Walhaie beobachten in Westaustralien:Raumschiff voraus

Manche Taucher vergessen vor Ehrfurcht das Atmen: Der Walhai ist der größte Fisch des Planeten - lautlos, schwerelos, unwirklich wie ein gewaltiges Raumschiff. Nirgends sonst auf der Welt kann man so viele Walhaie beobachten wie am Ningaloo Reef in Westaustralien - sogar ohne Tauchkurs.

Sven Weniger

Zwei Stunden dauert der Flug von Perth Richtung Norden nach Exmouth. Schon in aller Frühe ist die Boeing randvoll. Die meisten Männer tragen abgewetzte Klamotten und orange Warnwesten. Sie wollen zurück auf ihre Offshore-Plattformen. 20 Meilen vor der Küste des North West Cape fördern sie Erdöl und Gas. Nach ihrer Zweiwochenschicht fliegen sie wieder in die Hauptstadt zurück.

Walhaie machen Fischer zu Anwälten des Meeres

Rätselhafte Meeresbewohner: Wissenschaftler glauben, dass Walhaie die Meere schon seit 250 Millionen Jahren bevölkern, genau weiß das allerdings niemand. Auch ihre Zahl und ob sie eine gefährdete Art sind, ist nicht bekannt.

(Foto: dpa)

Perth ist mit 1,6 Millionen Einwohnern die einzige Großstadt in Westaustralien. Im Rest des Bundesstaates, den sie hier nur "WA", sprich "Dabbelju Äi", nennen und der siebenmal größer ist als Deutschland, verlieren sich gerade mal eine halbe Million Siedler. Als die Hubschrauber mit den Ölarbeitern zum Weiterflug von der Landebahn in Exmouth abheben, bleiben nur eine Handvoll Leute zurück, die in das 1500-Seelen-Nest wollen. Das Land hier ist weitgehend menschenleeres Outback.

So war es reiner Zufall, dass man vor kaum 30 Jahren die Walhaie entdeckte. 1967 errichteten die Amerikaner hier eine gigantische Funkanlage für ihre U-Boot-Flotte. Mit ihnen kamen die Australier, um den Militärs mit ein paar Pubs beim Geldausgeben zu helfen. Den Wirten folgten die Krabbenfischer, die beste Fanggründe antrafen und schließlich die mysteriösen Giganten der Meere entdeckten.

Jacques Cousteau filmte die Walhaie und machte sie in aller Welt bekannt. Ganze zwei Exemplare hatte der Franzose zuvor in 20 Expeditionsjahren zu Gesicht bekommen. Hier glitten die scheuen Dinosaurier der Tiefe zuhauf durch das Flachwasser des Ningaloo Reef, eines 260 Kilometer langen Riffs direkt vor der Halbinsel - eine Sensation.

Seltsam lärmende Atemlosigkeit

Andy stellt sich vor. Wie ein Wasserfall rattert der kleine Glatzkopf die Namen seiner Tauchcrew herunter, gibt Anweisungen, Erklärungen, Verhaltensregeln, die im dröhnenden Motorenlärm seines Schiffs untergehen. Das pflügt vom Tantabiddi Beach aus das North West Cape entlang, während die Gäste sich in ihre Neopren-Anzüge zwängen, Masken und Schnorchel testen.

Über uns kurven Cessnas, als übten sie für eine Flugschau. Das sind die Walhai-Späher. Ihnen entgeht kein Schatten unter der Meeresoberfläche, schon gar keiner, der acht Meter lang ist. Eine seltsam lärmende Atemlosigkeit herrscht anfangs an Bord, die nicht recht passen will zu einer Weltgegend, die für Europäer an Entschleunigung kaum zu überbieten ist. Man muss nur zur Küste zurückschauen.

