Vergnügungspark Weeki Wachee in Florida:Die Nixen haben überlebt

Im ersten Vergnügungspark Floridas leben die letzten Meerjungfrauen Floridas. Früher standen die Leute Schlange, um sie zu sehen, heute konkurrieren sie mit berühmten Mäusen und bissigen Reptilien.

Tom Noga

Weeki Wachee ist schnell verfehlt, jedenfalls wenn man auf Highway 19, Floridas achtspuriger Küstenstraße, den Blick streng nach vorne richtet. War da nicht etwas? Eine Achterbahn? Eine Rutsche? Und sahen die Pfähle mit der Totenkopf-Fahne, die zwischen den Mangroven hervorlugen, nicht aus wie die Masten eines Piratenschiffs? Also wenden.

Nixen, Meerjungfrauen im Weeki Wachee State Park, Florida

Nixen zeigen Andersens Märchen von der "Kleinen Meerjungfrau".

(Foto: AFP)

Der Parkplatz ist eher ein Plätzchen, verglichen mit den endlosen Abstellflächen, mit denen das zwei Autostunden entfernte Disney World aufwartet. Und ist doch nur spärlich gefüllt. Auch drinnen wirkt alles beschaulich. Ein Spielplatz, eine Lagune, ein paar Imbissbuden. Durch einen Tunnel geht es hinab in ein unterirdisches Amphitheater. Im Eingang eine junge Frau in einem meerblauen Bikini. "Willkommen in Weeki Wachee", begrüßt sie die Besucher.

Das Amphitheater besteht aus acht Sitzreihen vor einer verhangenen Glasfront. Das Holz auf den Bänken ist abgeblättert, Lehnen gibt es nicht. Dahinter ein Plastikthron, grünlich und verkrustet, als hätte er Jahrzehnte auf dem Meeresboden gestanden. Darauf sitzt Shannon Tooker, Mermaid Shannon, wie sie betont.

Sie trägt Bikinioberteil und Flossenkostüm, beides in Lila, die blonden Haare fallen ihr lockig auf den Rücken. Zwei kleine Mädchen nähern sich schüchtern. Ob sie ein Foto ...? Natürlich, flötet Shannon, die Meerjungfrau, nimmt die beiden in den Arm und knipst ein perlweißes Lächeln an. "Es ist gar nicht so lange her, dass ich selbst so dagestanden habe", erinnert sich Shannon, "ich habe fest geglaubt, dass es Meerjungfrauen gibt. Ich dachte: Jetzt bekomme ich ein Bild mit ihr und kann mit ihr reden!"

Das Licht erlischt, zwei Monitore fahren aus der Decke. Zu Musik aus den sechziger Jahren wird die Geschichte von Weeki Wachee erzählt. Während sich die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf das Video richtet, schlüpft Shannon aus ihrem Flossenkostüm und gleitet durch eine Tür neben der Fensterfront.

Der Name Weeki Wachee, erfahren die Zuschauer, ist indianisch. In der Sprache der Creek bedeutet wekiwa chee "kleine Quelle". Tatsächlich entspringt direkt unter dem Amphitheater, in 40 Metern Tiefe, ein Fluss. Die Quelle pumpt Wasser nach oben, das nach 400 Metern wieder versickert und sich unterirdisch in den Golf von Mexiko ergießt. 1947 hat der Marineschwimmer und Hollywood-Berater Newton Perry hier einen Vergnügungspark errichtet - den ersten überhaupt in Florida, der Wiege der amerikanischen Freizeit- und Themenparks.

Die Meerjungfrauen waren ursprünglich eine Werbeidee: Sie standen draußen am Highway und winkten urlaubende Familien hinein. Doch bald wurden sie zur eigentlichen Attraktion von Weeki Wachee. Mehr als das, sagt Barbara Wynns: "Wir waren richtige Stars."

Barbara Wynns, blassblauer Trainingsanzug, pechschwarze Mähne, ist eine "mermaid of yesteryear", wie es hier heißt: eine Meerjungfrau aus vergangenen Zeiten. Wobei das so auch nicht stimmt: Von 1967 bis 1969 und von 1972 bis 1975 war sie Mitglied der Mermaid-Revue, das schon.

