USA:Den Bus nehmen - sind Sie verrückt?

Bus, New York

Wer in New York Bus fahren muss, lenkt sich ab.

(Foto: REUTERS)

U-Bahn, Taxi, Uber - für New Yorker alles in Ordnung. Doch wer in ihrer Stadt Bus fährt, wird schief angeguckt. Wieso eigentlich?

Von Johanna Bruckner, New York

Bis vor einigen Jahren betrug die Durchschnittsgeschwindigkeit eines New Yorker Busses etwa sieben Kilometer in der Stunde. Zum Vergleich: Ein Spaziergänger kommt beim Überqueren einer Ampel auf etwa fünf km/h. Geübte Jogger konnten sich also überlegen, ob sie nicht ganz gemütlich zu Fuß gehen, anstatt den Bus zu nehmen. Wobei sich viele New Yorker diese Frage nie stellen würden, denn Busfahren hat hier ein miserables Image.

U-Bahn, Taxi, Uber - alles legitime Verkehrsmittel, um nach einem Dinner bei Freunden den Heimweg anzutreten. Aber der Bus? Sorgt für Stirnrunzeln und Zweifel an der geistigen Gesundheit: "Crazy, are you?"

Dabei ist der Bus zumindest spätabends eine grundvernünftige, weil schnelle Möglichkeit, an sein Ziel zu kommen. Nach 22 Uhr sind in New Yorker Vierteln wie in Dumbo die Bürgersteige hochgeklappt. Einziger Unterschied zu einem deutschen Provinznest um Mitternacht sind Berge von Müllsäcken auf der Straße und torkelnde Hipster. Die würden eher eine Latte mit normaler Vollmilch trinken, als sich in einen Bus zu setzen. Ob es an der Atmosphäre liegt?

Während eine Werbung in der U-Bahn nicht von ungefähr verspricht, das auf dem Sitz gegenüber möglicherweise der spannendste Mensch sitzt, dem man je begegnet ist, gilt im Bus: Mind your own business. Die Stimmung ist geschäftsmäßig. Hier ist jeder Mensch eine Insel, die sich selbst genügt. Die Kontaktaufnahme mit dem Nachbareiland wird als diplomatischer Affront gewertet. Besser: aufs Handy oder aus dem Fenster schauen. Letzteres ist besonders für ungeübte Busfahrer empfehlenswert: Die Haltestellen werden selten angesagt. Die Herausforderung ist, das Bushaltestellenschild rechtzeitig zu entziffern, um noch aus dem Bus hechten zu können. (Alternativ: die eigene Route per Navigations-App verfolgen.)

Die Zahlen sprechen für sich: Seit 2002 nutzen jedes Jahr weniger New Yorker den Bus. Im Jahr 2015 verbuchte die U-Bahn der Metropole 1,7 Milliarden Fahrgäste, auf die 5748 Busse kam nicht einmal die Hälfte. Und das, obwohl die Metropolitan Transportation Authority (MTA) am Geschwindigkeitsproblem arbeitet.

Das Tür-Wunder von Manhattan

Seit 2008 gibt es Express-Busse (den sogenannten Select Bus Service), die auf Streckenabschnitten mit hohem Verkehrsaufkommen eigene Fahrbahnen haben, um nicht in einen Stau zu geraten. Das hilft vor allem der Statistik: Mittlerweile beträgt die Durchschnittsgeschwindigkeit eines New Yorker Busses knapp zwölf Kilometer in der Stunde. Damit liegt New York im Vergleich mit anderen amerikanischen Großstädten immer noch auf dem letzten Platz. Die durchschnittliche Höchstgeschwindigkeit wird im Übrigen in Los Angeles erreicht: Hier schaffen Busse etwa 17 Kilometer pro Stunde - das könnte erklären, warum die Abneigung vieler Amerikaner gegen das Busfahren durchaus nicht nur auf New York beschränkt ist.

Hier wird der zusätzliche Speed auch durch eine ganz banale Neuerung erreicht: Express-Busse, erkennbar am "X" vor der Nummer, dürfen durch alle Türen betreten werden. Für New Yorker ist das ungewohnt, denn bei regulären Bussen ist der Einstieg nur durch die vordere Tür beim Busfahrer erlaubt. Das soll Schwarzfahren unmöglich machen - kostet aber Zeit: Die MTA führt ein Viertel aller Verspätungen auf Verzögerungen beim Einstieg zurück. Weil die Metro Card nicht griffbereit ist oder 2,25 Dollar abgezählt werden müssen (Rückgeld gibt es nämlich nicht). Anders in Express-Bussen: Bezahlt wird vor Fahrtantritt an der Haltestelle, zugestiegen werden darf überall. Das reduziert die Fahrtzeit um 20 Prozent. New Yorker sind dennoch irritiert: Sie müssen trotz gültiger Monatskarte am Fahrkartenschalter eine Quittung lösen. Wer das versäumt, zahlt 100 Dollar Strafe. Verständlich, dass da keine Liebe aufkommt. Dabei hat New York eine lange und bemerkenswerte Bus-Geschichte.