Dort durchzieht eine von Erosion konturenlos geschliffene Hügelkette wie ein Rückgrat die Halbinsel - das Cape Range. Flaches Buschwerk und das allgegenwärtige Spinifex-Gras sprenkeln die rostrote Trockenzone. Die erinnert in der zum Pazifik auslaufenden Ebene an afrikanische Steppen, bloß ohne Tiere. Kein Haus, kein Baum - nichts hält das Auge fest. Selbst die vielen Sendemasten der US-Navy fallen kaum auf, obwohl jeder einzelne höher ist als der Eiffelturm. Dieses leere Land mit seinen ungeheuren Dimensionen schnurrt alles auf Spielzeuggröße zusammen und bremst den Puls schneller als jeder Betablocker.

Keine hektischen Bewegungen, kein zähnestarrendes Gebiss

"Whale Shark!" Andy hüpft von der Brücke herab, im Funk quäkt die Stimme des Cessna-Piloten. Die Tauchguides rufen ihre Gruppen zusammen, der Adrenalinpegel steigt. Was geht unten vor? Zunächst gibt es Korallenbänke in kräftigen Farben und bizarren Formen zu sehen, durch die knallbuntes Fischvolk zieht. Dann schickt uns Andys Ausguck vom Boot aus in tieferes Wasser, direkt auf das Wesen zu, das uns schemenhaft aus dem Zwielicht entgegenschwimmt, nein, schwebt, lautlos, schwerelos, unwirklich wie ein gewaltiges Raumschiff. Der größte Fisch des Planeten.

Walhaie

Der Walhai beflügelt die Phantasie über das, was die Ozeane noch vor uns verbergen. Anders als einem Wal kann man sich ihm gefahrlos bis auf kurze Distanz nähern. Wenn er sich gestört fühlt, taucht er einfach ab in die Tiefsee.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Ein Schwung der vertikalen Schwanzflosse, die hoch wie ein Mann ist, und das Tier gleitet majestätisch vorbei. Keine hektischen Bewegungen, wie sie für Haie typisch sind, wenn sie Beute suchen, kein zähnestarrendes Gebiss, das Angst einflößt. Dieser sanfte Riese öffnet einfach sein flaches Breitmaul und lässt 6000 Liter Wasser pro Stunde hindurchströmen, aus denen die Kiemen Plankton und Algen filtern.

Gebannt starren die Taucher auf das Vexierspiel aus weißen Flecken und Streifen, das den beige-braunen Rücken des Fisches wie ein Tarnnetz inmitten der Lichtreflexe des Wassers überzieht. Geduldig lässt er uns an seiner Seite mitpaddeln, ebenso wie Makrelen, Schiffshalter und andere kleine Fische, die als ständige Begleiter mit ihm unterwegs sind. Schwer abschätzbar, wie lang er ist. Manch einer vergisst vor Ehrfurcht das Atmen und muss, nach Luft keuchend, auftauchen.

Walhaie sind den Forschern ein Rätsel. Kläglich ist unser Wissen über Herkunft, Verhalten, Lebensspanne, Reiserouten. Bis zu 18 Meter lang können sie wohl werden, mehr als 30 Tonnen schwer. Wissenschaftler glauben, dass sie die Meere schon seit 250 Millionen Jahren bevölkern. Nicht einmal ihre Zahl und ob sie eine gefährdete Art sind, ist bekannt.

In einigen asiatischen Ländern werden sie gejagt. Auf taiwanesischen Märkten wird ihr Fleisch als Delikatesse verkauft. Obskure Sammler bieten für eine Rückenflosse 15.000 Dollar. Die Philippinen, wo oft Walhaie auftauchen, verboten die Jagd erst, als Naturschützer vorgerechnet hatten, dass ein lebendiger Walhai als Touristenattraktion lukrativer ist als ein toter. Der Walhai beflügelt die Phantasie über das, was die Ozeane noch vor uns verbergen. Anders als einem Wal kann man sich ihm gefahrlos bis auf kurze Distanz nähern. Wenn er sich gestört fühlt, taucht er einfach ab in die Tiefsee.

