Vietnam:Ritt auf dem Drachen

Mit Dschunke und Fahrrad kommt man in Vietnam fast überall hin. Auch an Orte, die es bald nicht mehr gibt.

Jochen Temsch

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Am Ende einer Reise mit Dschunke und Fahrrad durch Vietnam bleibt nicht die Waschanlagenhitze am stärksten in Erinnerung. Nicht die Qualmwolken und das nie pausierende Tuckern der Schiffsdiesel, die einen noch mitten in der Nacht auf dem Mekong daran erinnern, warum man diesen Fluss Wasserstraße nennt. Auch die Sensationen der Nachtmärkte verblassen relativ schnell. Neben Drachenfrucht und Sumpfspinat warten eingelegte Schlangen, gebratene Hunde und pfannenfertig ausgeweidete Mäuse auf Hungrige und Touristen, die die hiesigen Spezialitäten mit lüsternem Ekel per Handykamera dokumentieren.

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Am stärksten hallt die Freundlichkeit der Leute nach. Die "Hello!"-Rufe der Kinder in den Dörfern, sobald sie einen dieser komischen, bleichen Langnasen mit Helm und haarigen Beinen in kurzen Hosen sehen - die vor lauter Zurückwinken auf den teils engen, von Hühnern und Hunden und Gegenverkehr bevölkerten Wegen ins Schlingern geraten. Es gibt sehr viele Kinder in Vietnam, das mit 87 Millionen Einwohnern dichter besiedelt ist als Deutschland - ein Drittel der Bevölkerung ist jünger als 14 Jahre.

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Die Vietnamesen verstehen nicht, dass die Touristen ausgerechnet Fahrrad fahren wollen. Das ist doch nur etwas für Arme. Sie träumen von Mopeds, dem erschwinglichen Statussymbol im boomenden Land. Allein in Hanoi kommen auf sechs Millionen Einwohner drei Millionen knatternde, alles gnadenlos verstopfende, selbst Gehwege und Parks unsicher machende Zweitakter. Und dann sind da noch die nachdenklich stimmenden Orte abseits der Menschenmassen, etwa Quan Lan, eine Insel im Norden.

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Auf den ersten Blick ist der Strand von Quan Lan genau so, wie es sein soll: niemand zu sehen auf dem sanft geschwungenen Bogen feinen Sandes, der in der Nachmittagssonne golden leuchtet. Palmen säumen das Ufer kilometerweit, die Wellen des Golfs von Tongking berühren es mit lautem Rauschen, und wer hier geht, darf sich als Entdecker fühlen, wie der erste Mensch, der die Abdrücke seiner nackten Füße hinterlässt. Aber irgendetwas stimmt hier nicht.

Die Palmen. Sie sind unnatürlich geordnet wie strammstehende Soldaten, in Dreierreihe, die Stämme exakt gleich hoch und in gleichem Abstand. Dazwischen ist plötzlich doch noch eine schmale Gestalt auszumachen, die im spärlichen Schatten kauert.

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Hoyen ist 25 Jahre alt, aber mit ihrem zierlichen Körperbau würde sie auch als Zehnjährige durchgehen. Ihr Alter ist ihr nicht anzusehen. Selbst für hiesige Verhältnisse ist sie extrem vermummt. Fast alle Vietnamesinnen tragen im Freien einen Mundschutz, wie man ihn von Chirurgen kennt. Damit schützen sie sich gegen die Sonne. Hoyen reicht das nicht. Sie hat sich zusätzlich ein weißes Frotteehandtuch um den Kopf gewickelt. Durch einen Schlitz sind nur ihre schwarzen Mandelaugen sichtbar. Darüber trägt sie den traditionellen Kegelhut. Außerdem hat sie lange Hosen, Jeansjacke und rosa Gummihandschuhe an.

So hockt Hoyen unter den Palmen und gießt sie mit einem Schlauch, der an einen Teich angeschlossen ist. Ein, zwei Minuten verweilt sie an einem Stamm. Sie schaut dem Wasser zu, wie es im Sand versickert, dann geht sie zur nächsten Palme, jeden Tag, von morgens bis abends, manchmal ohne einem Menschen zu begegnen. Vier Tage braucht sie, bis sie alle Bäume gegossen hat, dann fängt sie wieder von vorne an.

"Es ist keine so tolle Arbeit", meint sie, "schlecht bezahlt." Aber es reiche zusammen mit dem Lohn ihres Mannes gut für sie beide und ihren Sohn. Die Frage, ob ihr beim Gießen langweilig ist, versteht sie nicht. Gezählt hat sie die Palmen nie. "Sie haben mir gesagt, dass es 2000 sind."

Sie, das sind ihre Chefs von einem US-amerikanisch-vietnamesischen Joint Venture. 35 Jahre nach dem Krieg verstehen sich die ehemaligen Feinde gut aufs gemeinsame Geschäftemachen. Hinterm Palmenhain stehen schon die Bagger bereit. Bald wird ein Urlaubsresort aus dem Sandboden gestampft. Die Bäume, die Hoyen geduldig wässert, sind nur der Anfang. Wahrscheinlich das Ende der Strandidylle von Quan Lan.

Fischer

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Es ist das alte Dilemma: Was für Individualtouristen den Niedergang der Urlaubsromantik darstellt, bedeutet für Einheimische die Chance, von mehr zu leben als dem Kärglichen, das Reisfeld und Hühnerstall hergeben.

