Vulkane in Ecuador:Atemlos am Rand des Abgrunds

"Mir wurde gelb vor Augen": Naturforscher Alexander von Humboldt ließ sich von keinem Aufstieg abbringen - eine Nachbesteigung auf drei Vulkane.

Antje Weber

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Dies also ist ein guter Tag für den Beginn einer Erkundungsfahrt auf den Spuren Alexander von Humboldts, der den Anden-Abschnitt südlich der Kolonialstadt Quito die "Straße der Vulkane" taufte.

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Mehrere Monate lang hielt sich der Naturforscher 1802 auf seiner Südamerika-Expedition in dieser Gegend auf. Unermüdlich bestieg er unter widrigsten Umständen einen Vulkan nach dem anderen, vermaß alles, notierte fast alles, nahm Pflanzen-, Gesteins-, ja sogar Luftproben und stellte die Belastbarkeit seiner Gefährten auf stets neue Proben.

Der Ruhm dieses unerschrockenen Abenteurers, dieses geradezu verrückt Waghalsigen, ist auch 150 Jahre nach seinem Tod am 6. Mai 1859 nicht verblasst. Lässt sich seine Art des Reisens und Denkens heute noch nachvollziehen? Wie sehr hat sich die Bergwelt der Anden seit Humboldt verändert?

Annäherungsversuche an einen großen Mann und ein paar ziemlich hohe Berge.

Repro: dpa

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I. Der Guagua Pichincha

Hier irgendwo vor uns muss es sein, das Innere des Vulkans. Zu sehen ist nichts, wir sitzen in einer Welt aus Watte am Rande des Abgrunds. Zwei Menschen allein in der unendlichen Stille der Berge, an einen Felsen gekauert auf der Suche nach Schutz vor dem schneidenden Wind.

Der bisherige Aufstieg zum Kraterrand des Guagua Pichincha auf 4600 Metern Höhe war problemlos: Der Vierradantrieb eines leidlich geländegängigen Autos hat uns trotz scharfer Kehren, Schlaglöchern und Matschrinnen zunächst zu einer Schutzhütte gebracht. Von dort aus sind wir die letzten paar hundert Meter zum Kraterrand hochgestapft.

Vorbei an ein paar Schneeresten, an viel grauem Gestein. Langsam, tief durchatmend, das leichte Pochen im Kopf ignorierend. Und nun?

Nicht dass es Humboldt am 14. April 1802 besser ergangen wäre, im Gegenteil.

Soldaten auf Rettungsmission am Gipfel des Pichincha, Foto: AP

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Von acht Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags stieg er zu Fuß von Quito aus mit einigen Begleitern - unter ihnen wie stets der französische Botaniker Aimé Bonpland - zu den Gipfeln von Rucu und Guagua Pichincha hoch. Eine mühselige Angelegenheit, zumal die Bergführer den Weg nicht kannten, wie er in seinen Reisebeschreibungen klagt.

Die Sicht allerdings war gut, und Humboldt stellte erste Fernanalysen an: "Die Bergspitzen des Guagua Pichincha, den Ruinen eines alten Schlosses ähnelnd, scheinen von weitem wie Basaltsäulen gebildet."

Auch an diesem Morgen im Jahr 2009 werden die Wolken endlich lichter. Ein paar Bergzacken sind zu erkennen, eine Rauchfahne - und ein Mensch, der sich auf einem Pfad von oben nähert.

Heute hätte es Humboldt zumindest auf der ersten Wegstrecke einfacher: Seilbahn auf die Hänge des Pichincha, Foto: AP

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Als er neben uns steht, ist die Stille jäh vorbei: Der Mann trägt ein plärrendes Radio in der Hand, es ist der Hüttenwart auf seiner täglichen Beobachtungsrunde.

"Steigt noch etwas höher, da habt ihr einen besseren Blick", rät er, ein Tuch so hoch über Mund und Wangen gezogen, dass man die Worte kaum versteht. "Der Rauch ist normal, manchmal ist es mehr", sagt er noch mit einem Kopfnicken in Richtung Krater, bevor er davontrottet, zurück zur Hütte.

Ein paar Meter weiter oben ist der Blick in den Krater und über die Berge tatsächlich auf einmal ungetrübt. Eine unheimliche Urlandschaft tut sich auf - ein paar winzige Seen im Gestein, ein paar Löcher, aus denen es dampft, dazu der Blick über das Wolkenmeer, das sich von der Andenkette in Richtung Küste erstreckt.

