als Willkommensgruß schenkten und in dessen Inneren sich eine Abhörwanze verbarg.

Ausgestellt wird auch ein zäpfchenförmiges "Rectal Tool Kit" der CIA, das man unauffällig im Körper tragen konnte und in dem immerhin eine Säge, eine Zange und ein Bohrer Platz fanden. Auch die Geschichte der Spionage wird beleuchtet. Der Schriftsteller Daniel Defoe, der Verführer Giovanni Casanova, die Tänzerinnen Mata Hari und Josephine Baker sowie der Baseball-Profi Moe Berg haben alle ihren Auftritt als prominente Spione, und am Ende des Rundgangs könnte man meinen, Spionage sei so ziemlich das Normalste auf der Welt.

Wenige Tage später steht man wieder im Dulles Airport und fragt sich, warum der Zollbeamte den Reisepass so ausgiebig studiert, weshalb die Überwachungskameras stets auf einen selbst gerichtet zu sein scheinen, und ob der Flughafen nicht jener war, von dem die CIA-Maschinen aufbrachen, um Verdächtige an geheime Verhörorte in Osteuropa zu bringen.

Man merkt, dass man nicht nur einiges über die Geschichte der Spionage gelernt hat, sondern auch, wie sich ein Spion in seinem Verfolgungswahn fühlen muss. Wenn man noch nach einem langen Flug bei der Frage "Wohin des Wegs?" plötzlich aufschreckt, bevor sich langsam das unschuldige Gesicht eines Taxifahrers aus dem dichten deutschen Winternebel schält, dann weiß man, dass einen die Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde-Stadt Washington noch lange nicht losgelassen hat.

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