Wandern in Österreich:Auf Safari in den Alpen

Wandern in Österreich: Einer der "Big Five": Der Alpensteinbock im Nationalpark Hohe Tauern.

Einer der "Big Five": Der Alpensteinbock im Nationalpark Hohe Tauern.

(Foto: mauritius images)

Auch der Nationalpark Hohe Tauern hat seine "Big Five". Und wie in Afrika braucht es etwas Glück, um sie alle zu Gesicht zu bekommen.

Von Florian Sanktjohanser

Mit dem Steinbock, sagt Andreas Rofner, sei es wie mit dem Löwen in der Serengeti: "Den will jeder sehen." Der Vergleich klingt ein wenig albern. Aber er passt zur Tour, die der Ranger an diesem Tag leiten wird: Big Five hat der Nationalpark Hohe Tauern sie werbewirksam genannt, angelehnt an das Großwild, das Safari-Urlauber in den Savannen Afrikas zu sehen hoffen.

Natürlich ist hier in Osttirol alles eine Nummer kleiner. Genau genommen sind die Big Five noch nicht mal die fünf größten Tiere des Nationalparks, sondern die fünf bekanntesten. Deshalb hat es auch das Murmeltier in die Auswahl geschafft, zusammen mit Gämse, Adler, Bartgeier und eben dem Steinbock. Im neuen Besucherzentrum namens Glocknerwinkel füllen ihre beleuchteten Profilfotos eine ganze Wand. Aber so nahe werde man sie nicht sehen, warnt Rofner seine Gäste: "Wir sind hier nicht in einem Zoo. Die Tiere werden uns wahrscheinlich nicht den Gefallen tun, dass sie zum Weg herunterkommen."

Rofner, 53, sieht aus wie für den Job als Alpenranger gecastet: kurze, graue Haare, blaue Augen, das hagere Gesicht eines Bergsteigers. Alle 268 Dreitausender in Osttirol hat er erklommen, die Big-Five- Tour ist für ihn eine Spaziergang. Und Routine. Die Wildtierbeobachtung war die erste Wanderung, die der Nationalpark angeboten hat. Seit einem Jahr heißt sie Big Five, seitdem kommen tatsächlich mehr Gäste. "Aber die Tiere sind natürlich die gleichen geblieben", sagt Rofner.

Mit geschultertem Fernrohr geht er voran, das Ködnitztal hinauf in Richtung Großglockner. Der König der Ostalpen versteckt heute sein Haupt in den Wolken, die Aussicht auf die steilen Felswände zu beiden Seiten des Tals ist trotzdem grandios. Gleich hinter der Luckneralm, wo Milchkannen vor der Holzwand aufgereiht sind, bleibt Rofner schon wieder stehen, fragt Eltern und Kinder, ob das Tempo passt, und erklärt. Die krummen Lärchen hier seien als Schattenspender für die Kühe stehen gelassen worden. Und die hübschen Wolfsflechten an der Rinde seien giftig - und gleichzeitig ein Indikator für saubere Luft. Schön und gut, mag mancher denken, aber wo sind jetzt die Tiere? "Schaut, da fliegt was", ruft eine Frau, und alle drehen aufgeregt die Köpfe. Ein Adler, ein Geier gar? "Das sind nur Dohlen", sagt Rofner nüchtern.

Ein paar Minuten später aber kann der Ranger punkten: Steinböcke. "Habt ihr sie gefunden?", fragt er, während er das Spektiv auf seine drei Füße stellt und justiert. "Nein? Es sind 20 Stück, ein klassisches Rudel." Die Gäste überfliegen die Felsflanke mit ihren Leihferngläsern, erfolglos. Rofner lenkt ihren Blick, "am Felsgrat entlang und unterhalb in der Grünfläche". "Da, der braune Popo", ruft eine Mutter.

Das Fernrohr zoomt die Herde auf Zoonähe heran. Gestochen scharf sieht man die Mütter im Gras lagern und die Jungen in einer Felsrinne herumstaksen. "Das ist wie ein Kindergarten", sagt Rofner, "die Geißen passen auf alle Jungen auf." Und unterrichten den Nachwuchs, der erst einige Wochen zuvor geboren wurde. Eine Geiß hüpft über einen Felsvorsprung und blickt ermunternd zu den Jungen zurück: Kommt, traut euch.

"Die haben sich geküsst"

Es waren Jäger, die 1960 Steinwild im Ötztal, im Zillertal und in der Schweiz kauften und hier wieder ansiedelten. Zuvor wurde es bis zur Ausrottung gejagt. Selbst drakonische Strafen konnten Wilderer nicht abschrecken. Denn den mythisch verklärten Böcken wurden wundersame Heilkräfte zugeschrieben. Das Horn wurde zu Pulver zerstoßen, das Herzkreuzlein wurde als Amulett getragen. Manche glaubten, es könne sogar Tote ins Leben zurückholen. Zu kaufen gab es die Mittelchen in der erzbischöflichen Steinbock-Apotheke.

