Vor der Fußball-EM in der Ukraine:Land im Abseits

Hotels sind während der Europameisterschaft überteuert, die Straßen stets holprig. Wer zur Fußball-EM in die Ukraine reist, sollte hart im Nehmen und gut bei Kasse sein.

Thomas Urban und Hans Gasser

Wie viele Touristen kommen? Wie hoch die Hotelpreise steigen? Ob storniert wird? Vier Wochen sind es noch bis zur Fußball-Europameisterschaft, doch in Kiew will niemand konkrete Zahlen nennen. Eine Sprecherin der staatlichen Touristikagentur sagt, kurz angebunden: "Wir wissen nichts von Stornierungen." Und der ukrainische Fußballbund, Mitausrichter der Europameisterschaft, erklärt sich schlicht für nicht zuständig.

Olympic stadium in Kiev

Im Kiewer Stadion wird das Finale der Fußball-EM 2012 stattfinden.

(Foto: dpa)

Die Kiewer Medien gehen nahezu einmütig davon aus, dass sich Fußballfans aus Westeuropa wegen des Streits um die inhaftierte Oppositionsführerin Julija Timoschenko nicht von einem Besuch abhalten lassen. Höchstens die vier Bomben, die vor kurzem in der ostukrainischen Rüstungsschmiede Dnipropetrowsk hochgegangen sind und 29 Personen verletzt haben, könnten Reisende abschrecken. Doch auch hier wiegeln alle Stellen ab. Eine Sprecherin des SBU, der Geheimpolizei, sagt gar: "Es war vielleicht nur ein Dummejungenstreich."

Wie viele Gäste aus Westeuropa zur EM in die Ukraine reisen werden, lässt sich nur schwer abschätzen. Der Sportreisen-Veranstalter Dertour Live bietet Pakete für die drei Vorrundenspiele der deutschen Nationalmannschaft an, die alle in der Ukraine stattfinden. Es wird allerdings nur drei Charterflüge geben, die morgens hin und abends wieder zurückfliegen. "Das ist traurig", sagt Oliver Kaufmann, bei Dertour zuständig für die EM-Reisen. "Wir hätten auch lieber touristische Pakete mit Übernachtung angeboten, aber das war mit den ukrainischen Hoteliers nicht zu machen." Viele hätten zu lange Mindestaufenthaltszeiten vorgeschrieben, die Kapazitäten für eine Flugzeugladung voller Fans seien nicht sicher verfügbar und die Preise schließlich ziemlich hoch gewesen.

Wer im Finale spielt, ist egal

Für die Spiele der Deutschen gegen Portugal und die Niederlande habe man schon alle der zwischen 600 und 800 Euro teuren Ein-Tages-Pakete verkauft, so Kaufmann, für das Spiel gegen Dänemark seien noch ein paar übrig. Insgesamt würden rund 450 Fans mit Dertour zu den Vorrundenspielen reisen. Für die Viertel- und Halbfinals in Polen und der Ukraine gebe es Mehrtages-Pakete. Der Verkauf ziehe allerdings erst dann an, wenn klar sei, ob Deutschland weiterkomme. "Es hätte etwas besser laufen können, aber insgesamt sind wir mit der Nachfrage zufrieden", sagt Kaufmann.

Die Pakete fürs Finale in Kiew seien schon so gut ausverkauft. "Da ist es egal, wer spielt." Kaufmann, der mit dem DFB kooperiert, schätzt, dass etwa zwei- bis dreitausend deutsche Gäste pro Vorrundenspiel in die Ukraine reisen werden. Viele von ihnen werden ohne Veranstalter kommen und auf Campingplätzen, in Jugendherbergen oder Privatzimmern nächtigen.

Beim ukrainischen Fußballverband setzt man auf die Gastfreundschaft der Ukrainer und die Neugierde der jungen Leute, Gäste aus dem Westen näher kennenzulernen. Die jungen Ukrainer lernen fleißig Englisch, es gibt bei Ihnen ein Europa-Bewusstsein, sogar in der östlichsten Ecke, in der Industriemetropole Donezk. Es werden wohl Privatleute sein, die die Masse der Besucher bei sich unterbringen. Viele Agenturen haben sich darauf spezialisiert, Privatwohnungen zu vermitteln, wie etwa Terra Plus und Global Vision in Kiew. Ihr Angebot und das vieler anderer Firmen ist leicht im Internet auf Englisch zu finden. "Natürlich haben wir während der EM andere Preise als sonst - so funktionieren nun einmal die Gesetze von Angebot und Nachfrage", sagt die Immobilienmanagerin Natalia Makarenko von Global Vision.

