Wandern im Süden von Grönland:An der Bananenküste

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Föhn, 22 Grad Celsius und wachsende eisfreie Flächen: Im Süden Grönlands wird der Klimawandel nicht als Katastrophe, sondern als Chance gesehen. Die Einheimischen hoffen auf Wandertouristen, die die unberührte Natur entdecken.

Sven Weniger

Das Boot hat Schlagseite, so sehr setzt ihm der Sturm zu. Der Kapitän hält mit stampfender Maschine Kurs auf die Bucht, in der Thomas Grandt schon wartet. Die Landzunge bietet Windschutz. Der altmodische Kahn richtet sich auf, er wird am Holzsteg festgemacht. Grandt trägt kurze Hose und T-Shirt, wie immer, wenn der Föhn über die Berge fegt. Heute hat es 22 Grad Celsius. Seine Gäste gehen an Land, entledigen sich erstmal der Lagen aus Hightech-Jacken und Funktionswäsche, die allen Wetterfährnissen widerstehen können - und denken, sie sind im falschen Film. Denn trotz mediterraner Temperaturen dümpeln draußen Dutzende Eisberge im Fjord, zwischen denen ihre Fähre eben Slalom fuhr. Willkommen in der Arktis, willkommen in Südgrönland.

Eis am Kiel: Auf dem Weg zum grönländischen Küstenort Narsaq müssen Schiffe sogar im Sommer zwischen schwimmenden Gletscherbrocken navigieren. Aber die Luft-Temperaturen sind so hoch, dass die Wiesen wochenlang grün bleiben. (Foto: Sven Weniger)

Grandt stapelt Rucksäcke auf seinen Pick-up, wuchtet Konserven und Getränkekisten dazu. Die Gäste gehen ohne Gepäck los. Auf dem sogenannten Königsweg, der der Fahrspur folgt, verlaufe sich niemand, sagt Grandt und fährt voraus. Zu beiden Seiten falten sich Granitberge auf. Über dem hügeligen Land dazwischen liegt dichtes Gras, auf dem Schafe weiden. Von der Kuppe führt der holprige Weg hinab auf die andere Seite der Halbinsel. Unten am Wasser liegt der Ort Igaliku. Man kann die Siedlung mit dem Dutzend bunter Holzhäuser das Tor zu einer Wanderwelt nennen, die zu den unbekanntesten der Erde zählt - und zu den faszinierendsten.

Grönland, die größte Insel des Planeten, ist auf Weltkarten meist ein weißer Fleck oben links. Das mag daran liegen, dass es zu gut 80 Prozent von Eis bedeckt ist. Es zeigt aber auch, wie wenig man weiß über diesen Landblock vor Kanadas Küste, der sechsmal so groß ist wie Deutschland und 50 Mal größer als Dänemark, zu dem er gehört.

Europäern vom Kontinent gilt diese Insel vor allem als Schauplatz des Klimawandels mit schmelzenden Gletschern und Eisbären, die auf Schollen treiben. Dieser Sommer ist aus Sicht von Klimaforschern besonders alarmierend. Das Polareis ist dieses Jahr so stark geschmolzen wie noch nie. Bereits Ende Juli war erstmals fast die gesamte Oberfläche Grönlands angetaut.

Doch auf der Insel selbst werden die steigenden Temperaturen weniger als Katastrophe, sondern vor allem als Chance wahrgenommen. Besonders im äußersten Süden, einem Gebiet von der Größe Niedersachsens, das in den Sommermonaten völlig schnee- und eisfrei ist.

Kulusuk auf Grönland
:Perle am Polarkreis

Die Landschaft ist so wunderschön wie unwirtlich: Grönland ist nichts für (kälte-)empfindliche Gemüter. Doch wer sich auf die größte Insel der Welt wagt, erlebt einzigartige Naturschauspiele - und einen Wettstreit, der selbst verfeindete Familien zum Lachen bringt.