Ort der Diskriminierung, Retter in der Not

1827 brachte Abraham Brower den ersten "Omnibus" auf die Straße, genauer gesagt: den Broadway. Das kutschenähnliche Vehikel mit zwölf Sitzen verkehrte zwischen Wall Street und Bleecker Street, gezogen wurde es von Pferden. 27 Jahre später klagte die junge Lehrerin Elizabeth Jennings vor Gericht, weil sie als Afroamerikanerin aus einem Bus geworfen worden war. Sie bekam recht - das war hundert Jahre, bevor Rosa Parks mit einem ähnlichen Protest die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA mitbegründete. Jennings' Anwalt, ein gewisser Chester A. Arthur, wurde im Übrigen später 21. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Manchmal war die New Yorker Busflotte Retter in der Not: Im Winter 1961, als die städtischen Schneepflüge mit den kalten Massen überfordert waren, sprangen New Yorks Busfahrer als "Snow Fighter" ein. Und in den Tagen nach dem verheerenden Hurrikan Sandy von 2012 brachten Busse die Menschen von Brooklyn nach Manhattan und zurück - die U-Bahn-Tunnel unter dem East River waren überflutet.

"Busfahren ist hundert Mal komplizierter als U-Bahnfahren"

Mehr als einen kurzfristigen Sympathiebonus haben diese Heldentaten nicht gebracht. Der Datenjournalist Jonathan Soma beschreibt es so: "Busse können einfach nicht gewinnen, weil Busfahren hundert Mal komplizierter ist als U-Bahnfahren. Das Streckennetz ist so unübersichtlich wie seinerzeit das Byzantinische Reich, die Fahrpläne sind verwirrend, und wenn es darum geht, zur Arbeit in ein anderes Viertel zu fahren, sind sie nicht gerade der strahlende Gewinner."

Tatsächlich ist der öffentliche Nahverkehr in New York darauf ausgerichtet, Menschen aus den vier anderen Stadtteilen nach Manhattan zu transportieren. Hier verkehrt (vergleichsweise zuverlässig) die U-Bahn. Wer aber beispielsweise in der Bronx wohnt und in Queens oder Brooklyn arbeitet, kommt um den Bus kaum herum und hat damit einen langen und oft frustrierenden Arbeitsweg. Das trifft vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen. Busfahren ist nicht hip, Busfahren ist ein notwendiges Übel für diejenigen, die keine andere Wahl haben. Besserverdiener meiden den Bus und nehmen nach Möglichkeit die U-Bahn.

Das war nicht immer so. Noch Ende der Neunziger fuhren Carrie und Co. in der Serie Sex and the City stets Taxi. Die New Yorker Subway war da zwar schon sicherer geworden, aber der Ruf hallte nach, dort leicht zum Opfer von Raub oder Gewalt werden zu können. Heute geben Straßenmusikanten in der U-Bahn Konzerte und selbst spätnachts nutzen New Yorkerinnen die meisten Linien ohne Bedenken. Der Bus ist sogar noch sicherer (Verkehrsunfälle einmal ausgenommen). Ob auch ihm irgendwann der Imagewandel gelingt?

Datenjournalist Soma versucht einen Anfang: Er hat interaktive Karten erstellt, die zeigen, bei welchen Strecken sich mit dem Bus tatsächlich Zeit sparen lässt. Und Zeit ist in New York fast so wichtig wie Geld.

Mit dem Bus durch New York

Hilfreich, um das New Yorker Bus-System zu verstehen: Busse, die in Manhattan verkehren, sind erkennbar am "M" vor der Nummer. "BX" steht für Bronx, "B" für Brooklyn, "Q" für Queens und "S" für Staten Island; die Links führen Sie zu den jeweiligen Streckenplänen für die Viertel. Auf der Seite der MTA (Metropolitan Transportation Authority) gibt es zudem eine Vielzahl an Verkehrs-Apps, unter anderem zu Kunst in der U-Bahn und einen Alarm, der meldet, wenn sich der nächste Bus Ihrer Haltestelle nähert.

In Manhattan etwa führen die Buslinien 1 bis 4 am Central Park, am Rockefeller Center und dem Empire State Building vorbei, andere Linien durchqueren den Park.

Die Unübersichtlichkeit des engmaschigen Busnetzes können Touristen als Inspiration nutzen, von Manhattan nach Brooklyn fahren - etwa ins angesagte Williamsburg - und weiter nach Queens. Um dann die Viertel kreuz und quer zu erkunden.

Der große Vorteil gegenüber der U-Bahn: Urlauber bekommen mehr als nur punktuelle Eindrücke von der Stadt, wenn sie aus dem Busfenster beobachten, wie sich die Viertel und mit ihnen die Stimmungen verändern.

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