Der Regen klatscht gegen die Scheiben, die Felswände der engen Schlucht zu Beginn des Eggentals rücken bedrohlich nahe, leuchten im Licht der zuckenden Blitze geheimnisvoll auf. König Laurin hüllt seine Felsenburg in ein Unwetter.
Wir tauchen ein in den Nebel, scheinen die reale Welt zu verlassen - und befinden uns plötzlich mitten in König Laurins sagenhafter Zauberwelt. Irgendwo im reinigenden Unwetter scheint es uns gelungen zu sein, den golden schimmernden Seidenfaden, der König Laurins Reich schützend umschließt, zu überschreiten.
In Watte gehüllt
Kurz vor Welschnofen bekommen die dunklen Wolken zart schimmernde rosa Ränder. Zaghaft erscheinen helle Felszinnen, beginnen im Licht der tiefstehenden Sonne zu leuchten. In Watte gehüllt liegen Rosengarten und Latemar vor uns, heißen uns Willkommen und verführen uns, einzutauchen in die Welt der Sagen und Geschichten, welche die wilden Zacken umwogen wie die Nebel.
Der Duft der dichten Wälder und der blühenden Almwiesen liegt in der klaren Luft und betört uns bei jedem Atemzug. Der Nachmittag ist spät, aber zu schön, um ihn im Hotel zu verbringen. Der "Sagenhafte Wanderpass" des Tourismusverbandes gibt uns gute Hinweise, wo wir den märchenhaften Gestalten in ihrer ureigenen Umgebung nahe kommen können.
Wir wählen den Forstweg hinauf zum Schillerhof und sind schon nach wenigen Minuten begeistert: Der Wald lichtet sich, vor uns liegt der Rosengarten. Zauberhaft spannt sich ein Regenbogen von den Felswänden weit in den Himmel hinauf. Was für ein Empfang in König Laurins Zauberbergen!
Schulbuben und die Wolfsgrube
Wir steigen vorbei an der Lengeria-Kapelle. Hier herauf kommen die Welschnofner seit Alters her mit ihren Sorgen, um einen Rosenkranz lang vor dem Bildstöckl zu Knien und die Mutter Gottes um Beistand zu bitten.
Die Schulbuben durften noch schnell an der heute noch gut sichtbaren Wolfsgrube, wo der letzte Wolf der Region sein Ende fand, hinunter ins Tierser Tal schauen und eine Brotschnitte mit Marmelade verzehren, bevor man sich, gestärkt durch den Glauben an den himmlischen Beistand, wieder dem Dorf zuwendete - meistens mit einem Korb in der Hand, um ihn unterwegs mit Tannenzapfen zu füllen.
So zumindest erzählt es uns Toni Mahlknecht, der uns am folgenden Tag in die Geheimnisse zwischen Rosengarten und Latemar einweiht. So viel wie möglich wollen wir sehen - und lernen doch als erstes, uns Zeit zu nehmen.
Denn wer mit Toni unterwegs ist, kommt nur langsam voran - zu viel gibt es zu hören, zu schauen und zu erfahren. Toni ist Wanderführer, doch vor allem ist er einer jener, leider immer seltener werdenden Menschen, welche die Geschichte jedes Hauses, jedes Berges, ja fast jedes einzelnen Steins kennen - sie sogar ein Stückweit selbst mitgeschrieben hat, als Vorstand des Tourismusverbandes, des Alpenvereins und als engagiertes Mitglied der Dorfgemeinschaft.
Immerwärender Frieden
Zum ersten Mal erfahren wir von "der Rose des Gedenkens", die den Ursprung von König Laurins sagenhaftem Rosengarten darstellt; eine Rose, wie es keine schönere gab, und die eine ständige Erinnerung sein soll an "jene gute Alte Zeit, in der es weder Hader noch Streit, sondern nur immerwährenden Frieden gab".
Doch damit war es zu Ende, als die Zwerge in König Laurins Bergen Gold fanden. Mit Schwertern und Speeren musste der sagenhaft König sein Reich nun vor den Angriffen der Neider beschützen, der Rosengarten begann zu verwildern.
Es hat in der Nacht geregnet, der Himmel scheint noch unschlüssig zu sein, ob er sich in freundliches blau kleiden, oder sich mit drohenden Wolken bedecken will.
Eine wunderschöne Wasserjungfrau
Toni fährt mit uns hinauf zum Karrersee. Noch ist es ruhig hier. Ungestört spiegeln sich die zerfurchten Wände des Latemar im sanften Grün des Wassers.
