Süddeutsche Zeitung

Fernwanderungen:"Die Berge relativieren alles"

Fernwanderweg statt Fernreise: Wandern boomt, gerade in Corona-Zeiten. Bloggerin Romy Robst hat die Leidenschaft für lange Strecken schon vor Jahren gepackt. Ein Gespräch über Anfängerfehler, besondere Wege und das entscheidende Kilo zu viel.

Interview von Eva Dignös

Mehr als 100 Fernwanderwege gibt es allein in Deutschland, unzählige weitere in den Nachbarländern, viele überschreiten Grenzen. Der Weg als Ziel, Schritt für Schritt, das fasziniert immer mehr Menschen. Manche Routen eignen sich auch für Wintertouren, andere können eine Option sein bei der Urlaubsplanung fürs nächste Jahr: Fernwanderung statt Fernreise. Eine Woche mit dem Rucksack auf dem Rücken und Blasen an den Füßen kann aber auch furchtbar mühsam sein. Wie viel sich Einsteiger zumuten sollten und welche Anfängerfehler sich vermeiden lassen, erzählt Romy Robst: Die 38-jährige Bloggerin aus Hannover ist schon seit einigen Jahren regelmäßig auf Fernwanderwegen in ganz Europa unterwegs und beschreibt ihre Touren auf etappen-wandern.de

SZ: Frau Robst, Sie kommen aus der Nähe von Hannover, da sind die Alpen weit weg. Und doch sind Sie den gesamten Sentiero della Pace gewandert, knapp 700 Kilometer in 44 Tagen. Fast ein Dreivierteljahr haben Sie sich darauf vorbereitet. Was hat Sie in die Berge gebracht?

Romy Robst: Ich habe das Wandern lange Zeit gemieden, als jüngerer Mensch ist das Wandern ja oft ein bisschen unattraktiv, man hat das Gefühl, das ist was für alte Menschen. Aber vor sieben Jahren war ich beruflich in Österreich, hatte noch einen Tag Zeit und dachte mir: Gehe ich doch mal wandern. Völlig unvorbereitet habe ich eine Tagestour mit 1000 Höhenmetern gemacht, ich war nach den ersten zehn Minuten schon erschöpft, habe mich dann aber doch nach oben gequält und hatte das Glück, an einem tollen Bergsee zu landen. Ich war hin und weg, das Gefühl, das ich dort oben hatte, war unbeschreiblich. Seitdem habe ich jeden Urlaub mit Wandern verbracht.

Aber bei Tagestouren ist es nicht geblieben?

Nein, das hat mir tatsächlich irgendwann nicht mehr gereicht. Seit meiner ersten mehrtägigen Tour geht es mir wie vielen, die davon einfach nicht genug bekommen können: Dieses Vorankommen, von Ort zu Ort, über Bergpässe, vielleicht sogar über eine Ländergrenze, statt auf dem gleichen Weg wieder zurückzugehen, das ist großartig.

Warum? Es ist doch auch schön, sich nach einer Tour zu Hause unter die warme Dusche stellen zu können.

Zum einen ist es das Gefühl, in Bewegung zu sein. Das habe ich natürlich auch bei einer Tagestour. Aber man bleibt dabei immer im Dunstkreis von Ortschaften, von Liftanlagen. Auf einer Etappenwanderung kommt man in viel unberührtere Natur, man ist wilder unterwegs, man gelangt an Orte, die den Tagestouristen vorenthalten bleiben. Dazu kommt, dass man auf dem Rücken all das trägt, was man braucht. Es ist mental unglaublich befreiend, wenn man merkt, wie wenig man benötigt, um glücklich zu sein.

Sich beim Gepäck zu beschränken, dürfte für viele Einsteiger aber auch die erste Herausforderung einer Mehrtagestour sein.

Natürlich ist bei den ersten Touren das Gepäck immer viel zu schwer, das ist ein Prozess. Ich bin am Anfang, obwohl ich mich vom Naturell her gut von Sachen trennen kann, auch mit zehn, zwölf Kilo losgelaufen und mittlerweile wäre ich vielleicht bei fünf, wenn ich keinen Hund dabei hätte. Man hat beim Gewicht seine Komfortzone, und schon mit ein, zwei Kilo mehr kann es zur Quälerei werden.

