Kajaktour:Pittsburgh nimmt Fahrt auf

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Mit dem Kajak an der Skyline entlang: Mit etwas Muskelkraft kann man der Stadt und ihrer wechselvollen Geschichte sehr gut vom Fluss aus näherkommen. (Foto: Kayak Pittsburgh)

Die Stahlmetropole der USA lag am Boden - und ist jetzt wieder hip. Zu erleben ist das bei einer Geschichtsstunde auf dem Wasser mit Muskelkatergarantie.

Von Philipp Crone

Wenn einem beim Paddeln eine Spinne ins Kajak fällt, wird selbst der Allegheny River zur Herausforderung.

Der Fluss, auf dem man seit einiger Zeit die Stadt Pittsburgh mit Paddelkraft erfahren kann, liegt ruhig in der Sonne. Braungrün läuft das Wasser im Schritttempo an der Skyline vorbei, auf der einen Seite Hochhäuser, auf der anderen die Flutlichtmasten des Baseballstadions der Pirates, und über dem Wasser eine der insgesamt 446 Brücken, die im Großraum dieser Stadt Züge und Autos über Hügel und Flüsse führen. Vorne, 200 Meter vor dem Einstieg für Kajakfahrer, da treffen sich die drei Flüsse. Allegheny (braungrün) und Monongahely (braungelb) werden zum Ohio River (braunbraun).

Blick ins Boot, wo ist die Spinne? Blick nach vorne, wo ist das Ziel? Fünf Brücken weiter flussaufwärts, in einer anderen Welt. Zweieinhalb Meilen den Fluss hoch, das ist eine Reise durchs Wasser und durch die Geschichte dieser früher mal unglaublich reichen Stadt, die nach Jahrzehnten des wirtschaftlichen Abschwungs nun wieder Fahrt aufgenommen hat.

Ian Brown, drahtig dünn, sitzt in einem gelben Kajak, taucht sein Doppelpaddel abwechselnd links und rechts ins Wasser, eine flüssige, durchgängige Bewegung wie von Schaufeln in einer Milchshake-Maschine. Oben donnert ein Laster vorbei, Hunderte Pferdestärken, unten mischt sich Brown durchs Wasser, leise, mit Ein-Mann-Stärke. Der 37-jährige Guide des Anbieters Kayak Pittsburgh paddelt eine Brücke flussaufwärts, zur Warhol-Bridge, benannt nach dem hier geborenen Künstler. Brown deutet auf die Skyline und sagt: "Der UPMC Tower steht für die Veränderung in dieser Stadt."

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Von den ehemals 800 000 Einwohnern Anfang des vergangenen Jahrhunderts, als Pittsburgh wegen der Stahl- und Eisenwerke boomte, sind heute noch 300 000 übrig. Aber sie werden wieder mehr. Am Allegheny wird gebaut, neue Viertel entstehen, an der Flussmündung downtown stapeln sich Theater und Konzertsäle, junges Start-up-Volk läuft durch die Straßen, elegante Hotels, Bars und Restaurants eröffnen zu Dutzenden. Pittsburgh, die Stadt, die so out war wie sonst vielleicht nur noch Detroit, ist jetzt wieder so in wie wenige andere US-Metropolen. Und mittendrin der UPMC-Turm. Die Arbeit und die Verschmutzung der Industriezeit machten über Jahrzehnte Tausende Arbeiter krank, deshalb gab es schon damals viele Krankenhäuser. Die Folge: Heute ist Pittsburgh ein Hotspot für Medizintechnik und Forschung. Das größte Gebäude der Stadt, auf dem UPMC steht, war früher der Tower der Stahlindustrie, heute steht es für University of Pittsburgh Medical Center.

Auf dem Weg, den Brown gerade paddelt, kam der spätere Präsident George Washington vor gut 250 Jahren aus dem Norden. Nach vergeblichen Verhandlungen mit den Franzosen wäre der 21-Jährige zunächst beinahe erschossen worden und nach dem Kentern seines Floßes im Allegheny fast ertrunken. Was im Jahr 2018 ein wenig verwundert bei einem fast spiegelglatten Gewässer. Washington vermerkte die Stelle als ideal für eine Befestigung. Man baute ein Fort und benannte den Ort nach dem britischen Premier William Pitt. Schnell war klar, dass es nicht nur ein idealer Platz zur Verteidigung war, sondern auch für den Handel und die Industrialisierung. Der Ohio River verband die Region mit dem Mississippi und damit mit dem Golf von Mexiko. Und da es in der Nähe Eisenerz und Kohle gab, entstanden im 19. Jahrhundert Eisen- und Stahlbetriebe.

