Vom Busch auf den Tisch:Essen von der Mutter

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Der Busch ist voller Nahrung – die Aborigines wissen, was davon genießbar ist. Nun erobert Bush Tucker die Restaurants und die gehobene Küche. (Foto: Tourism Australia)

Bush Tucker, die Pflanzen und Tiere des Outbacks, waren von jeher die Nahrungsgrundlage der Aborigines. Nun haben es übersättigte Städter als ihr neues Superfood entdeckt.

Von Tom Noga

Auf den ersten Blick wirkt Darwin verschlafen. Die Straßen sind breit, Autos aber sind nur wenige unterwegs. Auch Passanten sind kaum zu sehen. Das wiederum kann man verstehen. In Darwin, oben im Norden Australiens, ist es heiß: Schon morgens um zehn sind es über 30 Grad. Das Café von Aboriginal Bush Traders aber ist gut besucht. Auch draußen, im Schatten eines Eukalyptusbaums drängen sich die Gäste. Der Laden wird von einer Non-Profit-Organisation betrieben. Vorne wird Kunsthandwerk von Aborigines verkauft, den Ureinwohnern Australiens. Und hinten, im Café, Bush Tucker serviert.

Bush Tucker ist das traditionelle Essen der Aborigines. Oder wie Geschäftsführerin Lyla Dash es ausdrückt: "Alles, was hier wächst. Die Aborigines betrachten das Land als ihre Mutter. Und ihre Mutter kümmert sich um sie." Mit "hier" meint sie das Northern Territory: knapp viermal so groß wie Deutschland, aber mit 246 000 Einwohnern extrem dünn besiedelt. Etwas mehr als die Hälfte davon lebt im Großraum Darwin. Ein Streifzug durchs Northern Territory, so sagt man in Darwin, sollte in diesem Café beginnen. Mit Bush Tucker.

Lyla Dash serviert eine Frühstücksplatte. Mit Damper, dem Brot der Aborigines. Es wird aus den Samen von Wildpflanzen und Nüssen gemacht und über offenem Feuer gebacken. Außerdem mit Äpfeln, Bananen, Feigen, Orangen, Pfirsichen und Tomaten - alle aus dem Busch, alle winzig klein und schrumpelig, als hätte man ihnen sämtliche Flüssigkeit entzogen. So ist es auch: Weil es im Northern Territory selten regnet, speichern Früchte und Gemüse ihre Nährstoffe in komprimierter Form und sind ausgesprochen nahrhaft.

Bush Tucker ist eine Art Superfood. Es ist, wie Chia und Quinoa vor einer Dekade, noch ein Geheimtipp. Als Lyla Dash und ihre Crew vor vier Jahren das Café eröffneten, waren sie die einzigen, die auf Bush Tucker setzten. Heute verwenden viele Restaurants Zutaten aus dem Busch. "Das ist ein wachsender Markt", sagt Lyla Dash.

Zum Nachtisch ein paar Krokodilwürstchen? Oder lieber die Honigameisen?

Die Frühstücksplatte ist aufgegessen. Trotz kleiner Mengen stellt sich das Gefühl angenehmer Sättigung ein. "Noch Platz für die Spezialitäten?", fragt Lyla und stellt zwei Schälchen auf den Tisch. In der einen sind Würstchen vom Krokodil, in Scheiben geschnitten. Im Northern Territory leben mehr Krokodile als Menschen, sie bilden also eine nachhaltige Nahrungsquelle. Die Würstchen sind blässlich - und schmecken nach nichts. Im anderen Schälchen sind grüne Ameisen. Es kostet Überwindung, sie zu probieren. Aber dann: leicht säuerlich, aber schmackhaft.

Weit und offen ist er, der Stuart Highway. Und vor allem: schnurgerade. Er ist benannt nach dem schottischen Entdecker John McDouall Stuart, der Australien im Jahr 1862 als erster Europäer von Norden nach Süden durchmaß. Der Stuart Highway führt von Darwin hinunter nach Port Augusta, über 2700 Kilometer entfernt. Im Norden ist die Vegetation tropisch. Doch je weiter man nach Süden kommt, umso trockener wird es, das Buschwerk niedriger - und der Boden roter. Das ist das Red Centre, die rote Mitte Australiens. Eine gigantische Halbwüste. Das Red Centre ist bis heute die Heimat der Aborigines. Vor der Ankunft der Europäer gab es über 500 Stämme, mit ebenso vielen Sprachen und Dialekten. Heute sind es noch um die 50. Im Northern Territory stellen die Aborigines ein knappes Drittel der Bevölkerung.