Heute leben im Osttiroler Teil des Nationalparks rund 600 Steinböcke - sie werden auch wieder gejagt. "Ab dem zehnten Lebensjahr ist der Steinbock interessant für den Jäger", erklärt Rofner, "ab da ist der Mensch der limitierende Faktor." Mittlerweile halten sich die Jäger allerdings mehr zurück, lassen die Tiere auch mal 15 Jahre alt werden. Dass ältere Geißen in einem Rudel bleiben, ist wichtig. Denn sie geben ihr Wissen weiter: zum Beispiel, wie man in einem Lawinenhang die Schritte setzt. Sportlich ist die Jagd auf die Tiere nicht gerade. "Steinböcke haben im Hochgebirge keine natürlichen Feinde", sagt Rofner, "sie lassen Menschen bis auf zehn Meter herankommen." Auf 2700 Metern Höhe liegen sie oft direkt neben dem Weg. Dass Dutzende Wanderer an ihnen vorbeilatschen, störe sie nicht. "Den Tieren macht das gar nichts aus", sagt Rofner.

Der Ranger wandert weiter, vorbei an Blumenhängen und an Bächen, die Felsrinnen herabrauschen. Bald hat er Gämsen oben in einer Grasflanke erspäht. "Ist das jetzt was anderes?", fragt ein Mann. "Ja, miteinander verwandt, aber ganz anders", erklärt Rofner geduldig. Im Sommer sei das Fell der Gämsen kaffeebraun, im Winter schwarz. Noch spannender aber ist die Fellfarbe des Rehbocks, der ein Stück weiter zwischen den Bäumen grast: Er ist schneeweiß. "Aber er ist kein Albino", sagt Rofner, "er hat nur sehr wenig Pigmente."

Der weiße Rehbock ist eine hübsche Entschädigung. Denn alle Big Five bekommen die Gäste an diesem Tag nicht zu sehen. Aber so viel Glück hätten auch nur sehr wenige, sagt Rofner. Vor allem die Bartgeier sind selten, nur sieben von ihnen leben in Osttirol. Auch die Aasfresser mit der Spannweite von bis zu knapp drei Metern waren ausgerottet. Erst 1986 wurden wieder die ersten Bartgeier ausgewildert, seit 2010 brüten sie im Nationalpark.

Im Vergleich dazu sind Steinadler fast schon gewöhnlich. Etwa 40 Adlerpaare nisten im Nationalpark, oft sieht man sie auch übers Ködnitztal segeln. Heute allerdings sind sie ausgeflogen. Enttäuscht scheint trotzdem keiner der Gäste zu sein. Zumal Andreas Rofner noch einen sicheren Trumpf ausspielen kann: Bei der Pause auf der Terrasse der Lucknerhütte hat man den Logenblick auf die Wiesen ringsum - und auf die Murmeltier-Höhlen. Mit bloßem Auge sieht man ein dickes, struppiges Exemplar ungerührt über seinem Bau sitzen. Rofner baut trotzdem noch mal sein Fernrohr auf, für die finale Portion Niedlichkeit. Und nicht nur die Kinder stehen Schlange. "Der Alte hat gerade mit einem Kleinen genäselt", ruft eine Frau entzückt. "Die haben sich geküsst." Andreas Rofner lächelt zufrieden und nippt an seinem Kaffee.

Informationen

Anreise: Mit dem Zug über Wörgl nach Kitzbühel, weiter mit dem Bus 950X nach Lienz in Osttirol. Aus Lienz fährt der Bus 955 über Huben zum Lucknerhaus. Unterkunft: Wer direkt am Startpunkt der Tour übernachten will, bucht ein Zimmer im Lucknerhaus, 46 Euro p.P. inkl. F., www.lucknerhaus.at.

Wanderung: Die Big-Five-Wanderung wird noch bis Ende September jeden Montag und Freitag angeboten. Es ist ratsam, sich einige Tage vorher per Telefon (0043 / 48 75 51 61 10) oder per Mail (nationalparkservice.tirol@hohetauern.at) anzumelden. Wer sich spontan entscheidet, kann am Tag der Tour ab 7.30 Uhr anrufen. Für die Gäste vieler Hotels und Pensionen, die Partnerbetriebe des Nationalparks sind, ist die Tour gratis. Ansonsten kostet sie 15 Euro, für Kinder ab acht Jahren neun Euro, http://nationalparkerlebnis.at.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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