Süddeutsche Zeitung

Vorarlberg:Experimente auf der Alm

Von wegen nur Kühe und Käse: Die Kreativen aus dem Bregenzerwald schaffen es, mit originellen Kulturfestivals auf ihre Region aufmerksam zu machen. Das ist inzwischen selbst bei den Großstädtern angekommen.

Von Hans Gasser

Wovor fürchtest du dich?" Während im Sekundentakt Gleitschirmflieger eine Wiese hinunterrennen, den Schirm in die Luft ziehen, noch mehr rennen und plötzlich abheben, wird auf einem Podium gleich nebenan die Frage der Angst in der Gesellschaft diskutiert. Unter anderen sitzen da der Soziologe und Gewaltforscher Ferdinand Sutterlüty und der preisgekrönte Filmemacher Kurt Langbein und sprechen über ganz unterschiedliche Ängste: jene vor den Migranten, vor dem Klimawandel, vor einer schweren Krankheit.

Die Sonne scheint, es sind viele Wanderer unterwegs, von denen sich manche wundern über die zahlreichen Zuhörer, die sich da woodstockmäßig auf einer ansteigenden Almwiese an der Kapelle Niedere niedergelassen haben. Gleich nach der Diskussion spielt die Elektro-Band Mynth ein unter die Haut gehendes Akustikkonzert: die elfenhafte Stimme der Sängerin, die Aussicht, der Ort auf 1600 Metern.

Junge Bands, wilde Köche und Diskussionen zu Themen unserer Zeit

Das alles ist Teil eines originellen Festivals namens "FAQ Bregenzerwald", das in diesem September bereits zum dritten Mal stattgefunden hat. Es ist eine Mischung aus Konzerten guter junger Bands, Diskussionsrunden zu Fragen unserer Zeit (FAQs) und kulinarischen Events mit ebenfalls jungen, wilden Köchinnen und Köchen. Das Ganze findet an außergewöhnlichen Orten in und zwischen den Dörfern Andelsbuch, Bezau und Schwarzenberg statt: in einem alten Sägewerk, in der Bergstation der Seilbahn oder der nach Öl und Dampf riechenden Remise der alten Eisenbahn.

"Es war von Anfang an nicht schwierig, die Menschen hier zu überzeugen", sagt Martin Fetz, der das Festival konzipiert hat. "Die Bregenzerwälder sind einerseits politisch sehr konservativ, andererseits schon immer offen für Neues", so Fetz, der selbst von hier stammt, aber seit vielen Jahren in Wien lebt und dort eine "Konzeptagentur" betreibt. Er vermutet, dass diese spezielle Mischung von der Lage im Dreiländereck kommt, aber auch vom Selbstbewusstsein der Bregenzerwälder, die für ihre guten Handwerker bekannt sind, vor allem was Holz betrifft.

Wer durch die idyllische Voralpenlandschaft südlich von Bregenz fährt, dem fällt gleich auf, dass die Dörfer intakt wirken und kaum Bausünden aufweisen. Stattdessen stehen da viele modern wirkende Häuser, die meist aus Holz sind und sich gut mit ihren schindelverkleideten älteren Verwandten vertragen. Wie groß das Selbstbewusstsein der Bregenzerwälder Handwerker ist, kann man am Werkraumhaus in Andelsbuch sehen.

Das lang gezogene und rundum verglaste Gebäude mit dem schwarzen, auskragenden Holzdach wurde vom Architekten Peter Zumthor entworfen und 2013 eröffnet. Es dient einerseits als Versammlungs- und Vernetzungsort der Handwerker, andererseits als Ausstellungsort für ihre schönsten Werkstücke. In der 700 Quadratmeter großen Halle wähnt man sich eher in einem Museum für moderne Kunst als in einer Werkstatt. Die Stühle, Lampen, Betten werden in Szene gesetzt wie Kunstwerke, die sie ja oft auch sind. Ab 12. Oktober findet hier der nur alle drei Jahre veranstaltete Wettbewerb "Handwerk und Form" statt, dann ist ein Besuch besonders attraktiv. Dutzende Handwerker buhlen mit ihren neuesten Stücken um die Gunst einer internationalen Jury. Es gibt im Werkraumhaus aber auch regelmäßig weiter gefasste Sonderausstellungen zu Themen wie Licht, Farbe, zurzeit sogar zur Natur, und wie man diese im Design von Häusern und Möbeln nachahmen kann.

Es ist also wohl kein Zufall, dass im Bregenzerwald deutlich mehr Kultur geboten wird als in vielen anderen ländlichen Gebieten Österreichs. Mit der Schubertiade gibt es in Schwarzenberg ein international renommiertes Festival zu Ehren Schuberts und seiner Zeitgenossen. Es geht über mehrere Monate und zieht zusammen mit dem zweiten Spielort Hohenems insgesamt 35 000 Besucher an. "Wir brauchen dann alle Hotels und Betten im Bregenzerwald", sagt Evelyn Gmeiner, die die Schubertiade mitorganisiert. "Viele Stammgäste kommen jedes Jahr aus Deutschland und Großbritannien und bleiben mehrere Tage. Das ist natürlich gut für den Tourismus.

"Vor zehn Jahren war hier nix los", sagt der Musiker Alfred Vogel, "deshalb wollte ich etwas urbane Kreativität herholen." Für sein Festival "Bezau Beatz" mischt er seit elf Jahren anspruchsvollen Free Jazz mit Singer-Songwritern und bespielt ebenso wie das FAQ-Festival Orte wie den Werkraum, die Bahnremise, Handwerkshäuser und sogar eine Almhütte. Draußen Idylle mit Milchkuh, drinnen experimentelle Musik - das sei die Idee, die immerhin auch 1000 Besucher bringt. "Die Gäste interessiert auch die intakte Gesellschaft mit der Landwirtschaft und den vielen Handwerksunternehmen hier", sagt Vogel.

Kultur als Standortfaktor, nicht nur für Touristen, sondern auch für Einheimische und Arbeitskräfte, die dadurch bleiben oder gerne zum Leben hierherkommen. So sieht es Martin Fetz, der jede der Podiumsdiskussion mit mindestens einem Vorarlberger besetzt, von der Bäuerin über den Architekten bis hin zum Biochemiker. Sein hippes, vom Land Vorarlberg und von Sponsoren gefördertes FAQ-Festival soll auch nächstes Jahr wieder stattfinden. 2300 Karten hat er diesmal für die verschiedenen Veranstaltungen verkauft, vom Elektrokonzert der Grandbrothers über ein Gespräch mit dem Schriftsteller Michael Köhlmeier bis hin zu einem achtgängigen Essen war fast alles ausverkauft.

"Viele Menschen aus den Großstädten haben den Bregenzerwald noch nicht als kulturelle Destination auf dem Schirm", sagt Fetz. "Aber wenn wir mit unserem Festival weg sind, dann bleibt da: die Architektur, das Handwerk, die Musik."

www.faq-bregenzerwald.com

www.bezaubeatz.at

www.schubertiade.at

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Quelle:
SZ vom 27.09.2018
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