Süddeutsche Zeitung

USA, Land der Fettnäpfchen:Alle so lustig hier

In Kalifornien hebt Marihuana die Stimmung im Café, im Park und am Strand. Legal ist das nur für Patienten mit "Weed Card". Und plötzlich fühlen sich alle ein wenig krank.

Von Beate Wild, San Francisco

Ein sonniger Nachmittag in einem Café in der Haight Street, ich arbeite auf meinem Laptop im Innenhof. Neben mir sitzt ein älterer Herr, schätzungsweise Ende 70, bei einer Tasse Tee. Graue zerzauste Haare, altmodische Brille, abgewetzte Klamotten. Ist sicher einsam, denke ich. Er tut mir irgendwie leid.

Doch dann taucht nach einer halben Stunde sein Freund auf, etwa der gleiche Jahrgang. Sie begrüßen sich herzlich, anschließend holt der Neuankömmling aus seiner Tasche einen riesigen Joint und zündet ihn an. Die nächsten beiden Stunden sitzen die zwei neben mir, kiffen eine Tüte nach der anderen und erzählen sich voller Begeisterung Geschichten von früher. Sie reden über ihre Hippie-Kommune in den 1960ern: "Jimi (sie sprechen natürlich von Jimi Hendrix) wohnte ja nur zwei Häuser weiter." Über eine Reise nach Indien: "Ich hätte ja ewig in diesem Ashram bleiben können." Und über einen ehemaligen Bandkollegen: "Der war damals ein ganz schöner Weiberheld." Sie kichern dabei wie Schulbuben. Ich hätte ihnen den ganzen Tag zuhören können.

Haben wir nicht alle ein wenig Rücken?

Eine Szene wie diese ist in Deutschland nur schwer vorstellbar, und das liegt nicht an der Hippie-Nostalgie. Zwar wird auch in den USA illegaler Cannabis-Besitz teilweise noch hart bestraft, doch gerade ändert sich langsam aber sicher die Marschrichtung: Zwei Staaten, Colorado und Washington State, haben Cannabis bereits legalisiert. Bewohner in Alaska und Oregon haben kürzlich bei den Midterms ebenfalls für eine Legalisierung gestimmt und können ab kommendem Jahr straffrei kiffen. In Kalifornien wird dieser Schritt für das Jahr 2016 erwartet. Dann sind die nächsten Präsidentschaftswahlen und eine Zusatzabstimmung über Cannabis-Legalisierung die perfekte Gelegenheit, um junge Wähler zu mobilisieren - und alte Hippies.

Bis dahin kiffen die Kalifornier ganz einfach auf Rezept. In San Francisco gibt es zahlreiche "Green Doctors", wie die auf Marihuana-Verschreibung spezialisierten Ärzte heißen. In Haight-Ashbury befindet sich die Praxis von Dr ... nennen wir ihn "Green" ... direkt im Hippie-Plattenladen am Golden Gate Park. Ein großes grünes Schild weist draußen auf die kleine Praxis hin, in der sich ein Patient die "Green Evaluation", umgangssprachlich "Weed Card" genannt, verschreiben lassen kann. Auf den Stadtblogs und in Bewertungsportalen wird Dr. Green über den grünen Klee gelobt.

John, der jüngere Bruder meiner Freundin Kimberly, ist auch Patient beim Gras-Doktor. Die Konsultation dauert eine Viertelstunde, erzählt er. 64 Dollar kostet ein Rezept inklusive "Weed Card", diese gilt ein Jahr lang. John bekommt das Marihuana wegen seiner Schlaflosigkeit verschrieben. Viele seiner Freunde konsultieren Dr. Green, trotz ihrer Jugend leiden sie unter Rückenschmerzen, Migräne, Stress oder Depressionen.

Dr. Green hat John auch gleich eine Liste mit den Ausgabestationen ausgehändigt. Eine der bekanntesten ist das Apothecarium. Dort wählt der Patient aus, wie er seine Medizin zu nehmen gedenkt: als Blüte zum Rauchen, in Form von Tropfen, als Kaugummi oder integriert in Cupcakes, Plätzchen oder Schokopralinen. Die frischen Blüten haben Namen wie Blueberry Yum Yums, King Louis XIII oder Purple Alien. Kostenpunkt pro Gramm: 17 Dollar. Ein Cupcake liegt preislich bei 19 Dollar. Für eine Praline muss man zwölf Dollar hinblättern. Jeder Erstkunde bekommt im Übrigen einen vorgedrehten Joint gratis dazu. Außerdem: Wer beim Apothecarium registrierter Kunde ist, kann sich seine Bestellung auch direkt ins Haus liefern lassen. Delivery Deluxe.

Und so ist Marihuana in Kalifornien allgegenwärtig. Sitzt man irgendwo im Park, riecht es garantiert immer nach Gras, aber nicht nach frisch gemähtem. Öffentliches Kiffen scheint sogar weniger ein Problem zu sein als öffentlicher Alkoholgenuss. Im Dezember 2012 wurden in Kalifornien 554 000 Patienten gezählt, die Medical Marijuana vom Arzt verschrieben bekamen. Dass jedoch nicht alle Konsumenten ihr Zeug auf Rezept beziehen, erkennt man schon daran, dass in manchen Parks der Typ, der mit Cannabis gefüllte Schokotrüffel verkauft, ein größeres Geschäft macht als der Sandwich-Verkäufer neben ihm. Kein Wunder, der Trüffeltyp ist wesentlich günstiger als das Apothecarium. Er verlangt für drei Pralinen nur zehn Dollar.

Für deutsche Kiffer hören sich die amerikanischen Verhältnisse sicherlich paradiesisch an; sie verspüren schon ein sehnsüchtiges Ziehen im Rücken, das nach einer Langstrecke im Economysitz zum bohrenden Schmerz werden könnte. Doch bevor jetzt einer seinen Flug nach San Francisco bucht: Das ärztliche Marihuana-Rezept ist in Kalifornien "Residents", also registrierten Einwohnern, vorbehalten. Der Arzt will auf jeden Fall die ID, also den Ausweis, sehen. Wer als Tourist legal kiffen oder berauschende Pralinen kosten will, muss also nach Colorado oder Washington State fahren. Noch.

In der Kolumne "USA, Land der Fettnäpfchen" schreibt unsere Autorin Beate Wild aus San Francisco über alltägliche Sitten und Unsitten in den Vereinigten Staaten.

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