Von Andrea Landinger

Wer direkt aus Europa oder aus der Hauptstadt Nuuk dorthin reist, kommt gewöhnlich mit dem Flieger. Grönland hat keine Überlandstraßen. Das mobile Leben auf dem Land endet am Ortsende. Fast alles wird durch die Luft transportiert, und so fliegen Besucher zuerst in die Siedlung Narsarsuaq. Deren Landebahn ist eine von nur zwei auf der ganzen Insel, die lang genug für große Maschinen ist.

Jede Extrawoche Vegetationszeit eröffnet den Grönländern im Sommer neue Perspektiven für ihre Versorgung. (Foto: dpa)

Von dort geht es weiter mit Schiffen. Diese fahren von Narsarsuaq zunächst ein paar Buchten weiter zum Anleger von Igaliku, der Ortschaft, in der Grandt sein Country Hotel betreibt. Genau genommen ist dies eher eine Herberge: ein Dutzend Zimmer, Bad auf dem Flur und davor die Gastwirtschaft, die jetzt voller Wanderer ist. Die jüngsten sind gerade erwachsen, andere um die 70, unter ihnen viele Dänen, ein paar Franzosen und Niederländer. Ankömmlinge stellen ihre Stiefel im Vorraum ab und tauschen ihre Erlebnisse des Tages aus. Die beiden isländischen Köchinnen servieren Kabeljau, dampfendes Brot aus dem Ofen und Salat.

Und Grandt erzählt. Das Besondere an Igaliku sei, dass man hier Pensum und Schwierigkeit seiner Wanderungen beliebig steigern könne. Mehrtagestouren führen zu den Gletschern der Eiskappe im Inland. Deren aschgraues Schmelzwasser spült ständig enorme Mengen des an den Kanten abbrechenden Eises ins Meer. Hartgesottene Trecker können 50 Kilometer nach Qaqortoq marschieren, zum größten Ort Südgrönlands, und sind dann fünf Tage allein in der Natur. Durch das Seengebiet Vatnahverfi gegenüber dem Igaliku-Fjord kann man wochenlang mit Zelt oder von Farm zu Farm wandern. Die Bauern von Igaliku und Umgebung verleihen Pferde an Touristen und halten Schafe und Kühe. Das ist ein gutes Geschäft für die zwei Dutzend Familien des Gebiets, obwohl alle Nutztiere im arktischen Winter sechs Monate lang in den Stall müssen.

Salat wächst nun auch im Freiland

Fast alles, was die Menschen am Polarkreis zum Leben brauchen, kommt aus dem 3000 Kilometer entfernten Dänemark. Feste Schiffs- und Flugverbindungen gibt es nur nach Island und auf den europäischen Kontinent, nicht aber in die USA oder nach Kanada. So sind Lebensmittel in Grönland sündteuer, und Milch, Käse oder Fleisch aus eigener Produktion der Renner. Zugleich gibt jedes Zehntelgrad steigende Temperatur, jede Extrawoche Vegetationszeit den Bewohnern neue Perspektiven für ihre Versorgung.

Man findet keinen Grönländer, der sich über diese Entwicklung nicht freut. Kartoffeln und Rüben reifen nun besser, seit Kurzem werden Salate und Kräuter auch im Freiland angebaut. Rhabarber ist Ende Juli reif. Bei Qaqortoq und dem Ort Narsaq liegen Testfarmen, auf denen Forscher mit neuen Sorten und Anbaumethoden experimentieren. Tomaten wachsen in Treibhäusern. Draußen, in den Gärten der 1500 Bewohner Narsaqs, wiegen sich üppige Sommerstauden im Wind. Im Volksmund heißt Südgrönland nun Bananenküste. Auch Wanderer profitierten von den wärmeren Tagen und dem beständigeren Wetter.

Wer dann morgens in Igaliku aufbricht, gelangt bald auf den Weg zum Ausguck, den die Wikinger vor gut 1000 Jahren auf einem Bergplateau zur Überwachung benachbarter Fjorde einrichteten. Um 985 war der Seefahrer Erik der Rote in dieser Gegend gelandet. Er gilt als erster europäischer Siedler auf der bis dahin nur von Inuit bewohnten Insel. Heute legen Archäologen sauber behauene Granitmauern frei; nordöstlich von Qaqortoq stehen am Hvalsey-Fjord die Grundmauern der ältesten Wikingerkirche, und in Qassiarsuk wurden einige Gebäude der Nordmannen wieder neu errichtet.