"Welche Zerstörung, welche chaotische Unordnung besonders auf der Seite zum Meer!", staunte schon Humboldt. "Wie dieser Vulkan bearbeitet worden ist!"

Blick von der Seilbahn auf Quito, Foto: Reuters

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Humboldt beschäftigten jedoch bald andere Sorgen: Die Kälte quälte ihn, er hatte "entsetzliche Kopfschmerzen", und an einer "schrecklichen Felswand" blieb er zurück: "Ich war allein. Der Schwindel verstärkte sich. Mir wurde gelb vor Augen. Mein Mut verließ mich nicht. Ich nahm die letzten Kräfte zusammen. Am Scheitelpunkt dieser Wand angekommen, fiel ich in Ohnmacht. Man sah mich auf der Erde ausgestreckt. Man brachte mir Wein. Das gab mir das Bewusstsein wieder."

Gut 200 Jahre später ist das Schicksal gnädiger: Nach dem Abstieg zur kargen Schutzhütte bringt der Wächter zwar keinen Wein, aber doch heißes Wasser und Teebeutel. Über ein leichtes Kopfdrücken geht das Unwohlsein nicht hinaus - doch die Anstrengungen, die Humboldt unternahm, lassen sich mit einer heutigen Kraterrandtour auch nicht vergleichen. Bei einer zweiten Pichincha- Expedition kletterte Humboldt sogar in den Krater hinunter, stürzte dabei fast von einer Schneebrücke ab, spürte Erdbebenstöße und notierte entsetzt: "Ich habe nichts in der Welt gesehen, was mir einen tieferen, aber gleichzeitig auch unangenehmeren Eindruck gemacht hätte."

Rauchender Krater des Pichincha, Foto: AP

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Heutzutage darf man nur mit Führer in den Krater steigen - der Vulkan kann jederzeit aktiv werden, "und im Moment gilt die gelbe Warnstufe", wie Hüttenwart Rodrigo Viracucha erklärt. Das ist zwar die niedrigste von drei Alarmstufen, aber immerhin. An den Wänden hängen Verhaltensregeln für den Fall eines Vulkanausbruchs.

Und ein Zeitungsfoto der letzten Explosion 1999: Damals stieg eine Aschewolke empor, deren Form an einen Atompilz erinnerte. Der heute 53-jährige Viracucha tat damals gerade Dienst auf der Hütte. "Riesengroß" sei die Wolke gewesen, erzählt er. "Doch hier kam nicht viel Asche her, das meiste ging über Quito runter."

Der Hüter des Vulkans und einiger Messstationen zuckt die Achseln: "Wenn die Zeit kommt, wird der Vulkan wieder ausbrechen. Niemand weiß wann." Hinter ihm hängt ein verrostetes Schild zu Ehren Humboldts. "Ich weiß nichts über ihn", sagt Viracucha und räumt die Plastikbecher ab: Zeit zum Aufbruch vor dem nächsten Ausbruch.

Aschewolke über dem Guagua Pichincha 1999, Foto: Reuters

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II. Der Cotopaxi

Für Humboldt war er "der schönste Kegel der Welt". Als er den Gipfel des Cotopaxi am 28. April 1802 zu erreichen versuchte, hatte es zuvor stark geschneit, was nicht nur die "botanischen Forschungen sehr behinderte", sondern die ganze Expedition erschwerte: "Der arme Joseph, der das Barometer trug, litt unendlich", notierte Humboldt. "Barfüßig lief er drei Stunden lang über den Schnee und verlor seine gute Laune nicht."

Humboldt schaffte es nicht bis oben und verwandte den Rest des Tages darauf, Hirsche zu jagen. "Zum Krater des Cotopaxi zu gelangen, erscheint unmöglich, selbst wenn der König Berghütten anlegen ließe", resümierte er. "Der Hang des Kegels ist so steil. Man wüsste nicht, wohin man den Fuß setzen soll."

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Heute duckt sich eine Hütte auf 4800 Metern, sie ist Ausgangspunkt für den alltäglichen Gipfelsturm. Zu Humboldts Zeiten reichte der Gletscher bis mindestens hierhin, heute liegt nur noch etwas Schnee auf dem Vulkangestein.

Infolge der globalen Erderwärmung schmelzen auch die ecuadorianischen Gletscher dahin: "Die Berge haben sich zu meinen Lebzeiten sehr verändert", erzählt der 45-jährige Bergsteiger Germán Jara bei einem Tee in der kühlen Hütte. "Das ist traurig, aber dagegen kann man wohl nichts tun."