Conrad Ratara gehört zum Volk der Aranda. Er lebt in Hermannsburg, einer ehemaligen deutschen Mission. Der Ort wirkt trostlos: staubige Straßen, kleine, oft baufällige Häuser. Und überall Betrunkene. Alkoholismus ist ein großes Problem unter den Aborigines wie bei vielen Naturvölkern in der westlichen Welt. Conrad ist gelernter Metzger. Solange die Mission noch existierte, bis Ende der Siebzigerjahre, hatte er immer Arbeit. Dann wurde das Land an die Aranda zurückgegeben. "Seitdem ist es schwierig", sagt Conrad. "Es gibt keine Arbeit, die meisten Menschen in Hermannsburg leben von Sozialhilfe und haben den ganzen Tag nichts zu tun."

Auch Conrad hatte mit Alkoholismus zu kämpfen. Bis er sich auf die traditionelle Lebensweise seiner Ahnen besann. Seitdem zieht es ihn immer wieder hinaus an das Ufer des Finke River, mal für ein paar Tage, mal ein paar Wochen. Dann campt er unter freiem Himmel und ernährt sich ausschließlich von Bush Tucker. "Als ich klein war, in den frühen Sechzigern, haben wir nichts anderes gegessen", erzählt Conrad. "Jeden Tag sind wir raus in den Busch. Ohne Bush Tucker hätten wir nicht überlebt." Der Finke River besteht aus einem sandfarbenen Flussbett: ein paar Hundert Meter breit, steinig, ohne Wasser. "Es war nicht immer so trocken hier", sagt er und zeigt auf einen Strauch: anderthalb Meter hoch, weit verzweigt. "Ein Witchetty-Busch. Beim letzten Regen stand er komplett unter Wasser." Wann das war? Conrad denkt lange nach: "Ungefähr vor neun Jahren. Ein echt starker Regen, alles war überflutet. Vielleicht dauert's 20 Jahre, bis es wieder regnet." Trotzdem führe der Fluss Wasser, aber unter der Erde. Seine Vorfahren seien Nomaden gewesen und den unterirdischen Flüssen gefolgt. Wurde das Gras grüner, wussten sie, dass sich darunter Wasser befand.

Conrad gräbt einen Wurm aus, weißlich, so groß wie sein Zeigefinger. Die Witchetty-Made, so genannt, weil sie die Wurzeln des Baums anfrisst. Man kann sie grillen. Aber roh schmeckt sie besser, leicht nussig. Und sie ist eine wahre Proteinbombe. Ein paar Blätter wandern in den Korb: Das eine lindert Verbrennungen, das andere senkt Fieber. Außerdem Honigameisen, Passionsfrüchte und Orangen. Viel ist es nicht, was Conrad gesammelt hat. Er blickt sich um: "Überall nur Büffelgras. Die englischen Siedler haben es eingeschleppt. Und es verdrängt alles andere - traurig."

Zurück in Darwin. Bei Pee Wee's at the Point, Darwins bestem Restaurant. Von der Terrasse hat man einen fantastischen Blick auf die Stadt. Aber auch auf Schilder, die vor dem Schwimmen im Meer warnen sowie vor dem Betreten des Strandes bei Dunkelheit. Die Flüsse und die Küste um Darwin sind von Salzwasserkrokodilen bevölkert. Salties, wie sie hier genannt werden, sind extrem aggressiv. Im Gegensatz zu den eher harmlosen Süßwasserkrokodilen. Die beißen zwar auch schon mal zu, wenn sie sich bedroht fühlen, die Attacken verlaufen aber nicht tödlich.

"An die Krokodile musste ich mich erst gewöhnen", sagt Paul Joyes und grinst. Joyes ist Neuseeländer und seit fünf Jahren Chefkoch bei Pee Wee's. Bei Ausflügen ins Landesinnere hat er Bush Tucker kennengelernt. Und begonnen, mit seltenen Früchten wie Lilly Pilly, Quandong oder Fingerlimetten zu experimentieren, mit Gemüse wie Meersellerie, Buschpastinaken und Pigweed, Amaranth. "Statt es zu machen wie alle anderen, setzen wir auf Gerichte und Zutaten, die das Northern Territory repräsentieren."

Die Makrele pökelt Joyes mit Buschzitrone, er serviert sie mit Araukarienpesto sowie Sashimi vom Fleisch der Perlenauster, gebeizt mit Fingerlimette und Buschingwer. Zum Barramundi, dem heimischen Riesenbarsch, reicht Joyes gedämpftes Buschgemüse, zur gerösteten Ente Fleurons von lokalen Nüssen und einen Jus aus Tamarinde und Buschpflaume. "Anfangs waren unsere Gäste skeptisch", erzählt Joyes, "aber jetzt verlangen sie mehr und mehr nach diesen Gerichten."

Für Joyes ist das der Weg: Bush Tucker goes Fine Dining. Ganz schön ausgeschlafen, im ruhigen Darwin.

© SZ vom 27.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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