USA:Im Pulverschnee zur Hölle

Sieben Monate Winter: Telluride galt lang als ungastliche Gegend und boomt heute deshalb.

Thomas Becker

"Tja, wer unberührte Pisten fahren will, muss früh aufstehen." Morgenmuffel kennen diese Besserwisser-Sprüche zur Genüge. Und wie man sie hasst, diese Sprüche. Es gibt ein Skigebiet, in dem Frühaufsteher alt aussehen, weil vor neun in der Früh kein Lift läuft und wo man einen ganzen Vormittag lang einen Hang für sich allein hat.

viertausender / crested butte

Weite Täler, sanfte Hänge - und ein paar Viertausender.

(Foto: Foto: Crested Butte)

Dort darf man selbst bei Neuschnee und Kaiserwetter eine Spur nach der anderen in frisches Pulver malen, denn die erste fremde Spur in der individuellen Schwungsammlung gehört einem Reh.

Crested Butte heißt wörtlich: die erklommene Spitzkuppe. Es handelt sich um ein 2000-Einwohner-Städtchen in den Elk Mountains im Südwesten Colorados, 17 Meilen Luftlinie bis Aspen. Dorthin führt Ende März die "Grand Traverse", ein Ausdauer-Rennen durch weiße Wälder und über den im Winter gesperrten Kebler-Pass.

"Superman" ist weggezogen

Aber außer ein paar Extremsportlern zieht es kaum jemanden aus der kuscheligen Spitzkuppen-Ecke hinüber in den mondänen Zirkel der Reichen und Super-Reichen. In Crested Butte schallt gut abgehangener Hardrock aus den Boxen, das bevorzugte Getränk zum Burger ist Bier, und auch die örtlichen Millionäre fallen nicht weiter auf, murmeln ins Handy, dass das Haus morgens mal wieder von Elchen umzingelt gewesen sei.

"Superman" Michael Keaton ist weggezogen. Er wertete die Tatsache, dass ihm vor dem "Timberline", einem schicken, aber sehr netten Restaurant auf der Elk Avenue, ein Schild auf den Kopf fiel, als Zeichen, die Stadt lieber zu verlassen.

Ein Fehler. Der vor ein paar Jahren noch vor der Pleite stehende Wintersportort prosperiert. Das Skigebiet wächst behutsam. Flexibel einsetzbare Chondolas schaufeln tagsüber Skifahrer im Sessellift-chair und abends in der gondola Hungrige zum Lodge-Dinner auf den Berg.

Der Ortskern des höher gelegenen Mount Crested Butte wird aufgemöbelt, was dem Goldgräber-Charme von Downtown nicht schadet. Jedes der knuffigen Holzhäuschen lädt dazu ein, kurz hereinzuschauen. In den Saloons wird "Electric Bullriding" geboten.

Schuld an der heilsamen Expansion ist Tim Mueller, ein Unternehmer von der Ostküste. Im März vergangenen Jahres kaufte er das marode Ski-Resort auf, in dem seit der Gründung 1961 nicht mehr allzu viel modernisiert worden war. Es ist schon sein drittes Skigebiet neben Okemo Mountain in Vermont und Mount Sunapee in New Hampshire.

Die offene, freundliche Art der Menschen hier gefällt dem baumlangen Mittfünfziger: "Im Osten haben sie für den Feiertagsumzug am 4. Juli auch eine Feuerwehrspritze. Aber sie würden dich nie damit nass spritzen. Hier ist das anders."

In der Tat trifft man jede Menge lustiger Gesellen, viele Zugereiste. Da ist Laura, die Börsenmaklerin, die die Nase voll hat von L. A. und mal was ganz anderes machen will. Ronaldo, der brasilianische Kellner, den es via Club Med in die Berge verschlagen hat. Phil, der Snowboarder, der spät abends mit Board und Spülmittel unterm Arm im Bus sitzt.

"Zahl' einfach morgen"

Ian, der irisch-urige Skiverleiher mit dem Rauschebart. Oder Mindy, die im Extreme-Freeskiing-Weltcup steilste Hänge bezwingt, das hier prima üben kann und sich nur ärgert, wenn jemand vor ihr den Tiefschnee "gehämmert" hat.