Eine halbe Stunde bis zur Hochzeit

Aber seit 1997 ist sie wieder dabei. Barbara Wynns ist 62 - alt genug, um sich über ihr Alter keine Gedanken machen zu müssen, wie sie kokett sagt. Sie blickt sich um: 400 Zuschauer fasst das Amphitheater, knapp 50 haben sich eingefunden. "Bei meinem ersten Thanksgiving in Weeki Wachee reichte die Schlange über den gesamten Parkplatz bis auf den Highway. Die Leute standen den ganzen Tag an, um unsere neue Show zu sehen."

Nixen, Meerjungfrauen im Weeki Wachee State Park, Florida

Nixen auf dem Trockenen: die ehemaligen Meerjungfrauen (von links) Vicki Smith (1957-61), Dottie Meares (1951-54), Billie Fuller (1968-69), Lynn Colombo (1973-86), Bev Sutton (1969-72), Susie Pennoyer (1971-73) und Barbara Wynns (1967-69/1972-75).

(Foto: AFP)

Der Vorhang öffnet sich und gibt den Blick frei auf eine Unterwasserlandschaft, ein Riff, darauf ein Märchenschloss und eine Schatztruhe. Direkt vor der Glasfront fünf Meerjungfrauen. Sie schwingen die Hüften, breiten die Arme aus, werfen Kusshände ins Publikum.

Gegeben wird "Die kleine Meerjungfrau" als Unterwasser-Ballett, nach einem auf Hans-Christian Andersens Märchen basierenden Film der Disney-Studios. Mit Shannon Tooker in der Hauptrolle, als Arielle. Die anderen Nixen bilden einen Ring - Shannon schwimmt hindurch.

Ein Zug aus einem der Sauerstoffschläuche, die in der Unterwasserlandschaft liegen, und sie sinkt hinab. Shannon bläst Luft aus ihren Lungen - und schießt Richtung Wasseroberfläche. Eine halbe Stunde dauert die Show, dann tanzen die Meerjungfrauen den Hochzeitsreigen für Arielle und ihren Prinzen.

Nach der Vorstellung. Die fünf Meerjungfrauen haben geduscht. "Sehr warm geduscht", hebt Shannon hervor, denn die Wassertemperatur in der Quelle beträgt nur 22 Grad. 30 Grad wären perfekt, sagt Shannon.

Bis auf das Frösteln sei Meerjungfrau ein Traumjob. Shannon ist 21, seit vier Jahren in Weeki Wachee dabei. Sie kommt aus der Gegend, aus Clearwater, und studiert auf Lehramt in Tampa - beide Orte sind eine Autostunde vom Freizeitpark entfernt. Optimal sei das nicht, meint Shannon.

Morgens und nachmittags steht sie als Arielle auf der Unterwasserbühne, im Sommer sieben Tage die Woche, im Winter von Donnerstag bis Sonntag. Und die Bezahlung, nun ja, für die Finanzierung des Studiums reicht es nicht, deshalb kellnert sie nebenbei.

In der Garderobe nebenan bereiten sich die "mermaids of yesteryear" auf ihren nächsten Auftritt vor, fünf giggelnde Damen jenseits der 50: Becky, Lynn, Lydia, Suzie. Und Barbara Wynns. In ihrer Jugend war Mermaid ein Vollzeitjob, einer, von dem man prima leben konnte. Die Sechziger und Siebziger waren goldene Jahre.

Florida galt als Urlaubsparadies für jedermann: sonnig, warm, und über Highway 19 aus den Metropolen der Ostküste leicht erreichbar. Themenparks luden die Reisenden zum Verweilen ein, 150 sollen es zeitweise entlang der 19 gewesen sein. Weekie Wachee gehörte damals dem Unterhaltungskonzern ABC, was die Mädchen von einer Karriere im Showgeschäft träumen ließ.

Dafür nahmen sie einiges in Kauf. Die Meerjungfrauen lebten auf dem Gelände, bewacht von Aufsehern. "Drumherum gab's nur Wald", erinnert sich Barbara Wynns.