Welche Fehler machen Anfänger noch?

Bevor man zu einer Hüttentour in den Alpen startet, sollte man auf jeden Fall über Tagestouren einzuschätzen versuchen, wie viel man leisten kann, wie viele Höhenmeter man schafft, wie steil es sein darf. Viele machen den Fehler, nur auf die Kilometer zu schauen. Das ist im Hochgebirge fatal. Auch wenn man im Flachland ohne Probleme 30 Kilometer läuft, können im Hochgebirge 20 Kilometer wirklich entkräftend sein, noch dazu in exponiertem Gelände. Gute Wanderschuhe sind natürlich wichtig, dazu Regenkleidung, aber das ist den meisten bewusst. Dass jemand in Sneakers auf eine Mehrtagestour gehen, sieht man kaum. Es ist eher umgekehrt: Man trifft Leute, die eine besonders gute Ausrüstung haben, aber körperlich und mental nicht mitkommen. Oft liegt das auch an Selbstüberschätzung: Man sagt sich, ok, ich steige jetzt zehn Kilometer auf, aber dann geht es ja nur noch bergab. Das Bergabgehen ist ja nicht unbedingt leichter, im Gegenteil: Man ist müde, die Muskulatur ist erschöpft. Die meisten Unfälle passieren beim Bergabgehen.

Sie sind meistens allein unterwegs, nur begleitet von Ihrem Hund Lotte. Warum?

Ich habe im Gegensatz zu vielen anderen überhaupt kein Problem, allein zu gehen. Ich habe dabei auch keine Ängste. Allein zu wandern, ist völlig kompromisslos. Ich muss mich nicht auf ein anderes Tempo einstellen, ich kann die Pausen dort machen, wo ich meine, dass sie gut sind, ich kann auch mal an einer Stelle länger verweilen. Und man findet, wenn man allein unterwegs ist, einen ganz anderen Rhythmus.

Man beobachtet am Berg oft, dass einer mit guter Kondition vorneweg marschiert und der oder die andere mit rotem Kopf sich bemüht, Schritt zu halten. Müsste sich der Schnellere nicht mehr auf den Langsamen einstellen?

Das klingt einfacher, als es ist. Wenn derjenige, der im Aufstieg einen schnelleren Rhythmus hat, sich an den langsameren Partner anpasst, kann das am Ende dazu führen, dass er gar nicht mehr oben ankommt, weil er seinen eigenen Rhythmus aufgeben musste. Die Kommunikation ist entscheidend. Wenn ich mit einem Partner unterwegs bin, geht jeder bergauf sein eigenes Tempo und man trifft sich spätestens oben. Das gibt jedem die Chance, in seinen Rhythmus hineinzukommen.

Haben Sie selbst Situationen erlebt, in denen Sie sich und Ihre Kräfte überschätzt haben?

Ja, das passiert immer mal wieder, auch jetzt noch. Oft sind es vermeintliche Kleinigkeiten, trotz guter Planung. Ich habe es jetzt gerade erst wieder erlebt bei meiner Tour um die Bernina-Gruppe in der Schweiz: Ich hatte am zweiten Tag eine relativ anstrengende Etappe. Der zweite Tag ist ohnehin immer der Tag, an dem es einem am schwersten fällt, weil man sich erst mal einlaufen und an die Höhe gewöhnen muss. Dann hatte ich noch schlecht geschlafen, der Rucksack war vielleicht noch ein Kilo zu schwer, und schon bin ich statt wie geplant um 17 Uhr erst um 19 Uhr, kurz vor dem Dunkelwerden, an meinem Ziel angekommen. Das passiert auch den erfahrensten Leuten. Aber der Natur ausgesetzt zu sein, macht auch den besonderen Reiz des Weitwanderns aus. Sonst ist es doch so: Wenn es gewittert, gehen wir ins Haus und dann ist es gut. Beim Wandern muss man sich mit diesen Gefahren auseinandersetzen. Wir nehmen uns oft im Alltag viel zu wichtig. Doch wenn man in dieser Alpenwelt steht, die Weite sieht, wenn man durch ein riesiges Schuttfeld läuft, dann fühlt man sich ganz klein. Die Berge relativieren alles.