Seit seiner Kindheit zieht es Jara nach oben: "Auch wir hatten vor 30 Jahren noch eine schlechte, selbstgebastelte Ausrüstung, nicht viel besser als Humboldt. Was haben wir gefroren!"

Vermessung am Cotopaxi, Foto: AFP

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Trotzdem ließen ihn die Berge nicht los. Allein auf dem Cotopaxi war Jara geschätzte 600 Mal, und auch in dieser Nacht will er wieder einen Touristen nach oben führen: um Mitternacht loslaufen, im ersten Morgenlicht den Kraterrand auf 5897 Metern Höhe erreichen und dann schnell zurückgehen, bevor der Schnee in der Äquatorsonne zu weich wird.

Den meisten Gipfelstürmern gehe es heute allerdings nur um "Eitelkeit und sportlichen Ruhm", bedauert Jara. "Es fehlt der Geist von Humboldt, seine Leidensfähigkeit. Seine Liebe zur Natur und seine Kraft waren außergewöhnlich."

Diese Kraft kann einem auf einer Höhe von 4800 Metern schon ausgehen, ohne dass man sich bewegt.

Krater des Cotopaxi, Foto: iStock

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Der Kopf schmerzt, der Magen drückt, man atmet tief und tiefer ein, um das letzte bisschen Sauerstoff aus der dünnen Luft zu saugen. Jetzt noch über tausend weitere Höhenmeter nach oben stapfen?

Rund 30 Mutige versuchen es in dieser Nacht. Mindestens ein Drittel scheitert; völlig erschöpft, mit grauen Gesichtern, kehren sie vorzeitig zurück. Germán Jara jedoch gelingt es einmal mehr: Auf dem Gipfelfoto sieht man ihn mit seinem Begleiter um die Wette strahlen.

"Wenn die Berge dich rufen, kannst du dem nicht entkommen", hat er am Vorabend gesagt. "Für Humboldt gehörten die Vulkanbesteigungen zu den stärksten Erinnerungen seines Lebens. Ich kann das verstehen."

Bergsteiger auf dem Cotopaxi, Foto: AFP

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III. Der Chimborazo

Am 23. Juni 1802 nahm sich Humboldt den Chimborazo vor, den mit 6310 Metern höchsten Berg der "Straße der Vulkane". Es war die letzte Expedition dieser Art - und die schwierigste. Seine Begleiter, "vor Kälte erstarrt", wurden mit jedem Höhenmeter weniger.

Der Sauerstoffmangel machte sich bemerkbar. "Außerdem bluteten uns das Zahnfleisch und die Lippen. Das Weiße unserer Augen war blutunterlaufen." Dazu kam "ständiger Schwindel".

Die Ausrüstung: "Wir trugen kleine Stiefel, einfache Kleidung, waren ohne Handschuhe." Mit blutigen Händen und Füßen voller Geschwüre gegen spitze Felsen stoßend, "gezwungen, jeden Schritt zu berechnen, da man den von Schnee bedeckten Weg nicht mehr sah - so war meine wenig vergnügliche Lage".

Foto: AP

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Humboldt und seine Begleiter kapitulierten kurz vor dem Gipfel. Immerhin konnten sie sich rühmen, "die größte Höhe, auf die wir selbst (und jemals ein Mensch) gelangt waren", erstiegen zu haben.

Natürlich ist auch der Chimborazo seither viele Male erklommen worden, an den Erstbezwinger erinnert heute die Edward-Whymper-Hütte auf 5000 Metern Höhe.

Dort vor der Tür im Schnee kann man die schroffen Hänge emporblinzeln und zur Not noch einen letzten klaren Gedanken fassen, bevor es einem, wenig vergnüglich, gelb vor Augen wird und man in Ohnmacht fällt: ohne mich!

Foto: AP

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Informationen:

Anreise: Mit Iberia oder LAN über Madrid oder mit KLM über Amsterdam nach Quito, hin und zurück ab circa 900 Euro.

Unterkunft: Haciendas am Fuße des Cotopaxi, die einst schon Humboldt besuchte: Hostería San Agustín de Callo, incahacienda.com; Hostería La Ciénega, hosterialacienega.com

Bergsteigen: Im Prinzip sind alle Gipfel Ecuadors von erfahrenen Bergsteigern bei guter Höhenakklimatisierung zu bewältigen. Nie ohne Führer gehen!

Grafik: SZ / Hanna Eiden

(SZ vom 16.4.2009 / kaeb)

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