Nur Reptilien haben überlebt - und die Nixen

Die Probleme begannen in den siebziger Jahren. Disney World hatte eröffnet - ein Themenpark der anderen Dimension. Mit Achterbahn, Piratenschiff und betulichen Bootsfahrten auf dem Weeki Wachee River ließen sich die Kinder nicht mehr anlocken. Und die Meerjungfrauen verblassten hinter den immer aufwendigeren Produktionen, mit denen Disney aufwartete. Fast alle kleinen Themenparks gaben mit der Zeit auf.

Nur Gatorland mit seinen Reptilienshows hat überlebt. Und Weeki Wachee, lange Zeit mehr schlecht als recht, bis der Staat Florida den Park im Jahr 2008 übernahm und damit eine drohende Pleite verhinderte. Seitdem gilt Weeki Wachee offiziell als State Park.

Barbara Wynns trägt wasserfestes Make-up auf. "Schon komisch", sinniert sie, "im Grunde habe ich mich zeit meines Lebens als Meerjungfrau gefühlt. Diese Quelle hat etwas Magisches, du schwebst schwerelos durch klares, sauberes Wasser, und alles, was du brauchst, ist ein Badeanzug, dazu der Sauerstoffschlauch - das ist das ultimative Gefühl von Freiheit." Einmal im Jahr treffen sich die ehemaligen Nixen.

Dabei ist die Idee entstanden, eine Show mit den "mermaids of yesteryear" auf die Unterwasserbühne zu bringen. 1997 war das, dem Park ging es finanziell schlecht. Dass die Nixen von einst unentgeltlich auftreten wollten, hat den Verantwortlichen die Zusage sicher erleichtert, da macht sich Barbara Wynns keine Illusionen. "Gut, dass wir nicht mehr zu ABC gehören", witzelt Lydia Dodson. Damals lag die Altersgrenze bei 25 Jahren, unter staatlicher Regie gälte eine solche Beschränkung heute als Diskriminierung.

Wie Barbara Wynns ist auch Lydia Dodson längst pensioniert. 30 Jahre lang hat sie beim United Parcel Service gearbeitet, der amerikanischen Post. Und kaum im Ruhestand, hat sie bei den ergrauten Meerjungfrauen von Weeki Wachee angeheuert.

"There's magic in the spring", das war einmal die Erkennungsmelodie der Meerjungfrauen von Weeki Wachee. Die "mermaids of yesteryear" wiegen sich im Takt, Arm in Arm. Sie gleiten auseinander, vereinigen sich wieder. Ihre Show ist langsamer und weniger akrobatisch als die der jüngeren, mehr Tanz als Schauspiel.

Eine Musikrevue im Stil der fünfziger bis siebziger Jahre, zu Elvis, Doris Day und Frank Sinatra: "Nimm mich mit auf den Mond, ich möchte wissen, wie sich der Frühling auf Jupiter und Mars anfühlt." Die Meerjungfrauen bilden einen Stern. Dann schwimmen sie zur Fensterfront, hinter der die Zuschauer sitzen, und verbeugen sich.

Eine Stunde später ist der Arbeitstag für Barbara Wynns und Lydia Dodson zu Ende. Morgen sind fünf andere "mermaids of yesteryear" an der Reihe. "Schade", sagt Barbara, am liebsten würde sie jeden Tag auftreten. "Eine von uns, Mermaid Dottie, ist noch mit 80 in der Revue geschwommen, ich habe also noch 20 Jahre." "Ach was", sagt Lydia, "Meerjungfrauen sind unsterblich."

Informationen

Anreise: Flug von München nach Tampa oder Orlando und zurück ab ca. 600 Euro. Übernachten: Microtel Weekie Wachee, DZ ab ca. 50 Euro, 4881 Commercial Way, Spring Hill; Tel.: 001/352 59 63 44; microtelinn.com

Weitere Auskünfte: Der Meerjungfrauen-Park liegt in Florida am Highway 19 südlich des Cortez Blvd., Shows finden um 11, 13.30 und 15 Uhr statt, weekiwachee.com

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