Ein alter Mississippidampfer stampft an Ian Brown vorbei, zwei Jetskier flutschen über das Wasser, auf der dritten Hängebrücke flussaufwärts rollt ein Ducktour-Mobil, ein schwimmfähiger Bus, über die Straße. Ein Touristenhubschrauber kreist wie eine Schmeißfliege um Downtown, Segway-Gruppen durchqueren die Straßen neben Fußgängern, Rad- und Busfahrern. Und auf dem braungelben Monongahely-Fluss, der Downtown von Süden her abgrenzt, schunkeln kleine Karibik-Strohhütten-Boote mit entspannten Passagieren. Wer aber mit Ian Brown in ein Kajak steigt, muss sich Erkenntnis und Geschichte schwitzend erarbeiten.

"Das Wasser ist in den vergangenen Jahren immer sauberer geworden", sagt Brown, "mittlerweile gibt es auch wieder mehr Fische und Angler."

Der Paddler erlebt ein ruhiges Wasserwippen, ein erstes Reindenken in diese Fortbewegungsart, zögerlich geht die Fahrt unter den ersten Brücken hindurch. Ein Halt am Ufer unter Ästen. Von dort fällt die Spinne ins Boot. Hektisch schaukeln, ängstlich schauen. Da geht der Vortrag von Brown aber schon weiter. Er deutet auf ein weißes Gebäude, das Convention Center, auf das man hier stolz ist, weil es so ökologisch nachhaltig gebaut wurde. Ein Plastikbecher schwimmt derweil vorbei. In einer Stadt, in der man bei Starbucks und allen anderen Kaffeebars komisch angeschaut wird, wenn man ausdrücklich keinen Plastikbecher möchte. Das Öko-Gebäude ist immerhin ein Anfang. Und: Was sind Plastikbecher gegen das, was hier einst war?

Eine Industriehochburg mit Tausenden Stahlarbeitern Anfang des 20. Jahrhunderts. Mittags musste in den Straßenschluchten die Beleuchtung eingeschaltet werden, so dunkel soll es vom Ruß und Rauch der Schornsteine gewesen sein. 75 Hochöfen liefen hier zur besten Zeit. In einem Werk arbeiteten 2400 Männer in drei Schichten, in manchen Jahren starben in einer Fabrik 20 Menschen. Was heute Google, Amazon oder Uber sind, die sich auch in Pittsburgh angesiedelt haben, das waren damals die Stahlwerke. Ein Werk produzierte bis zu 1250 Tonnen pro Tag. Vor 125 Jahren war Pittsburgh die Stadt der Städte. Als aber die Löhne stiegen und die Konkurrenz zunahm, mussten immer mehr Werke schließen, das letzte 1987.

Erst Industriehölle, dann Erholungsgebiet

80 Boote gibt es bei Ian Brown zum Ausleihen, etwa 25 000 Menschen kommen im Jahr, um in der Gegend zu paddeln. Die einheimischen Sportler und Kajakprofis unter ihnen wählen andere Standorte in der Umgebung, die mit ihren Hügeln und Flüssen ein beliebtes Outdoor-Ziel ist. Von der Industriehölle zum Erholungsgebiet.

Das UPMC ist noch gut zu sehen an der Flussgabelung, an der Terry Caywood jeden Mittag zur Lunch-Pause sein Kajak aufbläst und den Fluss runterpaddelt. Der 65-Jährige arbeitet bei einem Technologieunternehmen, hat an dem Tag, als auch Ian Brown vorbeikommt, eine Karotte in einem Thermobag zwischen seinen Beinen und schaut auf die Skyline. "Hier zu fahren, ist irre, weil man mitten in der Stadt ganz für sich ist. Das ist mein persönliches Nirwana." Der Seitenarm ist am Ufer von Bäumen und Pflanzen überwuchert und könnte irgendwo in der Wildnis liegen. Und nur zweieinhalb Meilen flussabwärts ist es wieder die braungrüne Brühe, in die man nicht fallen möchte, auch wenn einem alle sagen, dass das kein Problem sei.

Nach der vierten Brücke wird es ruhiger, links ist hinter Bäumen das ehemalige Heinz-Gelände zu sehen, wo in einem der amerikanischen Aufstiegsmärchen Henry John Heinz vom Meerrettich-Verkäufer zum Großindustriellen wurde. Heute sind die roten Backsteinbauten keine Senf- und Ketchup-Anlagen mehr, sondern Apartments. Straßen werden zu Radwegen, Industriebrachen zu Neubauvierteln, die Universitäten haben Zulauf, ein Ausgehviertel hält die höchste Bar-Dichte der USA, die Zahl der Brauereien ist in zehn Jahren von fünf auf 30 gestiegen. Damals war Pittsburgh in, weil das Wasser Transportweg war und die Hügel voller Erz. Heute kommen die Leute hierher, weil sie gerne am Wasser und auf Hügeln leben.

All das kann man sich von Ian Brown anhören, während man mit der Skyline vor Augen zurücktreibt. Und eine Ahnung davon bekommt, was Handarbeit ist und wie viele Hände es zur Zeit der Mittagsstraßenbeleuchtung gebraucht hat. Ein Geschichtstrip mit Muskelkater-Garantie. Und die Spinne? Ach, die Spinne.

© SZ vom 11.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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