Das größte Saumriff Australiens

Das Ningaloo Reef zieht Walhaie offensichtlich an. Nirgendwo sind sie so sicher anzutreffen und zu beobachten wie hier. Ein halbes Dutzend werden wir insgesamt zu sehen bekommen. Ein möglicher Grund ist, dass Strömungen große Mengen Krill ins Flachwasser treiben. Die beste Zeit ist von März bis Juli. Dann laichen die Korallen, trüben die See milchig, und es ist für Walhaie angerichtet.

Doch während das Great Barrier Reef im Osten Australiens Jahr für Jahr Zehntausende Besucher anzieht, verlieren sich hier nur wenige an den strahlend hellen Stränden. Dabei ist das größte Saumriff Australiens, das im Ningaloo Marine Park seit 1987 geschützt wird, weitaus besser erlebbar. In Sichtweite liegt es vor der Halbinsel. In wenigen Minuten sind die Boote dort, gefährliche Raubfische werden in Küstennähe nicht gesichtet.

Um Korallen, Mantas, Clownfische und, je nach Jahreszeit, Meeresschildkröten und Walhaie zu beobachten, muss niemand einen Tauchkurs belegen. Ein Sprung ins Meer, und schon geht das Abenteuer los. In der seichten Turquoise Bay, wenige Autominuten südlich des Tantabiddi Beach, können Schnorchler sogar direkt vom Strand zum Riff schwimmen.

Tourismus ist der beste Garant für den Umweltschutz

Allerdings ist die Infrastruktur für Urlauber begrenzt. So schön die Strände in Riffnähe sind, es gibt dort keine Restaurants, Lokale, Geschäfte. Ein Toilettenhäuschen pro Parkplatz, ein paar Erklärungen zur Umgebung - das ist alles. Besucher müssen alles selbst mitbringen und werden aufgefordert, selbst die kleinste Verpackung wieder mitzunehmen. Nur Exmouth bietet ein paar Hotels, Pizzerien und Supermärkte.

Auch an Bord gibt es Mittagessen. Andys Crew hat ein üppiges Buffet aufgetischt. Nur eine Handvoll Bootseigner wie er fährt zum Whale Shark Watching. Noch ist es ein Nischengeschäft. Die Saison ist kurz. Und außerhalb der australischen Schulferien, wenn sich die Küstenregion für einige Zeit belebt, trifft man hier nur Backpacker, die einen der wenigen Jobs in der Hotellerie suchen. Die Regierung animiert sie dazu mit ihrem "Work and Travel"-Programm, das es Jugendlichen ermöglicht, ein Jahr lang im Land zu reisen und zu jobben.

Tourismus ist der beste Garant für den Umweltschutz am Ningaloo Reef. Die Gäste der teuren Tauchtouren - etwa 250 Euro kostet ein Tagesausflug - sind die einzige Einkommensquelle neben Fischfang und Ölindustrie. Je größer das Interesse am Riff und seinen Bewohnern, desto geringer die Gefahr, dass ihm zu Leibe gerückt wird.

In der Exmouth Bay zwischen Halbinsel und Festland haben die Schleppnetze der Garnelenfänger das Riff bereits schwer in Mitleidenschaft gezogen. Noch stören die Offshore-Plattformen den Zug von Walhaien, Orcas und Delfinen nicht. Aber eine große Verladepier innerhalb der Bucht ist in Planung. Niemand weiß, was passieren wird, wenn ständig Schiffe die Reisewege der Tiere kreuzen.

Um die Forschung zu unterstützen, fotografieren Andys Leute mit Unterwasserkameras den Rückenbereich hinter den Kiemen der Walhaie. Das Fleckenmuster ist einzigartig wie ein Fingerabdruck. So hofft man, mehr über die genaue Anzahl der Tiere und ihre Wanderrouten zu erfahren. Gut 1200 wurden bis heute weltweit erfasst.

Am Nachmittag sind die Augen der Taucher gerötet, so lange waren sie im Wasser. Doch niemand kann sich sattsehen an den sanften Giganten, in deren Nähe wir Menschen einfach nur ganz, ganz kleine Fische sind.SVEN WENIGER

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: