Verbote gegen Gipfel-Wahnsinn:Ohne Finger auf den Mount Everest

A trekker stands in front of Mount Everest at Kala Patthar in Solukhumbu District

Vor dem großen Beben: ein Wanderer vor der Kulisse des Mount Everest.

(Foto: Navesh Chitrakar/Reuters)

Auf den höchsten Berg der Welt sollen nur noch Bergsteiger klettern, die den Gipfel aus eigener Kraft erreichen können. Das wird den Höhenrausch der Kinder, Alten und Untrainierten kaum beenden. Derzeit probt ein Japaner den Aufstieg - mit nur einem Daumen.

Von Katja Schnitzler

Warum zahlt jemand 30.000 bis 50.000 Euro, um mit vielen Menschen im Seil an einer Eiswand auszuharren, bis einige von ihnen erfrieren? Wieso steigt der Japaner Yuichiro Miura mit 70 Jahren als ältester Mann durch die "Todeszone" - und wiederholt das zehn Jahre später nochmal? Weshalb quält sich ein anderer Japaner, Nobukazu Kuriki, immer wieder auf einen Berg, an dem ihm neun seiner Finger erfroren? Und will es in den nächsten Tagen abermals versuchen?

Es ist der Wahnsinn, und der hat einen Namen: Mount Everest. Wäre er ein paar hundert Meter kleiner, zum Beispiel 8586 Meter statt 8848, würde kaum jemand seinen Namen kennen - so hoch ist der dritthöchste Berg der Welt, Kangchendzönga, ebenfalls in Nepal gelegen. Aber der Mount Everest ist eben der Größte. Der Gipfel der Rekorde, ein Müllberg, ein Schicksalsberg, ein Geldberg und ein Grab: Fast 300 Menschen ließen für den Traum ihr Leben, auf zwei Quadratmetern über das Dach der Welt zu blicken. Oder starben dort während der Arbeit.

Damit es überhaupt Bergsteiger auf den Everest schaffen, bereiten ihnen Sherpa den Weg, tragen den Großteil der Verantwortung und vor allem die Last. Wer so viel Geld zahlt, von dem ein kleiner Teil das Volk der Sherpa ernährt, soll möglichst bis nach oben kommen; und nicht auf der Strecke bleiben, weil er neben seinem Rucksack auch noch ein Zelt schleppen muss. Kein Wunder, dass diese Art des Gipfeltourismus bei traditionellen Bergsteigern in Verruf kam: Je mehr Menschen sich in die Schlange zur höchsten Spitze einreihten, desto lauter wurde die Kritik.

Trotzdem war das Basislager in der kurzen Zeit im Jahr übervoll, in der ein Aufstieg auf den Everest überhaupt möglich ist: Etwa 600 Möchtegern-Bezwinger kamen jedes Jahr. Bis zum 25. April 2015.

Bei dem Erdbeben, das Nepal verwüstete, Tausende Menschen das Leben kostete und kulturelle Schätze vernichtete, pflügte auch eine Lawine durch das Basislager am Everest, 18 Bergsteiger starben.

Nun möchte die nepalesische Regierung den Tourismus an ihrem größten Schatz wieder ankurbeln, ohne verantwortungslos zu wirken. Schließlich kann sie nicht garantieren, dass es keine Eisabbrüche und Erdbeben mehr geben wird. Also will sie an anderer Stelle ihren Ruf polieren. Während von der chinesischen Nordseite aus nur noch Menschen aufsteigen dürfen, die über 16 und unter 75 Jahre alt sind, war Nepal dafür kritisiert worden, dass von ihrem Grund und Boden aus eigentlich jeder nach oben durfte, der es sich leisten konnte.

Das soll sich ändern: "Wir können nicht jeden auf den Everest gehen und dort sterben lassen", sagte Tourismusminister Kripasur Sherpa dem Guardian. Seien die Bergsteiger nicht körperlich und mental fit, wäre dies ein gesetzlich genehmigter Selbstmord.

Also solle niemand mehr zugelassen werden, der unter 18 und über 75 Jahre alt ist oder körperlich so eingeschränkt, dass er nicht ohne fremde (Trag-)Hilfe auf den Gipfel kommen könnte. Diese neue Regelung beträfe nicht allzu viele, eine weitere Vorgabe hingegen schon: Weil manche erstmals am Everest einen Eispickel in die Hand nahmen, sollten künftige Aufsteiger nachweisen müssen, dass sie bereits auf einem mindestens 6500 Meter hohen Gipfel standen.