Holprige Fernstraßen

Sehr zum Ärger ihrer westlichen Vertragspartner haben sich viele Hotels vorbehalten, die Preise bis vier Wochen vor Beginn des Turniers zu korrigieren, im Normalfall heißt das wohl: zu erhöhen. Doch schließen Experten Preisnachlässe unmittelbar vor den ersten Spielen oder sogar während der EM nicht aus. "Festlegen möchte sich niemand", sagt Natalia Makarenko. "Wir haben keine Erfahrungswerte, die Schätzungen und Kalkulationen gehen weit auseinander."

Vor der Fußball-EM in der Ukraine: Sicherheitskräfte in der Ukraine glauben, dass weder die Auseinandersetzung um die Behandlung von Julia Timoschenko noch die Bombenanschläge in Dnipropetrowsk mit 29 Verletzten Fußball-Fans vom Besuch der EM 2012 abhalten werden.

Sicherheitskräfte in der Ukraine glauben, dass weder die Auseinandersetzung um die Behandlung von Julia Timoschenko noch die Bombenanschläge in Dnipropetrowsk mit 29 Verletzten Fußball-Fans vom Besuch der EM 2012 abhalten werden.

(Foto: AFP)

Auch im Kiewer Fremdenverkehrsamt herrscht Unsicherheit, vor allem, weil der "Privatsektor" nicht zu überblicken ist. "Bei den Wohnungen läuft alles, bei den Hotels das meiste im Internetvertrieb, sagt Petro Kornijtschuk von der Touristikbehörde. "Und wir haben keine Möglichkeit, die Zahlen zu erfassen."

Die Ukraine hat in den letzten fünf Jahren ein noch nie dagewesenes Modernisierungsprogramm in Angriff genommen. An den Flughäfen sind lichtdurchflutete Abfertigungshallen entstanden. Doch die internationale Finanzkrise, die Kiew besonders hart getroffen hat, bedeutete für manche Großprojekte das Ende. Keine der geplanten Fernstraßen ist fertig geworden, die meisten sind nach wie vor Holperpisten. Auch die ehrgeizigen Pläne zur Modernisierung der Staatsbahn mussten auf Eis gelegt werden.

Linienflüge an den Spieltagen sind weitgehend ausverkauft

Die Linienflüge zu und von den Spielorten sind zu den Spieltagen jedenfalls seit Monaten weitgehend ausverkauft. Allerdings wird auch nicht ausgeschlossen, dass manche ukrainische Reisebüros noch Kontingente in Reserve halten, um sie unmittelbar vor den Spielen zu astronomischen Last-Minute-Preisen auf den Markt zu werfen. Deutsche Reiseveranstalter wie Dertour haben deshalb lieber gleich Maschinen gechartert, um davon unabhängig zu sein.

Bei den beiden größten Fluglinien des Landes, Aerosvit und Donbassaero, beschwichtigt man: "Wir werden rechtzeitig den Plan für zusätzliche Flüge bekanntgeben, Reserven haben wir genug", heißt es in einer Mitteilung von Donbassaero in Donezk. Dort wurde sogar eine Landebahn angelegt, auf der ein Airbus A 380 landen könnte. Aerosvit und Donbassaero fliegen nur westliche Fabrikate, den europäischen Fußballfans wird das ängstliche Frösteln beim Start einer Tupolew oder Antonow erspart bleiben.

"Mondpreise" für Taxifahrten

Ein Problem aber wird wohl die Taximafia bleiben, die die Taxistände der Flughäfen kontrolliert. Die Preise liegen dadurch weit über den behördlich festgesetzten. Hier werde es während der EM "Mondpreise" geben, befürchten Kiewer Zeitungen. Auch die Fernzüge, die durchweg Reservierungspflicht haben, sind zu den Spielen ausgebucht.

Bleiben die Fernbusse, in der Ukraine das wichtigste Verkehrsmittel. Busunternehmen aus anderen Landesteilen haben während der EM Lizenzen für die Trassen zwischen den Spielorten bekommen, zusätzlich werden wohl auch Private ohne Genehmigung einsteigen. Wie auch in Westeuropa oder in den USA üblich, halten die Fernbusse spätestens nach drei Stunden an einer Raststätte. Doch in den meisten ist der Besuch der Toilette nur Hartgesottenen zu empfehlen, denn an ihnen ist der große Modernisierungsschwung weitgehend vorübergegangen.

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