Tausende von Diamanten scheinen im Sonnenlicht zu glitzern. Kein Wunder, erzählt uns Toni, denn hier lebt eine wunderschöne Wasserjungfrau, in die sich einst der Hexenmeister von Masaré (einem der Felstürme des Rosengartens) unsterblich verliebte.
Um sie aus dem Wasser zu locken, spannte er den schönsten aller Regenbogen zwischen Latemar und Rosengarten und legte Tausende glitzernder Edelsteine ans Ufer.
Schimmer der Juwelen
Tatsächlich tauchte die schöne Nixe auf und bestaunte die Herrlichkeit. Doch sie entdeckte den Zauberer, erschrak zu tiefst und verbarg sich für immer in den Fluten. In seinem Schmerz über die verlorene Liebe riss der Hexenmeister den Regenbogen vom Himmel, zerschmetterte ihn und warf ihn mitsamt den Juwelen in den See. Und so schimmert der Karersee noch heute in den prächtigsten Farben.
Als die ersten Busse heranrollen und Massen von Touristen ausspucken ist es Zeit für uns, zu gehen, auf den Spuren der Geschichte weiterzuwandeln, hinauf zum einstigen Prachthotel, dem Grand Hotel Karrersee.
1896 wurde es von Theodor Christomanos erbaut, der mit seinem "Verein für Alpenhotels" die Dolomiten als idealen Ort für gut betuchte Gäste entdeckt und erschlossen hat.
Allerdings erst, nachdem er heftige Wiederstände überwunden, unzählige "Bureauchefs" aufgerüttelt und einen Kampf bis aufs Messer gewonnen hatte. Denn willkommen waren die wohlhabenden Fremden in den von Armut gezeichneten Gebirgstälern erst einmal nicht.
Doch Christomans wusste, welch wichtige Einnahmequelle sich dadurch für die Bevölkerung eröffnen würde. Noble Gäste, wie Agatha Christie, Karl May und Winston Churchill schöpften in dem luxuriösen Gebäude aus Naturstein und Holz Kraft und ließen sich inspirieren von der unvergleichlichen Umgebung. Heute wirkt das Nobelhotel erstarrt, versteinert, wie König Laurins Rosengarten.
Sissis Zeit
Noch immer glitzern die Kronleuchter, das mächtige Gemälde des Ortlers beherrscht den edlen Speisesaal, der wie ein Überbleibsel aus einer längst vergangenen Zeit wirkt.
Aus einigen der vornehmen Zimmer wurden Ferienwohnungen, doch ein großer Teil des einstigen Grand Hotels steht leer. Während wir ehrfürchtig über die Teppiche schreiten, lassen wir unsere Phantasie schweifen und können uns gut vorstellen, wie das Leben hier pulsierte, als Kaiserin Sisi 1897, ein Jahr vor ihrem Tod, einen Sommer hier verbrachte.
"Mich hät' sie nicht als Bergführer gewollt", meint Toni schmunzelnd, als wir kurz darauf zum Kaiserstein wandern, dem Lieblingsplatz Sisis. "Die wollte immer nur solche, die nicht reden." Wir kraxeln hinauf auf den riesigen Felsblock, der zu Urzeiten von der Rotwand heruntergestürzt ist und jetzt eine traumhafte Aussichtskanzel auf Latemar und Rosengarten darstellt.
Hier oben fand die faszinierende Kaiserin den Ort der Ruhe und Zurückgezogenheit, den sie zu jener Zeit so sehr suchte.
Zurück zu den Sagen, wir wollen dem Hexenmeister von Masarè einen Besuch abstatten. Mit dem Paolina Lift machen wir bequem Höhenmeter, wandern gemütlich hinüber zur Rotwandhütte und von dort weiter zum Einstieg des Masaré-Klettersteigs.
Die Teufelswand
Gut gesichert turnen wir an den Drahtseilen entlang über schmale Grate, steile Wände und vorbei an tiefen Abgründen. Schon rückt die Teufelswand näher, mit ihrem riesigen Loch, durch das der Teufel davon schoss, nachdem er sich beim Raubversuch einer resoluten Sennerin gehörig die Finger verbrannt hatte.
Dem Teufel begegnen wir nicht, doch das Wetter scheint verhext: Gerade noch war schönster Sonneschein, jetzt stecken wir im Nebel. Sollen wir nach dem Genussklettersteig besser abbrechen oder können wir es riskieren, weiter zum Gipfel der Rotwand zu steigen?
Die Schleier scheinen dünn zu sein, und es ist noch zu früh für Gewitter. Wir steigen weiter. Unheimlich geht es in die Tiefe, auf dem feuchten, glitschigen Felsen finden die Füße kaum halt, Nebelschwaden strecken sich um eine kleinen Felsturm nach uns aus. Wir krallen uns am Drahtseil fest und mogeln uns über die Stelle und erreichen schnell wieder einfaches Gelände.
