Vulkan-Nationalpark in Neuseeland:Zum Schicksalsberg von Mordor

Neuseeland Ludwig See in der Vulkanlandschaft des Tongariro Nationalparks

Mindestens sieben bis acht Stunden dauert es, den Tongariro Nationalpark zu Fuß zu durchqueren - vorbei an leuchtend blauen Kraterseen und Geysiren, stets den 2287 Meter hohen Feuerberg Tongariro im Blick.

Der Tongariro-Nationalpark spielt im Film "Herr der Ringe" das düstere Reich Mordor - der echte Feuerberg ist noch sehenswerter.

Von Stefan Spath, Neuseeland

Für zwei Schritte nach oben rutscht man auf dem Vulkangeröll unweigerlich einen bergab. Zäh lässt sich der Abstecher auf den Ngauruhoe an, doch der makellos blaue Himmel über dem Tongariro Nationalpark hat eine klare Botschaft parat: Jetzt oder nie!

Der 2287 Meter hohe Feuerberg ist das Sahnehäubchen auf der wohl schönsten Tageswanderung Neuseelands. Sieben bis neun Stunden Gehzeit, 19,4 Kilometer Länge, mindestens 800 Höhenmeter - das sind die Eckdaten der "Tongariro Alpine Crossing", die einen einzigartigen vulkanischen Mikrokosmos im Zentrum der Nordinsel erschließt.

Wer vom Nordende des Tracks losmarschiert, muss zwar mehr Höhenmeter investieren, bekommt aber dafür das große Finale zum Schluss serviert. Dampfsäulen aus den Te Maari-Kratern und den heißen Quellen von Ketetahi ziehen den Wanderern voran - ein Signal, dass die Urkräfte, die diesen Teil der Erde geformt haben, von Ruhestand nichts halten. Nur einer kleinen Rempelei zwischen der Indisch-Australischen Platte und der Pazifischen Platte 75 Kilometer unter der Erdoberfläche bedarf es, damit einer der Vulkane am pazifikumspannenden "Ring of Fire" zum Leben erwacht.

2012 war es im Herzen der Nordinsel soweit. Wie aus dem Nichts spuckte der Tongariro eine Wolke aus Asche und Schwefeldämpfen aus und sorgte für Panik auf den Wanderwegen. Gesteinsbomben durchlöcherten das Dach der Ketetahi-Schutzhütte, die man nach zweistündigem Aufstieg erreicht. Heute wird sie nur mehr als Unterstand genutzt.

Tongariro brannte der Region vor zwei Millionen Jahren die ersten Feuermale auf. Längst ist der "Vater der Vulkane" erodiert, seine Wut findet in einem Wirrwarr von Kratern, Rissen und Fumarolen sein Ventil. Im Gegensatz dazu stellt der Ngauruhoe, der die Skyline auf dem Vulkanplateau beherrscht, einen nahezu perfekten Kegel zur Schau. "Nar-aa-ho-ii" - so wird die Schönheit ausgesprochen - befeuerte auch die Phantasie der Maoris.

Einst, so heißt es in einer Legende der Ureinwohner, wollte der Priester Ngatoro-i-rangi den Anspruch seines Stammes auf das Gebiet um den Lake Taupo mit einer Besteigung der Tongariro-Berge untermauern. Nur die Sklavin Auruhoe sollte ihn auf den Gipfel begleiten. Als der im Tal zurückgebliebene Tross das ihnen auferlegte Fastengebot missachtete, geriet der Vulkangott Ruaumoko in Rage und schickte einen verheerenden Schneesturm über das Land. Die Götter der sagenumwobenen Urheimat Hawaiki setzten zwei Feuerdämonen in Marsch, die dem Priester zu Hilfe eilten.

Wo immer sie auftauchten, begann die Erde zu brodeln. So entstanden die Vulkaninsel White Island, die Geysire von Rotorua und die Feuerberge von Tongariro. Mit heißem Dampf, den sie an die Oberfläche bliesen, retteten die Dämonen Ngatoro-i-rangi vor dem Erfrierungstod. Er opferte ihnen dafür Auruhoe. Seither trägt der mit 7000 Jahren jüngste der Tongariro-Vulkane ihren Namen.

