Wanderdünen:Ostwärts mit dem Wind

Sylt bröckelt - wie eine Insel um ihren Erhalt kämpft
(Foto: Carsten Rehder/dpa)

Laufen lassen oder bepflanzen? Lists letzte Wanderdünen bewegen sich durchschnittlich drei Meter pro Jahr. Deshalb wurden die meisten bereits mit Strandhafer bepflanzt und dadurch sesshaft gemacht - bis der nächste Sturm aufzieht.

Von Peter Burghardt

Eine exklusive Wanderung zum Fuß der Lister Wanderdünen war geplant, das klang vielversprechend. Jeden zweiten Freitag findet die Tour derzeit statt, sie dauert knapp drei Stunden und kostet 19 Euro. Maximal 25 Teilnehmer dürfen mitmachen, Hunde nicht, empfohlen werden wetterfeste Kleidung und geeignetes Schuhwerk. Der Ausflug führt auf unbefestigten Pfaden durch diese wunderbare, wellige Heidelandschaft im Sylter Norden, die seit 1923 unter Naturschutz steht und deshalb nur mit Sondergenehmigung betreten werden darf. Aber dann: Sturm.

Das schöne Wetter hatte sich überfallartig verzogen, orkanartiger Wind kam auf und blies verblüffend termingerecht den Herbst ins Land und nicht zuletzt auf diesen Vorposten im Meer. Die Böen kamen von Westen, von der offenen See, schwer wogte die Nordsee. Durch eine Westerländer Häuserschlucht flogen Teile von Tischen und Stühlen, die offenbar von den Balkonen von Ferienwohnungen geweht worden waren. Der Aufbau der Zelte für den Weltcup im Windsurfen vom 28. September bis zum 7. Oktober musste unterbrochen werden, die Züge über den Hindenburgdamm stellten vorübergehend ihren Dienst ein. Windstärke 12, unten in Hörnum wurden 117 Kilometer pro Stunde gemessen, oben am Ellenbogen 107. Und Elena, das erste Tief der Saison, verhinderte auch die sicher schöne Exkursion zu den größten Wanderdünen Deutschlands, hier oben, im nördlichsten Eck der Republik.

Der Ausflug wurde abgesagt, man konnte sich mancherorts ja kaum auf den Beinen halten. Wer in der Nähe von Strand oder Dünen ging, wurde sandgestrahlt. Aber wenn es so weht, dann verstärkt sich jenes Phänomen, nach dem diese hierzulande exklusiven Hügel ihre Namen verdanken: Die Dünen wandern, auf diesem Eiland von Westen nach Osten, das ist meistens die Windrichtung.

Sie bewegen sich drei bis vier Meter im Jahr, es kann auch mehr sein. Die größte von ihnen ist circa 30 Meter hoch, für norddeutsche Verhältnisse ein Berg, sie leuchtet sehr schön im Licht. Im Lister "Erlebniszentrum Naturgewalten", das man unbedingt aufsuchen sollte, gerade bei Wind und Wetter, um zu erfahren, was Wind und Wetter auf Sylt bewirkt haben und bewirken könnten, in dieser faszinierenden Ausstellung also lernen Gäste unter anderem, dass eine der Lister Wanderdünen nur noch 870 Meter von den Häusern entfernt sei. Sie erreicht diese in voraussichtlich 250 Jahren, eventuell früher, je nach Wind. Man kann die Bewegungen nachvollziehen, indem man an einer Kurbel dreht.

Bei der Wanderdüne nahe der Landstraße dürfte es noch deutlich schneller gehen, bis der Sand auf Asphalt stößt. Es gibt Experten, die für diesen Ernstfall den Bau eines Tunnels anregen. Denn ansonsten gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder die wandernde Düne verschüttet eines Tages die Fahrbahn. Oder sie muss vorher gestoppt werden, das geschieht klassischerweise durch Bepflanzung mit Strandhafer. Sylt war und ist geprägt von Dünen, Meer und Wind, mehr noch als von Reetdachvillen, Porsches und Partys. Orkane, Sturmfluten und Springfluten mit Namen wie Vincinette, Anatol, Xaver oder Herwart haben der Insel schwer zugesetzt, sie verändern seit Jahrtausenden ihre Form. Ganz früher gehörte Sylt sogar zum Festland, inzwischen droht die Südspitze abzubrechen, die Hörnum-Odde. Der Küsten- und Naturschutz verhindern das Schlimmste. Die meisten Dünen wurden vom Menschen mit Hilfe von Pflanzen gebremst. Andere begruben, was in ihrem Weg stand, wie die alte Kirche in Rantum.

"Kennen Sie die Dünen bei List auf Sylt?", schwärmte einst Thomas Mann. "Man muss sie sich verfünffacht denken, man glaubt, in der Sahara zu sein." Alles sei "weglos, nur Sand, Sand und Himmel." Und noch drei von ihnen wandern, manchmal im Sturm.

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