Man muss aber nicht bis auf 3700 Meter hinauf, um Spaß zu haben. Das geht auch knapp tausend Meter tiefer. Zum Beispiel an diesem Hang hinter "Camp 4", dieser schmalen Bretterbude, wo die Liftboys zum Beastie-Boys-Sound Getränke wie "Hot damn" oder "Peppermint-Schnapps" trinken, Cookies essen und wo man auch ohne Geld in der Tasche versorgt wird: "Zahl' einfach morgen." Ein paar Meter weiter, da liegt dieser unberührte Hang... Wo genau? Wird natürlich nicht verraten.

Im Pulverschnee zur Hölle

Noch etwas höher geht es einige Dutzend Meilen weiter südwestlich. Der höchste Punkt des Skigebiets von Telluride liegt auf 3735 Metern; im "Peaks", dem angesagtesten Hotel am Platz, ist in der Lobby eine Messingplatte in den noblen Steinboden eingelassen: Elevation 9490 feet - 2893 Meter, eine nicht zu verachtende Höhe. Die Luft ist so trocken, dass auf den Zimmern Luftbefeuchter nötig sind.

Entschädigt wird der oft kurzatmige Besucher des hoch über dem historischen Telluride liegenden Mountain Village mit einem grandiosen Blick über die Hochebene, die vom fast 4300 Meter hohen Mount Wilson dominiert wird. Die San Juan Mountains zählen zu den Ausläufern der Rockies, New Mexico und der Rio Grande sind nicht mehr weit. Der erste bekannte Tourist kam aus Utah: Butch Cassidy.

Am 24. Juli 1889 begann in Tellurides Main Street, Hausnummer 131, die filmreife Karriere des Bankräubers, der als Robert Leroy Parker in Beaver, Utah, auf die Welt kam. Er verkaufte die im Nachbarstaat gestohlenen Pferde an Gold- und Silbersucher Tellurides, überfiel ebenda mit drei Komplizen seine erste Bank, erbeutete mehr als 20.000 Dollar.

Heute gibt es in der einstigen San Miguel Valley Bank nurmehr "Organic Coffee" zu holen, ein Schild mahnt: Reserve our world! Telluride galt lange als ungastliche Gegend, wo sieben Monate im Jahr tiefster Winter herrscht. Vor 1872 ließ sich niemand nieder, nur die Jäger vom Stamm der Ute-Indianer während der Sommermonate.

Erst als Spanier auf der Suche nach einem Landweg zu ihren Besitzgründen am Pazifik in dem engen Flusstal Station machten und Edelmetalle fanden, begann die Geschichte der Stadt, die zunächst Columbia hieß. Da es auch in Kalifornien ein Goldgräberstädtchen gleichen Namens gab, musste ein neuer Name her.

"To hell you ride!"

Um den ranken sich zwei Legenden. Die erste Variante hebt auf Tellurid ab, eine chemische Verbindung, die mit Silber und Gold als "gediegen" vorkommt, wie Wissenschaftler sagen. Charmanter ist die zweite Variante: Machte sich einst im viele Tagesreisen entfernten Denver ein Goldsucher auf den Weg durch die Rockies, rief man ihm nach: "To hell you ride!"

Dennoch, das Gold lockte viele: Nach der Jahrhundertwende lebten 5000 Menschen in Telluride, es gab 29 Bordelle, auch ein paar Hotels. Heute sind es 2000 Einwohner, Freudenhäuser sind out, das Kino heißt immer noch "Nugget Theatre" und auch eine der alten Unterkünfte steht noch: das sehr heimelige "New Sheridan", eingerahmt von einem exquisiten Restaurant und einem ursprünglichen Saloon, in dem noch die Regeln von anno dazumal gelten: Nicht auf den Pianisten schießen! Keine Pferde im ersten Stock!

Mit der bis Mitternacht fahrenden Gondel geht es wieder hinauf ins mondäne Mountain Village. Hier oben im Vier- und Fünf-Sterne-Idyll werden am Morgen die Ski vor der Tür parat liegen, manche werden unberührte Hänge suchen, mal einen Tag Heli-Ski einstreuen: Der Hubschrauber landet gleich hinterm Haus. Wer viel Geld hat, muss auch nicht früh aufstehen.

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