Wildgezackte Felsen
Die Nebel lösen sich auf, als ob sie nur als Kulisse für diese ungute Stelle gedient hätten. Lange Ketten wildgezackter Felsen ziehen sich hinunter ins Fassatal, schlanke Zinnen und mächtige Türme ragen auf, als wir vom Gipfel der Rotwand die Aussicht genießen.
Doch die Wolken nehmen einen neuen Anlauf, schnell machen wir uns an den gut abgesicherten Abstieg hinunter zum Vajolonpass und zurück zur Paolinahütte. Später haben wir Zeit, um uns im Hotel in "König Laurins Bäderwelt" zu entspannen - und uns auf den folgenden Tag vorzubereiten.
Denn wir wollen König Laurins sagenhaften Spuren weiter folgen. Wir haben uns in das kleine Büchlein von Karl Felix Wolff vertieft, dort die Sage nachgelesen und König Laurins tragische Geschichte durchlitten.
Immer wieder denken wir an sein trauriges Schicksal, als wir durch das wilde, romantische Tschamin Tal hinauf zur Grasleitenhütte steigen - denselben Weg, den, so will es die Sage, die Schildmaid Sittlieb einst gegangen ist, um in König Laurins Rosenreich zu gelangen: Wir können Sittliebs Freude beim Anblick der kühnen Zinnen und Grate, die hell schimmernd vor einer drohenden Wolkenwand in den Himmel ragen, gut verstehen.
Laurins Zaubergarten
Sittlieb darf eintreten in Laurins Zaubergarten, ihn pflegen und ihn im einstigen Glanze wieder erblühen lassen. Doch noch bevor sie König Laurin in den vollendeten Rosengarten führen kann, wendet sich das Schicksal.
König Laurin will die schöne Simmhild zur Frau nehmen, ohne zu ahnen, was in Sittlieb inzwischen vorgeht... Sittlieb flieht aus dem Rosengarten und scheint auch das Glück mit sich zu nehmen.
Ausgestattet mit Tarnkappe und dem Zaubergürtel, der ihm "Zwölf-Männer-Kraft" verleiht gelingt es Laurin zwar noch, die schöne Simmhild, in sein Reich zu entführen, doch damit besiegelt er sein Schicksal: Zu ihrer Befreiung rückte der starke Dietrich von Bern an, der ist so beeindruckt von König Laurin und seinem Zaubergarten, dass er Frieden mit ihm schließen will. Aber Zwietracht wird gesät, einer misstraut dem andern, es kommt zum Kampf, König Laurin wird gefangen.
Rosen werden zu Stein
Doch er kann entkommen und kehrt zurück in seine Berge. Dort findet er seine erschlagenen Kämpfer und den herrlich leuchtenden Rosengarten: "Diese Rosen haben mich verraten", sagt er verzweifelt und verwandelte die Rosen in Stein. Nur in der Dämmerung, im Alpenglühen, erblüht der Rosengarten aufs neue.
Und einmal, so erzählt die Sage, "wird dies alles, von Kindern oder von Sängern, wiedergefunden und erschlossen werden; kein Totschlag und keine Not wird mehr sein und aus jungen Rosen wird wiederum die alte Zeit erblühen."
Wir sind es nicht, die hier oben bei der von Felswänden beschützten Grasleitenhütte den Zugang zu König Laurins Königreich entdecken. Wir finden nur eine wunderschöne Hütte, in der wir uns vom ersten Augenblick an wohl und geborgen fühlen, von der wir eigentlich nicht mehr so schnell weg möchten. Zumindest ein kleiner Ableger der Rose des Gedenkens scheint hier nach wie vor ihren Duft zu verströmen.
Auch für uns strahlt der Rosengarten im Alpenglühen noch einmal kurz auf. Wir schauen und staunen und haben eine Ahnung von der alten Zeit, wo alles schöner und besser war; bis die drohenden Gewitterwolken die Rosen aus Stein verhüllen.
Die zuckenden Blitze und der mächtige Donner erinnern uns daran, dass es Zeit wird, König Laurins Zauberwelt schweren Herzens wieder zu verlassen und in die Realität zurückzukehren - mit der Rose des Gedenkens tief verwurzelt in unserer Erinnerung.
Info Tourismusverband Rosengarten-Latemar, I-39050 Birchabruck, Tel. 0039/0471/610310, Fax 0471/610317, www.rosengarten-latemar.com