Der Tourismusminister will die neuen Regeln bis zum Start der neuen Saison im Frühjahr durchsetzen; ob es ihm gelingt, ist fraglich. Schon frühere Initiativen scheiterten am Druck vor allem ausländischer Interessengruppen, wie Ang Tshering Sherpa, Präsident des nepalesischen Bergsteigerverbandes, erklärt.

Doch wäre es so schlimm, wenn weiterhin jeder, der es bezahlen kann, auch aufsteigen darf? Schließlich begeben sich die Menschen bewusst in Todesgefahr, und manche kommen darin um. Muss man naive Abenteurer vor ihrem eigenen Leichtsinn schützen? Vielleicht.

Sollten die neuen Regeln Wirklichkeit werden, würde das für den Kalifornier Tyler Armstrong bedeuten, dass er im Frühling nicht auf den Mount Everest steigen darf. Dabei kann Armstrong selbstständig klettern und war schon auf dem 6962 Meter hohen Aconcagua in Argentinien. Allerdings ist er erst elf Jahre alt.

Seine Familie und er wollen, dass er noch als Teenager auf den sieben höchsten Gipfeln der Welt gestanden haben wird - zwei hat er schon geschafft, mit acht und neun Jahren. Und sie wollen, dass er am Mount Everest einen weiteren Rekord bricht: Der bislang jüngste Mount-Everest-Bergsteiger war 13 Jahre und zehn Monate alt. Das Kind kam unversehrt zurück.

Die neuen Regeln würden nicht nur besonders junge oder alte Rekordjäger schützen. Sondern auch die Begleiter, die mit unerfahreren und schwachen Kunden selbst in noch größerer Todesgefahr schweben. Sherpa, die ihre Familien ernähren müssen, haben kaum die Wahl, sich lieber nach einem sicheren Bürojob im Himalaya umzuschauen. Oder auf so kleinen Feldern zu arbeiten, dass sie nicht genug abwerfen, um alle satt zu bekommen.

Arbeiten unter Todesgefahr - für nur einen Bergsteiger

"Ich kann nicht einfach daheim sitzen, nur weil ich Angst habe zu sterben", sagt Nima Dorchi. Der Mann aus der Volksgruppe der Sherpa bereitet den Weg für Bergsteiger durch den gefährlichen Khumbu-Eisbruch, 16 seiner Kollegen starben dort 2014. Trotzdem kletterte Dorchi Mitte September durch die Eisbrocken, während in der Nähe Lawinen herabrauschten. Er verdient damit zehn Dollar am Tag.

In diesem Jahr, nach dem Katastrophen-Erdbeben, sicherten Sherpa diesen Weg nur für einen einzigen Bergsteiger: Auf dem Japaner Nobukazu Kuriki, den auch neun erfrorene Finger nicht abhalten können, ruhen große Hoffnungen. Wenn er es zum Gipfel schafft, könnte das ein Zeichen sein für risikofreudige und reiche Bergsteiger, dass es wieder aufwärts geht am Everest.

Der Erste am Berg nach der Katastrophe

Also will Kuriki in den nächsten Tagen noch einmal versuchen, von der nepalesischen Seite aus auf den Gipfel zu steigen. Er hatte als einer von zwei Aspiranten die Erlaubnis erhalten, in diesem Herbst noch auf den Everest zu gehen - nur Kuriki wollte es wirklich probieren.

Fünfmal hat er es bereits in den vergangenen Jahren versucht, zuletzt am Wochenende. Doch im hohen Schnee kam er zu langsam voran. Er habe da begriffen, dass er nicht zurückkommen würde, sollte er weitergehen, sagte er. Nach einigen Tagen Ruhe im Basislager will er abermals aufbrechen. 2012 erfroren Kuriki in der Todeszone über 7500 Meter alle Finger bis auf den rechten Daumen, von den anderen blieben nach der Amputation nur Stummel. Kein Grund für ihn, es sich leichter zu machen.

Auch bei seinem nächsten Versuch wird Kuriki allein vom Basislager aufbrechen - und auf ein Sauerstoffgerät verzichten. Vielleicht schafft er es bis zum Gipfel. Vielleicht auch wieder zurück.

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