Sechs von zehn Vietnamesen arbeiten noch in der Agrar- und Fischwirtschaft. Seit der Öffnung für Touristen Ende der achtziger Jahre wächst der Besucherstrom. Inzwischen kommen vier Millionen Ausländer jährlich. Zunächst waren es Rucksack- und Kulturreisende. Das Zauberwort der Zukunft lautet Badeurlaub - Hotelanlagen, neue Jobs, aber auch Umweltverschmutzung, höhere Lebenshaltungskosten, steigende Grundstückspreise all inclusive.

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Die Radler gehören zu den Kulturinteressierten. Sie genießen Quan Lan gerade deshalb, weil sie hier seit zwei Tagen keine anderen Ausländer gesehen haben. Doch wie zwiespältig diese Sehnsucht nach Ursprünglichkeit ist, zeigt sich schon auf der verschlafenen Nachbarinsel Tra Ban. Dort ist gar nichts von Tourismus zu sehen. 700 Familien leben hier ohne Stromanschluss.

Die Radler rollen an tiefgrünen Reisfeldern entlang. Frauen unter Kegelhüten gehen mit dem Pflug hinter Wasserbüffeln her. In gekachelten Gräbern am Rand der Felder ruhen ihre Angehörigen. Die Nähe zu den Toten ist Teil der taoistischen Ahnenverehrung.

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Pause an einem Kindergarten. Die Betreuerinnen tragen lindgrüne Krankenschwesternkleidung, an der Wand hängt eine Zeichnung von National-Onkel Ho Chi Minh, wie er ein Kind hochhält und küsst. Die Kleinen singen artig für die Gäste, der Guide übersetzt: "Graue Haare, langer Bart. Ich träume von Ho Chi Minh. Er umarmt mich und tanzt mit mir."

Einen Kilometer weiter steht die Krankenstation. Von außen macht das gepflegte Steingebäude einen vertrauenerweckenden Eindruck. Als einer der Radler hineingeht, haben sie nicht einmal ein Pflaster für ihn. Weiter zur Schule. Der Direktor lädt zum Grüntee in sein winziges Büro, dessen Tür zum staubigen Schulhof hin offensteht. An der Wand wieder Ho Chi Minh, diesmal unter Soldaten mit Kalaschnikows und Palmwedeltarnung.

Die Henkel der Teetassen sind abgebrochen. Die Schule brauche mehr Bänke, sagt der Direktor, manche Schüler müssten auf dem Boden hocken. Die Touristen spenden. Eine Besucherin meint: "Es wäre aber schon schade, wenn die Kinder so wie wir im reichen Westen den Schneidersitz verlernen würden."

Der Guide, der zu DDR-Zeiten in Ostberlin studiert hat, schmunzelt über die Deutschen: "Sie analysieren Vietnam bis ins letzte Bakterium."

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Aber die meisten Urlauber gehen nicht so tief. Quan Lan und Tra Ban liegen in der Bai-Tu-Long-Bucht. Sie ist genau so schön, nur viel weniger besucht als ihre südwestliche Nachbarin, die zum Welterbe gehörende Ha-Long-Bucht, in der 400 Touristendschunken registriert sind.

Tausende bizarre Felsen ragen aus dem türkisfarbenen Wasser, genau 1969 sollen es nach offiziellen Angaben sein - eine Zahl, die wohl nicht ganz zufällig dem Todesjahr Ho Chi Minhs entspricht.

Eine Dschunkenfahrt durch dieses labyrinthische Meeresgebirge ist ein meditatives Erlebnis. Ein komfortables auch. Die besten Schiffe sind geschmackvoll in dunklem Holz gehalten, ausgestattet mit klimatisierten Doppelkabinen, eigenem Bad, großen Sonnendecks und guten Köchen. Am Bug wehrt ein brusthoher, geschnitzter Drachenkopf böse Wassergeister ab. Wer sich bei sanfter Dünung daran festhält, hat die Illusion eines Ritts auf dem Drachenrücken. Gefahren wird mit Motor. Nur wenn ein Konkurrenzkapitän plötzlich anfängt, mit seinen Segeln zu protzen, ziehen die anderen schnell nach.

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Manchmal muss der Kapitän auch die Geschwindigkeit drosseln und einen der Fischzüchter nach dem Weg fragen. Sie leben das ganze Jahr über bei ihren Bassins, in schwimmenden Dörfern - teils mehr als 100 aneinander befestigte Flöße mit Holzhütten. Darin ist genug Platz für sie und ihre Frauen samt Kindern, Wachhunden und Schwarzweißfernsehern, die sie mit Autobatterien betreiben. Ihre Ware geht an Großhändler, die vor allem nach China liefern. Wenn ein Sturm droht, mieten sie Boote und ziehen ihre Behausungen in sichere Gewässer.

Halong

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Die Dschunken ankern über Nacht vor Ti Top, einem Felsen mit Aussichtspagode an der Spitze. Der Sonnenuntergang ist grandios. Von oben sehen die Lichter der vielen Schiffe zwischen den Felsen aus wie eine Stadt.

Aber nichts ist hier weiter weg als der Trubel einer Metropole. Mindestens einen Drachen-Tagesritt entfernt.

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Informationen:

Anreise: Flug Frankfurt-Hanoi, zurück ab Ho-Chi-Minh-Stadt mit Vietnam Airlines, ca. 1200 Euro, www.vietnamairlines.com

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Reisearrangement: Der Veranstalter Inselhüpfen bietet eine 15-tägige Radkreuzfahrt mit vielen Stationen zwischen Ha-Long-Bucht und Mekongdelta an. Inkl. Verpflegung, Inlandsflüge, Leihräder, Doppelkabinen bzw. -zimmer auf Dschunken und in Hotels ab 2490 Euro pro Person. Maybachstraße 8, 78467 Konstanz, Tel.: 07531/361860, www.inselhuepfen.de

© SZ vom 2.12.2010/dd
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