USA:Chicago geht baden

AJ2787, Chicago, volleyball, skyline, Illinois, People playing volleyball games on the beach along Lake Michigan at North Avenue Park with skyline of downtown Chicago in the background in the state of Illinois.

Die Beachvolleyballer treffen sich am liebsten am North Avenue Beach am Ufer des Lake Michigan.

(Foto: Andre Jenny / Mauritius Images / Alamy)

Die Millionenstadt liegt an einem See, der aussieht wie ein Meer. Und hat einen Fluss, den lange niemand zu schätzen wusste. Das ändert sich gerade.

Von Karoline Meta Beisel

Die Serie "Baywatch" hat die Leute verdorben. "Fernsehteams fragen oft, ob wir für die Kameras in Zeitlupe am Strand entlangjoggen können", sagt Eric Fisher, ein echter Rettungsschwimmer. "Ich antworte dann immer: Auf gar keinen Fall!" Er lacht dabei so laut, dass sein ganzer Körper bebt. Eric Fisher ist der Chef der städtischen Rettungsschwimmer, also gewissermaßen der Mitch Buchannon aus Baywatch, seinerzeit gespielt von David Hasselhoff. Mit im Sommer mehr als 1000 Lebensrettern ist sein Team eines der größten der Vereinigten Staaten. Allerdings ist das Meer, an dessen Stränden sie die Badegäste vor zu hohen Wellen oder tückischen Unterströmungen beschützen sollen, in Wahrheit nur ein See: der Lake Michigan in Chicago.

Chicago ist nach New York City und Los Angeles mit 9,5 Millionen Einwohnern die drittgrößte Stadt der USA. Aber während die meisten Menschen von New York und Los Angeles zumindest eine Handvoll Sehenswürdigkeiten aufzählen können, wissen sie über die Stadt im Bundesstaat Illinois oft gerade, dass dort verhältnismäßig viele Menschen mit Schusswaffen getötet werden und dass der Chicago River, der mitten durch die Stadt fließt, jedes Jahr zum St. Patrick's Day grün gefärbt wird.

Dass Chicago an einem der "Great Lakes" liegt, der Großen Seen, sieht man zwar auf der Landkarte - aber die wenigsten haben eine Vorstellung davon, wie groß dieser See tatsächlich ist: knapp anderthalb mal so groß wie die Schweiz, fast doppelt so groß wie der Baikalsee. Selbst bei allerbestem Wetter kann man das andere Ufer niemals sehen, auch nicht mit dem Fernglas. Vom Strand aus geht der Lake Michigan mit seinem klaren, blaugrünen Wasser, den Wellen, die auf die flachen Strände schlagen, und den Seevögeln also locker als Meer durch, besonders im Sommer.

Am Ohio Street Beach zwängen sich Steven und Margaret Schmidt in ihre langärmeligen Neoprenanzüge. Insgesamt 42 Kilometer Sandstrand gehören zum Stadtbereich von Chicago. Der schmale Abschnitt am östlichen Ende der Ohio Street, gleich neben dem Vergnügungsviertel am Navy Pier, ist für die Schmidts der nächstgelegene Strand. Er ist auch der zentralste: Von der beliebten Einkaufsstraße North Michigan Avenue in Downtown Chicago sind es zu Fuß keine zehn Minuten hierher. Neoprenanzüge wären zwar nicht unbedingt nötig: Im Moment hat der Lake Michigan eine Temperatur von etwa 23 Grad, auch hier ist es derzeit etwas wärmer als normalerweise. Die Schmidts jedoch haben Großes vor: Margaret will im benachbarten Bundesstaat Michigan an einem Rennen über die halbe Ironman-Distanz teilnehmen; Steven trainiert für den Chicago-Triathlon Ende des Monats. Die beiden kommen her, so oft es geht, und bleiben lang im Wasser.

Für Ausdauersportler wie Margaret Schmidt ist der Ohio Street Beach perfekt. Richtung Norden kann man 800 Meter entlang der Uferbefestigung schwimmen, nie weit von der sicheren Mauer entfernt - oder einem von Fishers Rettungsschwimmern.

