In der Kapitänskajüte ist es drückend schwül. Captain Buck nimmt die verspiegelte Sonnenbrille aus dem gebräunten Gesicht, wischt sich mit einem Handtuch den Schweiß von der Stirn, bevor er antwortet. "Wie wir unsere Schiffe vor dem Hurrikan gerettet haben? Da war nicht nur seemännische Erfahrung im Spiel. Sondern Gottes Hand. Sonst wären unsere drei Dampfer heute Altmetall."
Am Hafen von Gulfport, Mississippi, erinnert bestenfalls ein neu erbauter Leuchtturm an die größte Naturkatastrophe in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Draußen strömen die Passagiere an Bord: Ausflügler in Badelatschen, Eisboxen und Klappstühle schleppende Familien. Captain Buck wird sie für einen Tagesausflug zum zwölf Meilen entfernten Ship Island fahren, einer von Vögeln bevölkerten Sandbank, die zu den als Naturschutzgebiet deklarierten Gulf Islands gehört. Nach Katrina war die Insel zeitweilig im Meer verschwunden. "Nur das 150 Jahre alte Fort Massachusetts blieb stehen", erklärt Captain Buck, der eigentlich Joseph William Buckley heißt. "Die haben das einst so massiv gebaut, um die Küste gegen spanische Kriegsschiffe zu verteidigen. Einen Hurrikan wie Katrina aber konnte sich damals wohl niemand vorstellen."
Bucks Großvater hatte 1926 die Fährlinie nach Ship Island gegründet. Heute zieht nicht nur das im amerikanischen Bürgerkrieg von den afroamerikanischen Louisiana Native Guards bewachte Fort die Touristen an. Vor allem die weißen Sandstrände locken. Während Kapitän Bucks Schiff in einer markierten Fahrrinne nach Süden dampft, deutet er auf vorbeifahrende Tanker und Frachtschiffe: "Achten Sie auf die Bugwelle." Springende Delfine. Auch am Strand von Ship Island spielen die Meeressäuger vor den Liegestuhlreihen, als wären sie eigens dorthin bestellt worden, während Pelikanschwärme über sie hinwegziehen. "Zuerst kamen die Waschbären, die Beutelratten und Schildkröten auf die Insel zurück", sagt Buck. "Und ab 2007 auch die Touristen. Aber vor zehn Jahren hat kaum jemand daran geglaubt."
Damals, am Morgen des 29. August 2005, als Hurrikan Katrina auf die Golfküste traf, gehörten Captain Buck und seine Crew zu denjenigen, die sich den Evakuierungsbefehlen widersetzten. Sie wollten die drei Dampfer und drei Yachten ihrer Familiengesellschaft nicht tatenlos der Sturmflut überlassen. Also fuhren sie die Flotte in einen Bayou, einen Meeresarm, hinter Biloxi. "Wir waren zu acht. Zuerst spannten wir die Schiffe in eine Art Spinnennetz, das sie nach allen Richtungen an Bäumen, Masten, Ankern fixierte. Dann ließen wir die Motoren laufen - auf Vollgas gegen die Flutwelle." Zwölf Stunden später sah Kapitän Louis nur noch die Baumwipfel der Pinien, an die die Schiffe gebunden waren. Die Flutwelle hatte alle Häuser am Ufer weggespült. "Wir retteten viele Menschen, die mit ihren Booten bei uns anlegten. Zum Glück hatten wir genug Wasser, Lebensmittel und Treibstoff gebunkert." Als der Wind nachließ, war Biloxi unter einem Haufen Schwemmholz und Trümmern begraben. "Alles war gerissen. Und nur noch zwei Seile hielten unsere sechs Boote zusammen."
64 000 zerstörte Wohnhäuser, 235 Tote: Trotz dieser verheerenden Bilanz an der Mississippi-Golfküste scheint die Katastrophe hier weniger Narben hinterlassen zu haben als in der nahen Metropole New Orleans. Vielleicht, weil die Spannungen zwischen den Ethnien hier weniger ausgeprägt sind. Vielleicht auch, weil die örtlichen Behörden schneller reagiert haben. "Wir sind hier alle zusammengerückt", sagt Karen Conner vom Fremdenverkehrsverband Biloxi. "Schwarze und weiße Nachbarn saßen plötzlich gemeinsam im Boot. Die Katastrophe hat tiefe Verbindungen gestiftet. So hat unsere Presbyterianer-Kirche ihre Räume für Gottesdienste der obdachlos gewordenen jüdischen Gemeinde geöffnet."
Der Vollmond steht über dem Strand von Biloxi: Hier hat die Katastrophe tiefe Verbindungen gestiftet.
(Foto: AFP)Wer heute nach äußeren Hinweisen auf Katrina sucht, der muss schon genau hinsehen. Auf dem Highway 90 zwischen Gulfport und Biloxi erinnern nur noch ein paar Palmstümpfe an die Katastrophe. Und die vielen "Sales"-Schilder. Oft sind die Betonfundamente der einstigen Villen auf den grasüberwachsenen Grundstücken zu erkennen. Warum gerade hier, in Küsten-Bestlage, niemand neue Häuser baut? "Die Beiträge für die Sturm-Versicherung haben sich nach Katrina verfünffacht", sagt Karen Conner vom Fremdenverkehrsbüro in Biloxi. "Das macht Grundstücke in den ersten Reihen unrentabel."