Rostrot, schokoladenbraun, basaltgrau und pechschwarz sind die Farben der vulkanischen Hochebene. Ein Land wie geschaffen für Peter Jackson, der um die Jahrtausendwende einen möglichst trostlosen Schauplatz für den Showdown seiner "Der Herr der Ringe"-Filmtrilogie suchte. Tricktechnisch aufgemotzt wurde der Ngauruhoe zum "Schicksalsberg" - zum Mount Doom, in den der Hobbit Frodo den Ring wirft, um Mittelerde vor der Versklavung durch den dunklen Herrscher Sauron zu bewahren.

Gedränge wie bei einem Ork-Aufmarsch

Die spektakulären Kinobilder führten dem Nationalpark Heerscharen von Besuchern zu. Böse Zungen bezeichnen die Tongariro Crossing mittlerweile als "Trampelpfad durch Mordor", und an manchen Aussichtspunkten herrscht ein Gedränge wie bei einem Ork-Aufmarsch.

Die Muße, die Schönheiten am Wegesrand zu genießen, sollte man sich trotzdem nehmen. Etwa den Anblick der Emerald Lakes, die am Fuß des zerborstenen Red Crater auftauchen und die eintönige Farbpalette plötzlich um eine Orgie aus Türkis-, Smaragd- und Blautönen bereichern. Wie Tinte leuchtet in einiger Entfernung der Blue Lake. Der steile Zick-Zack-Aufstieg zum Kraterrand des Ngauruhoe lohnt dafür nur bei Schönwetter.

600 Höhenmeter extra gehen ordentlich in die Beine - doch der Ausblick ist phantastisch. Im Süden glitzern die Schneefelder des Ruapehu, der seine Vulkan-Brüder mit 2800 Meter Höhe um einiges übertrifft. Im östlichen Regenschatten breitet sich die Rangipo-Wüste aus. Der Schlund des Ngauruhoe ist teilweise kollabiert, Schwefelaroma hängt in der Luft.

Für die Maoris des Tuwharetoa-Stammes war die Legende von der Geburt der Vulkane mit einem Verbot verknüpft, den Feuerbergen zu nahe zu kommen. Um dieses "tapu" scherten sich die europäischen Siedler wenig.

1839 kletterte John Bidwill als wahrscheinlich erster "pakeha" auf den damals gerade aktiven Ngauruhoe. "Der furchteinflößendste Schlund, in den ich je geblickt habe", notierte der Botaniker. Die Maoris jagten den Frevler davon. Doch sie deuteten die Episode als böses Vorzeichen. Schließlich trat der Oberhäuptling Te Heuheu Tukino IV. die Flucht nach vorne an. Mit der Auflage, Tongariro offiziell unter Schutz zu stellen, machte er im Jahr 1887 die Vulkane der Nation zum Geschenk und schob so der drohenden Ausbeutung der heiligen Berge einen Riegel vor.

Doch nichts änderte sich daran, dass immer mehr Besucher die schillernden Kraterseen, die bizarren Basaltformationen und die dampfende Schlote des Nationalparks mit eigenen Augen sehen wollten. 2014 registrierte das Department of Conservation (DOC), das die Wanderwege im 800 Quadratkilometer großen Nationalpark verwaltet, erstmals mehr als 100 000 Wanderer auf der Alpine Crossing.

Ranger Stephen Moorhouse vom DOC-Center in Ohakune hat einen Tipp parat. "Im Sommer so früh wie möglich aufbrechen - oder die Tour später beginnen. Und wer es sich einteilen kann, weicht besser auf Mai/Juni oder die Monate Oktober und November aus". Egal ob Hoch- oder Nebensaison: Ohne alpine Ausrüstung ist die Wanderung tabu.

Denn dass einem Ruaumoko mit einer Fußbodenheizung zu Hilfe eilt, darauf kann man sich bei den Wetterstürzen, für die der Nationalpark auch bekannt ist, nicht verlassen.

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Tongariro-Nationalpark auf der Nordinsel von Neuseeland

(Foto: SZ Grafik)

Informationen

Shuttle-Services bringen die Wanderer zu den Start- und Endpunkten der Tongariro Alpine Crossing. Die App für die Wanderwege findet man unter www.tongariro.org.nz/pocketranger. Auch mehrtägige Trekkings, etwa auf dem Tongariro Northern Circuit, sind möglich. Hütten und Campingplätze bieten Übernachtungsmöglichkeiten (Reservierung erforderlich).

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