Beachvolleyballer gehen eher an den North Avenue Beach: Etwa zwei Kilometer nördlich der Ohio Street finden sich an einem einzigen Strandabschnitt mehr als 80 Plätze, die man mieten kann. Auch Studenten kommen gerne hierher. Am Montrose Beach noch weiter im Norden dagegen treffen sich vor allem Familien - es gibt viele Parkplätze hier; außerdem kann man dort Segelboote leihen. So hat jeder der 27 Strände von Chicago seinen eigenen Charakter.

Aus europäischer Sicht etwas eigentümlich: Die Strände sind zwar nicht umzäunt oder anderweitig gesichert. Offiziell sind sie trotzdem nur von sechs Uhr morgens bis elf Uhr am Abend geöffnet; und das Schwimmen ist nur während der Dienstzeiten der Rettungsschwimmer erlaubt: von elf bis 19 Uhr. Die meisten Badegäste halten sich an diese Zeiten, an manchem warmen Wochenende kommt trotzdem bis zu eine Viertelmillion Besucher.

Der Fluss war eine brackige Brühe

Klingt jetzt schon nach viel - und doch könnte die Zahl der Badegäste in Chicago in Zukunft sogar noch steigen. "Der Fluss ist das Juwel unserer Stadt", sagt Eric Fisher. "Ich bin mir sicher, dass die Leute bald im Chicago River schwimmen." Schwimmen im Chicago River - das ist allerdings eine verwegene Prognose. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts war der Chicago River eine brackige, müffelnde Brühe, voll mit den Fäkalien der Stadtbewohner, mit Tierkadavern aus den Schlachthöfen der Stadt und anderem Unrat.

USA Wolkenkratzer in Chicago in der Mitte der Chicago Fluss 10 05 2018 USA Skyscrapers in Ch

Bislang wurde der Chicago River bestenfalls für Flusskreuzfahrten genutzt. Seit es die neue Uferpromenade gibt, verbringen die Menschen hier auch ihre Mittagspause.

(Foto: Rainer Unkel/Imago)

So dreckig war der Fluss, dass die Einwohner von Chicago im Jahr 1871 sogar die Fließrichtung des Flusses änderten, um den Lake Michigan nicht weiter zu verpesten, den sie für ihre Trinkwasserversorgung brauchten; eine für die damalige Zeit irrwitzige technische Leistung: Sie gruben südwestlich der Metropole den "Chicago Sanitary and Ship Canal", einen Graben - so tief, dass der Fluss seither nicht mehr wie von der Natur vorgesehen in den Lake Michigan mündet - sondern über den Des Plaines River und den Mississippi in den Golf von Mexiko.

Der Niedergang der Fleischindustrie in Chicago und der Clean Water Act aus dem Jahr 1972 haben sich zwar auch schon positiv auf die Wasserqualität des Chicago River ausgewirkt. So sauber wie jetzt war der Fluss aber noch nie: Erst seit 2016 wird das Abwasser in den großen Kläranlagen in Nord-Chicago nicht mehr nur geklärt, sondern auch desinfiziert, bevor es in den Fluss geleitet wird, wie es in anderen Städten längst Standard ist. Zumindest von März bis Ende November, wenn sich die Leute eher am Fluss aufhalten. Nur nach besonders starken Regenfällen gelangt immer noch Abwasser in den Fluss, dann wird auch das Baden im See untersagt.

Dass die Stadt ihren Fluss lange Jahre nicht wertgeschätzt hat, kann man auch an der Architektur ablesen: Viele ältere Gebäude haben auf der dem Fluss zugewandten Seite keine Fenster, in anderen Hochhäusern sind dort die Parkhäuser untergebracht - nach dem Motto: Alles, was hässlich ist, verstauen wir am Wasser.

Steven und Margaret Schmidt

Steven und Margaret Schmidt zieht es an die Strände der Stadt.

(Foto: Karoline Meta Beisel)
Margaret Frisbie

Margaret Frisbie will erreichen, dass man auch im Chicago River bald schwimmen kann.

