Verschollene Gepäckstücke:Gepäckband ins Nirgendwo

Nach dem Wetterchaos rund um die Weihnachtsfeiertage sind die meisten gestrandeten Passagiere an ihren Zielorten angekommen. Nun müssen die Fluggesellschaften nur noch Zehntausende fehlgeleitete Koffer zustellen.

Marc Widmann

Wie nackt der moderne Mensch auf einmal ist, wie hilflos, wenn er am Flughafen steht und sein Gepäck wegbleibt. Verschollen. Wenn dem Reisenden auffällt, dass er in seinem schlanken Handgepäck zwar einen Laptop trägt, sich aber am Abend nicht die Zähne putzen kann. So geht es in diesen schneereichen Tagen Tausenden in Europa: Ihre Koffer liegen irgendwo, nur nicht auf dem Gepäckband, auf dem sie erwartet werden.

Grob geschätzt 45.000 gestrandete Koffer und Taschen sollen es allein in Frankfurt am Main gewesen sein. Die Arbeiter lagerten sie in Hallen und Großcontainern am Airport. Und nun, da die Flieger wieder abheben, schickt man sie Stück für Stück zurück an ihre Besitzer. Bis Ende der Woche soll "ein Großteil" der Habseligkeiten am Ziel sein, heißt es bei der Lufthansa.

Schon in wärmeren Zeiten verirren sich viele Koffer. 25 Millionen waren es vergangenes Jahr weltweit, das ergab eine Studie des Luftfahrt-Dienstleisters Sita. Mehr als die Hälfte der Probleme entstanden beim Umstieg: Der Besitzer erreichte zwar seinen Anschlussflug, doch sein Koffer blieb ein wenig länger in London Heathrow oder Paris Charles de Gaulle, um nur zwei berüchtigte Reiseziele von Koffern zu nennen. Und diesmal, im Schneechaos, ging es noch schlimmer zu: Da wurden zahlreiche Flüge gestrichen, für die das Gepäck schon aufgegeben war.

Einkäufe im "angemessenen Rahmen"

Was aber macht der Mensch, wenn sein Koffer fehlt? Er reiht sich ein in die Schlange vor dem Gepäckschalter seiner Airline und tritt ein in eine verwirrende Welt. Jede Fluggesellschaft regelt die Nöte ihrer Passagiere anders. Manche denken praktisch und geben den Kofferlosen Überlebenspakete mit Zahnbürste, frischem T-Shirt und ähnlich hilfreichen Dingen. Manche bezahlen den Kauf von Toilettenartikeln und Kleidung, freilich im "angemessenen Rahmen".

Was von solchen Notkäufen am Ende erstattet wird, "hängt von der Kulanz der Airline ab", sagt Christof Berlin. Er arbeitet bei der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr, an die sich Betroffene im Streitfall wenden können; er ist gut beschäftigt. Sein Rat: "Man sollte nicht bei Gucci, sondern besonnen und sparsam einkaufen, sonst gibt es womöglich eine böse Überraschung." Wer ohne Koffer am Urlaubsort eintrifft, für den sei jedoch der Kauf einer Badehose durchaus angemessen.

Quittungs-Aufkleber mit Referenznummer aufheben

In der Regel wird der Koffer nach wenigen Tagen per Kurier ans gewünschte Ziel gebracht; Clevere geben der Airline ihre Handynummer, damit sie sicher erreichbar sind. Verschollen bleibt das Gepäckstück in den wenigsten Fällen. Dafür sorgt das Etikett mit Strichcode, das der Koffer am Schalter bekommt. An verschiedenen Stellen der Reise wird dieser Barcode maschinell gelesen, was die Suche nach ihm erleichtern kann. Vorausgesetzt, der Passagier wirft seinen Quittungs-Aufkleber mit der Referenznummer nicht weg, den er bei der Abgabe des Koffers erhält. Fehlt das Zettelchen, wird die Suche anspruchsvoll.

Wer es ganz sicher mag, kann vom Inhalt seines Koffers eine Liste anfertigen oder gar ein Foto. Das hilft, wenn das Gepäck auf ewig verschollen bleibt; ein Schicksal, das vergangenes Jahr immerhin 850.000 Stücke ereilte. In diesem Fall ersetzt die Fluglinie den Schaden je nach Inhalt bis zu einer Grenze von knapp 1200 Euro, geregelt im Montrealer Übereinkommen. Montreal liegt in Kanada. Wer mit seinem Gepäck dorthin fliegen will, dem empfiehlt sich ein Flug ohne Umstieg.

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