Ist für Einsteiger ein Mittelgebirge aber möglicherweise die sicherere Alternative?

Die meisten Wege dort sind tatsächlich nicht so anspruchsvoll und exponiert. Es gibt schöne Routen, den Harzer Hexenstieg zum Beispiel oder den Saar-Hunsrück-Steig. Mit einer gewissen Grundkondition sind die gut zu schaffen und man ist natürlich auch näher an der Infrastruktur, falls doch mal was passiert. Ich wandere vor allem im Winter sehr gern in den Mittelgebirgen. Aber die alpinen Landschaften, die Aussichten, die man dort hat, bleiben schon etwas Besonderes. Im Harz ist man für 1000 Höhenmeter 30 Kilometer unterwegs, in den Alpen kann man das auf fünf Kilometer aufsteigen. Ob Alpen oder Mittelgebirge: Einsteiger suchen sich am besten einen Weg aus, der einen Namen hat, weil er dann meistens gut markiert ist, und für den es einen gedruckten Wanderführer oder Informationen im Internet gibt.

Der Sentiero della Pace, der Friedensweg, auf dem Sie im vergangenen Jahr acht Wochen am Stück 700 Kilometer weit unterwegs waren, hat nicht nur einen Namen, sondern auch eine Geschichte. Er folgt dem Verlauf der Front im Ersten Weltkrieg. Nimmt man die Berge noch einmal anders wahr, wenn man weiß, was dort alles geschehen ist?

Ich bin gar kein so geschichtsinteressierter Mensch, sondern eher zufällig auf den Weg gestoßen. Aber dort zu gehen, war wirklich etwas Besonderes. Zum einen, weil man in sehr unterschiedlichen Regionen der Alpen unterwegs war, aber natürlich auch wegen der historischen Aspekte. Man stößt immer wieder auf alte, halb verfallene Festungsanlagen, in die man hineingehen kann und in denen man aufpassen muss, dass man sich bei seinen Erkundungen nicht verläuft. Oder man steht auf einem Gipfel, auf 2600, 2700, 2800 Metern und stellt sich vor, wie es gewesen sein muss, mehrere Winter dort oben zu verharren. Das ist schon sehr erlebbar, weil dort oben niemand die Kriegsrelikte weggeräumt hat, die sind alle noch da.

Die Vermarktung von Wegen und Orten hat ihre Schattenseiten: Die Menschen drängen sich um die angesagtesten Instagram-Spots, gerade jetzt in Corona-Zeiten, wenn Fernreisen nicht möglich sind.

Dieser Trend hat schon vor Corona begonnen, betrifft aber vor allem Tagestouren, nicht so sehr das Etappenwandern. Natürlich gibt es einige sehr beliebte Wege, den Traumpfad von München nach Venedig oder der Malerweg in der Sächsischen Schweiz. Man muss sich dann eben überlegen, ob man so etwas gehen will. In den Mittelgebirgen gibt es zum Beispiel im Weserbergland, in der Rhön oder im Erzgebirge Fernwanderwege, auf denen nicht viel los ist. In den Alpen ist ohnehin die Hüttenübernachtung der limitierende Faktor. Im Hochgebirge habe ich selten erlebt, dass es richtig voll war. Und gerade, wenn man mit dem Etappenwandern erst anfängt, ist es manchmal ganz schön, wenn einem unterwegs auch mal einer entgegenkommt.

Über den Sentiero della Pace hat Romy Robst einen Wanderführer geschrieben: "Sentiero della Pace: Auf dem Friedensweg vom Vinschgau in die Dolomiten", Bergverlag Rother, 2020, 240 Seiten, 16,90 Euro

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