(Foto: Karoline Meta Beisel)

Doch das Verhältnis der Bewohner zu ihrem Fluss ändert sich gerade. Nicht nur, dass das Wasser so sauber ist wie nie, Stadtplaner haben auch den Uferbereich aufgewertet: Neue wie auch restaurierte Gebäude sind dem Chicago River zugewandt, mit Balkonen, Terrassen und Parks. Im vergangenen Jahr wurde das letzte Teilstück des "Riverwalk" fertiggestellt - eine knapp zwei Kilometer lange Promenade entlang des Südufers. Seitdem flanieren dort Touristen und Einheimische gleichermaßen.

Geschäftsleute aus den umliegenden Hochhäusern sitzen in ihrer Mittagspause auf den hohen Stufen des sogenannten River Theaters, von wo aus man die Kajaks und Ausflugsboote auf dem Fluss beobachten kann. Unter den zwischen den Stufen gepflanzten Bäumen sind sogar Steckdosen versteckt, um das Handy aufzuladen. An der nächsten Ecke treffen sich junge Eltern in einem Café. Auf der Terrasse ist ein Springbrunnen, in dem bei Hitze die Kinder spielen. Und folgt man dem Fluss nur ein paar Hundert Meter nach Norden, tauchen vom Schilf umwachsene Industrieruinen auf. Eine wohl nicht mehr lange ungestörte Uferidylle, die an die Hamburger Elbinsel Wilhelmsburg erinnert - erst auch vergessen und dann plötzlich hip.

Trotzdem: schwimmen? Margaret Frisbie ist überzeugt, dass das für viele bald selbstverständlich sein wird. "In Paris schwimmen die Leute doch auch im Kanal, warum soll das bei uns nicht gehen?", sagt sie. Mit dem Verein Friends of the Chicago River, dessen Vorsitzende sie ist, tut sie alles dafür, dass es bald so weit ist - und schwimmt mit gutem Vorbild voran: Ende des Monats will sie mit mehreren Würdenträgern der Stadt in den Fluss springen, um zu beweisen, dass der längst nicht mehr so stark verschmutzt ist. Zusätzlich betreiben die Friends of the Chicago River in einem der Türme der Dusable-Zugbrücke ein kleines Museum, um zu zeigen, wie sehr sich der Fluss verändert hat. "Ich glaube, ob man das Schwimmen im Fluss akzeptiert, ist eher eine kulturelle Frage als eine gesundheitliche", sagt sie. "Wir haben lange auf den Fluss herabgesehen, im übertragenen, aber auch im tatsächlichen Sinne: Man konnte sich dem Wasser ja gar nicht nähern, bevor es den Riverwalk gab." All das habe sich so schnell verändert, dass dieser neue Chicago River nun selbst für Einheimische eine Überraschung sei.

Noch ist der Fluss zwar nicht so sauber, dass man jenseits von öffentlichkeitswirksamen Events wirklich regelmäßig darin schwimmen kann. Das weiß auch Margaret Frisbie. "Das wollen wir aber in den nächsten fünf Jahren schaffen", sagt sie. Ganz so optimistisch ist Rettungsschwimmerchef Eric Fisher nicht. Zweifel daran, dass es passieren wird, hat er aber auch keine: "Das werde ich auf jeden Fall noch erleben", sagt er. "Das wird großartig!"

Informationen

Anreise: von Deutschland zum Beispiel mit der Lufthansa direkt von München, hin und zurück ab ca. 700 Euro, www.lufthansa.de.

Übernachtung: zum Beispiel im Radisson Blu Aqua in Downtown, Doppelzimmer mit Frühstück ab etwa 150 Euro, www.radissonblu.com.

Weitere Auskünfte: Eine Übersicht über alle Strände von Chicago findet sich auf der Homepage des Park Districts, www.chicagoparkdistrict.com/beaches. Details zum Riverwalk unter www.chicagoriverwalk.us. Die "Friends of the Chicago River" informieren auf ihrer Homepage über ihre Aktivitäten, www.chicagoriver.org. Das Chicago River Museum hat eine eigene Homepage: www.bridgehousemuseum.org.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Zur SZ-Startseite
Golden Gate Bridge, San Francisco, California, USA

SZ PlusSan Francisco
:Überraschend wild

Zwanzig Minuten von Downtown San Francisco findet sich einer der ersten urbanen Nationalparks der USA. Hier erlebt man Wälder, Bächer, Blumenwiesen - und sieht Wale auf ihrem Weg nach Alaska.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: