Wandern in Schottland:Muscheln, Moos und Massaker

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Von Campbeltown im Süden bis hoch zum Loch Ness: Bei einer Reise entlang der Westküste Schottlands trifft man auf weitgehend unberührte derbe Natur, zerklüftete Steilhänge und grüne Ebenen. Dazwischen liegen schmucke kleine Städte und versteckte Burgen. Ein Land voller Stolz.

Stefan Wolf

Himmel, das beeindruckendste an Schottland ist dieser unglaubliche Himmel.

Der Nebel ist in Schottland unberechenbar - und schnell. (Foto: Foto: Wolf)

Ob am Mull of Kintyre, wo der Seewind die von der Sonne durchtränkten langgezogenen Wolkenstreifen über das flache Land treibt. Ob in Glencoe im Herzen der Highlands, wo sich dicke schwere Nebelschwaden über die Bergspitzen quälen und den Himmel in ein mystisches Meer verwandeln. Oder auf dem Ben Nevis, dem höchsten Berg Schottlands, wo der Himmel so nah ist, dass man glaubt, ihn berühren zu können. Die Wolken geben diesem Land und seiner atemberaubenden Natur seinen Zauber.

Die Reise unter diesem schottischen Himmel beginnt in Campbeltown, einer Hafenstadt im Südwesten des Landes: die letzte größere Stadt vor dem nur schwach besiedelten Mull of Kintyre.

Es ist fünf Uhr morgens: Der Sonnenaufgang entschädigt für das frühe Aufstehen. Die Ebbe hat vor ein paar Stunden eingesetzt. Los geht es mit der Wanderung nach Davaar Island, einer der Küste vorgelagerten Insel, die nur bei Ebbe zu Fuß zu erreichen ist. Bei Flut dagegen wird sie ganz und gar vom Wasser umspült.

Die Küstenstraße in Richtung Feochaig entlang am Campbeltown Loch, Davaar Island immer im Blick, gelangt man an eine umzäunte Wiese und ein Hinweisschild: Hier lang zur Insel.

Ein Weg aus Muscheln

Wie ein schwerer Stein liegt das Eiland in der ruhigen See. Die ersten Sonnenstrahlen tauchen hinter den vom Farn überwucherten Felsen auf. Durch das Wasser schlängelt sich ein Weg aus Geröll, Schlacke, Steinen und Muscheln. Direkt nach Davaar Island. Es ist sechs Uhr.

Nach einer halben Stunde betritt man wieder Festland und wird gleich von einer Herde Schafe "begrüßt". Der Weg teilt sich ab hier. Links entlang geht es zum Leuchtturm. Rechts entlang zu den Höhlen von Davaar Island. Diese sind das Ziel - genauer gesagt die siebte Höhle.

1887 ging ein Mann namens Alexander MacKinnon genau denselben Weg. Allerdings hatte er Farben und Pinsel dabei. An der siebten Höhle machte er Halt und malte das Bild des gekreuzigten Jesus an die Felswand.

Über glitschiges Felsgestein führt der Weg. Links ragt eine zerklüftete Steinwand in die Höhe. Rechts wippen die Wellen sanft über die runden Küstensteine. Man muss die Höhlen abzählen: 4, 5, 6, 7 - das muss sie sein.

Vorsichtig hinein in das Dunkel. Überall liegen aus Treibholz gefertigte Kreuze. Und da ist es: das Jesusbild. Man muss etwas nach oben schauen, um es zu entdecken. Umgeben von tropfendem Gestein, scheint es hervor. Als würde das Bild angeleuchtet werden, doch wo soll die Lichtquelle sein? Etwas gespenstisch ist es hier. Was bingt jemanden dazu, hier so ein Bild zu malen?