Fast alles, was die Menschen am Polarkreis zum Leben brauchen, kommt per Flugzeug aus dem 3000 Kilometer entfernten Dänemark. (Foto: SZ Grafik)

Die Tagestour hoch zum Plateau offenbart die ganze Ungeheuerlichkeit einer Natur, die bis heute nahezu unberührt ist. Man folgt Schafwegen und Flüssen, um schließlich hoch über dem Qooroq-Fjord zu landen, der täglich 200 000 Tonnen Eis in Richtung Atlantik schickt. Hier ist alles XXL: die blühenden Wiesen; die steil zum Wasser abstürzenden Höhenzüge der Küste; die mächtigen Gletscherzungen, die am Horizont in die Inland-Eiskappe übergehen, die von der Ferne als weiße Linie zwischen Himmel und Erde erscheint; der Wechsel zwischen stürmischem Föhn und kalten Winden, die von der Eisdecke herabblasen. Nur die großen Wildtiere, Moschusochsen und Rentiere, halten sich in den Weiten verborgen. Und Nanuq, dem mythischen Polarbären der Inuit, ist es in Südgrönlands Sommer inzwischen zu warm.

Angst vor ausländischen Arbeitern und Uranabbau

Dafür kommen jetzt Touristen, und den Grönländern ist das recht. Denn die Einheimischen kämpfen mit den Folgen des Wertewandels westlicher Staaten, für die Seehund- und Waljagd irgendwann Teufelszeug wurden. Früher lebten die Menschen vom Meer und dem Handel mit dessen Reichtum. Das ist vorbei. Geblieben sind etwas Fisch- und Krabbenfang. So hat die nach mehr Eigenständigkeit strebende Insel zwei Optionen für neue Einnahmequellen: die Ausbeutung ihrer Bodenschätze und den Tourismus. Ersteres wird kommen. Chinesen, Australier und andere warten nur auf die Genehmigung der Regierung. Aber die Menschen haben Angst vor den vielen ausländischen Arbeitern und dem Abbau von Uran, das in Südgrönland liegt. Bleibt der Fremdenverkehr.

Wir könnten viel mehr tun, um Wandern attraktiver zu machen", sagt Grandt, der lange in Europa als Guide gearbeitet hat. Bislang gibt es kaum Wegweiser, das macht längere Trecks schwierig. Die Grönländer hätten wenig Erfahrung mit den Bedürfnissen von Ausländern.

Gerade der Süden Grönlands ist Urlaubern weitgehend unbekannt. Die meisten trekken weiter im Norden bei Ilulissat an der Disko Bay, wo auch die deutsche Kanzlerin die Klimafreundin gab. Dabei sei es dort sehr steinig, sagt Grandt. Das Grünland hingegen, das Erik der Rote einst entdeckte, findet man nur an der Südküste mit ihren frühlingshaften Temperaturen.

Informationen

Anreise: Air Greenland fliegt von Kopenhagen nach Kangerlussuaq und im Sommer auch direkt nach Narsarsuaq in Südgrönland. Ab 730 Euro hin und zurück. Reisen in Südgrönland: Air Greenland bedient ab Kangerlussuaq diverse Orte mit Flugzeug und Helikopter. Außerdem gibt es mehrmals täglich Fährdienste mit kleinen Schiffen zu den größten Siedlungen.

Veranstalter: Agenturen vor Ort nehmen individuelle Buchungen für Transport und Unterkunft vor und stellen Reisen zusammen. Die größte ist Blue Ice Explorer, www.blueice.gl; Wilderness Tours ist spezialisiert auf Fischen und Jagen: www.wilderness-tours.com

Allgemeine Infos: Offizielle Website Greenland Tourism: www.greenland.com; Tourismusvertretung Südgrönlands, Greenland Sagalands: www.sagalands.com

© SZ vom 30.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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