Verkehr: Deutschland im Winter:Aus dem Takt

Der Anspruch an reibungslose Mobilität verzeiht keine Pannen. Doch wenn der Winter Deutschland lahmlegt, sind nicht immer bloß die anderen schuld.

Michael Bauchmüller

Auf die eigenen Füße ist, solange man nicht ausrutscht, in diesen Tagen noch am ehesten Verlass. Fußwege mögen etwas beschwerlicher sein als sonst, aber sie lassen sich kalkulieren. Es gibt eine Chance, pünktlich anzukommen. Das Problem beginnt oft erst am Ziel: am Bahnhof oder an der Bushaltestelle, am eigenen Auto sogar, dem Inbegriff individueller, selbstbestimmter Mobilität. Deutschland ist aus dem Takt.

Der Winter hat weite Teile der Republik in den Griff genommen. Auf den Autobahnen stehen Lastwagen quer. Ganze Flughäfen bringt die Enteisung der Tragflächen aus dem Plan; die Bahn fährt, wenn sie fährt, mit rappelvollen Zügen und obendrein verspätet. Vielerorts sind die Winterdienste überfordert, sie kommen mit dem Räumen nicht mehr hinterher. Der Beobachter schüttelt ungläubig den Kopf: So leicht soll sich ein Hochtechnologie-Land wie Deutschland aus dem Rhythmus werfen lassen? So ein Chaos gab es schließlich bei strengen Wintern im vorigen Jahrhundert auch nicht.

Alle wollen pünktlich sein

Der Himmel lässt sich für den vielen Schnee schwer anklagen, und also sind die Hauptverdächtigen am Boden rasch ausgemacht. Die Bahn etwa, die im Traum vom Börsengang an Heizungen für Weichen sparte, Werkstätten schloss und ohnehin zu wenige Ersatzzüge bereithält. Die Fluggesellschaften, die vor lauter Konkurrenzdruck ihre Maschinen so kurz nacheinander landen und wieder starten lassen, dass kaum ein Puffer bleibt für widriges Wetter. Und auch so manche Kommune, die ihre Haushaltsnot zu lindern suchte, indem sie ausgerechnet beim Winterdienst kürzte. An all dem mag etwas dran sein, nur lässt es einen entscheidenden Aspekt aus: Es ist unser Takt, unser Anspruch an reibungslose Mobilität. Er potenziert das Problem.

Deutschland ist in normalen Zeiten ein organisiertes Land. Zieht man die Dichte seiner Besiedelung und die Anforderungen an seine Infrastruktur in Betracht, ist es sogar ein ziemlich gut organisiertes Land. Durch kein anderes Land Europas werden so viele Güter bewegt, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist das Transitaufkommen sehr stark gewachsen. Millionen Menschen pendeln täglich auf vier oder mehr Rädern zur Arbeit. Und alle, Spediteure und Pendler, eint ein Ziel: Sie wollen pünktlich sein.

Unbemerkt hat sich die Just-in-TimeLogistik in unser aller Leben eingeschlichen. Nicht nur Zulieferteile sollen auf die Minute genau am Ort ihrer Verwendung sein. Auch das Arbeitsleben kennt keine Puffer, häufig nicht einmal das private. Die Fahrpläne der Bahn sind einzuhalten, und selbst das Navigationsgerät im Auto rechnet noch für die weiteste Strecke eine voraussichtliche Ankunftszeit aus. Der Takt duldet keinen Widerspruch. Termine drängen.

Demut vor höherer Gewalt

Die äußeren Umstände lassen kaum Besserung erwarten. Natürlich wird nun der Ruf nach einer besseren Taktung im Flugverkehr laut: Wer aber würde höhere Preise zahlen, weil Flugzeuge weniger gut ausgelastet sind? Wer will zusätzliche Startbahnen, um den Takt von Starts und Landungen zu entzerren? Natürlich würden viele Autofahrer die lästigen Laster gerne auf dem Parkplatz sehen. Aber wer will riskieren, dass sein Weihnachtsgeschenk, das er eben noch schnell bei Amazon oder Ebay bestellt hat, auch auf der Strecke bleibt? Die Mobilität ist untrennbar mit unserer Art zu leben und zu wirtschaften verbunden - wie schon im Frühjahr isländische Vulkanasche bewies: Weil Flugzeuge nicht fliegen konnten, standen ganze Produktionsstraßen still. Und die logistischen Anforderungen werden künftig eher komplexer.

Sicher wird dieser Winter Konsequenzen nach sich ziehen: für die Vorsorge bei Kommunen, bei der Bahn, auch bei Flughäfen. Manches Problem hätte sich lindern lassen. Aber der Winter fordert auch Demut vor höherer Gewalt. Die Kraft der Natur taucht in der Kalkulation zu selten auf. Man sollte froh sein, wenn sie nur Schnee und Eis bringt.

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