Schafsinnereien zum Frühstück

Sieben Uhr, auf dem Rückweg: Von der Insel schweift der Blick über das Festland, die Stadt, die langsam erwacht. Bei der Ankunft in Campbeltown gibt's erst einmal ein echtes schottisches Frühstück! Baked Beans, Würstchen, Spiegelei und Haggis, das schottische Nationalgericht aus Schafsinnereien. Das ist genau das, was nach der Tour wieder auf die Sprünge hilft.

Am frühen Morgen geht die Reise mit dem Auto weiter Richtung Norden. Über das Städtchen Tarbert kommt man nach Oban, wo zwei Urlauber den Reifen wechseln müssen. Sie haben wohl versehentlich den Bordstein mitgenommen. An das Fahren auf der linken Seite muss man sich gewöhnen!

Weiter am nächsten Tag, nach Glencoe im Westen. Durchzogen von Lochs, weiten, vom Moos bedeckten Ebenen und in die Höhe ragenden Bergen: Man fühlt sich wie in einer anderen Zeit.

Grund genug, eine Weile zu bleiben. Es regnet etwas, aber das ist egal. Grün, überall grün - in allen Facetten. Lilafarbene Tupfer wirken wie auf dieses Stilleben gekleckst. Es sind die Disteln, die dem Wetter standhalten. Vielleicht sind sie deshalb das Nationalsymbol hier... Das ist Schottland. Man muss an den Film "Braveheart" denken.

"Welcome in God's own country"

Ein Mann begegnet einer kleinen Wandergruppe in den dunklen Tälern. "Welcome in God's own country" ruft er ihnen zu und breitet die Arme aus, als müsse er die Dimension noch einmal verdeutlichen.

Hier lebt die Geschichte. Eine kennt jeder Schotte: das Massaker von Glencoe. 1692 wurde fast der gesamte Clan der MacDonalds auf hintertückische Weise ausgerottet - wohl auf Geheiß des englischen Königs.

Die Schotten lieben ihre Historie und verehren ihre Helden, wahrscheinlich wegen der Tragik, die ihnen meistens wiederfuhr. In jeder noch so kleinen Stadt erinnern Monumente und Denkmäler an längst vergangene Zeiten und Geschichten, wie sie heute nicht mehr geschrieben werden.

Auf dem Weg erzählt eine Wanderin, die Mitte fünfzig ist und aus Kanada kommt: Durch Schottland zu laufen sei ihr Traum. Sie läuft auf dem berühmten "West Highland Way", der von einem Vorort von Glasgow aus, vorbei am Loch Lomond und dem Ben Nevis bis nach Fort William führt.

Das romantischste aller Fotomotive

Sie wolle noch bis nach Inverness hoch in den Norden. Das sind noch ungefähr 70 Kilometer. Ihr Mann war ein begeisterter Wanderer, sagt sie. Vor fünf Jahren ist er gestorben. Er wäre begeistert gewesen. Mit ihm war sie auch schon im Schwarzwald auf Tour.

Schlösser und Burgen: Das ist das zweite, was einem sofort einfällt, wenn man an Schottland denkt. Und davon gibt es wirklich genug. Viele Urlauber mutieren auf der Reise quasi zu "Castle-Jägern".

Das Castle Stalker, ein Schloss, das auf einer Insel mitten im Loch Laich liegt und eines der wohl romantischsten Fotomotive bietet, Castle Kilchurn, am Lochawe und Eilean Donnan Castle, am Loch Duich, das als Kulisse für den Film "Highlander" diente, sind wohl die drei bekanntesten Schlösser der Westküste.

Doch achtet man am Straßenrand ein kleines bisschen auf die Schilder und folgt ihnen, dann bekommt man manches Kleinod zu sehen. Ruinen, von der Witterung zersetzte Wehrmauern, liebevoll restaurierte Festungsanlagen oder versteckte Burgfriede, sogenannte "Keeps".

Letzter Halt auf der Reise ist Loch Ness. Eigentlich eine Touristenfalle, aber wenn man schon einmal in der Nähe ist... Das "Monster" hat sich natürlich nicht gezeigt.

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