US-Metropole im Kino:Niemals nach New York

Robert de Niro in Taxi Driver

Traumwandlerisch und unberechenbar: Robert de Niro als müder Krieger in Taxi Driver.

(Foto: Imago Stock&People)

Unser Autor war noch niemals in New York. Er möchte auch gar nicht dorthin. Dank Alfred Hitchcock, Martin Scorsese und Sidney Lumet kennt er die Stadt bereits. Im Kino ist er dort heimisch geworden.

Von Fritz Göttler

Hang me, oh hang me, and I'll be dead and gone... singt Llewyn Davis, der strubbelige, einsame Folksinger auf der Bühne des Gaslight Café. Er lümmelt müde über seiner Gitarre, und das Publikum ist ihm ganz fern, mühsam quetscht er die Worte seines Songs aus sich heraus, lässt sie kaum zu Sätzen werden. Put the noose around my neck, hung me up so high...

Llewyn Davis ist eine Inkarnation des amerikanischen Folksongs Anfang der Sechziger, er wird gespielt von Oscar Isaac in "Inside Llewyn Davis", dem neuen Film der Brüder Ethan und Joel Coen, der diese Woche in die Kinos kommt. Er ist Verkörperung des New Yorker Village und seiner Kleinkunstkultur, eine Verkörperung also auf gewisse Weise der Stadt New York. Ein Unbehauster, ohne eigene Wohnung und meistens ohne Geld in der Tasche, ohne Mantel zieht er durch den matschigen New Yorker Winter, er klingelt bei Freunden und fragt, ob deren Couch denn frei wäre, für ein, zwei Nächte. Er gehört der Stadt und niemandem sonst. Das Village, die Stadt der Unbehausten, der Ruhelosen, denen das Kino gerade in ihrer Unbehaustheit ein Gefühl der Geborgenheit gibt, und uns Zuschauern mit ihnen.

Ein Glück ist in diesem Film zu spüren wie schon lange nicht mehr im Kino, es ist das Glück, das man aus den Filmminiaturen von Jonas Mekas kennt, der seit Jahrzehnten täglich sein kleines New York filmt, die Kinder und Passanten auf den Straßen, den Himmel, den Schnee, auch die Prominenten, von denen manche inzwischen tot sind, von Warhol bis Mailer.

Man kann sich heimisch fühlen unter den Verrückten im Village, die die Obdachlosigkeit der wahren Kunst praktizieren, in der unberechenbaren Stadt New York, die laut, besinnlich, durchgeknallt, schräg, aufdringlich, authentisch, fake ist, aber auch generös und offen. Hollywood hat diese Metropole auf der andern Seite Amerikas immer geliebt, manchmal gefürchtet und gern benutzt als Projektionsfläche, um seine Visionen vom American Dream zu entwickeln und zu verkaufen in alle Welt.

Und öfters hat es die Stadt auch in Trümmer gelegt, am schönsten in Roland Emmerichs "The Day After Tomorrow", wenn sich die majestätische Flutwelle vom Meer her in die Straßen ergießt, was gar nicht erschreckend wirkt, sondern unerwartet sanft, in einer überwältigenden Bewegung, die alles zudeckt und die Stadt zur Ruhe bringt. Eine beinah heimelige Katastrophe mit dem Charme der Jonas-Mekas-Bilder, das Gegenstück zum 9/11-Terror im Jahr 2001.

Wer in den Siebzigern vom Kino sich verführen und einfangen ließ, ist von zwei Filmen besonders durchgerüttelt worden, "Mean Streets", 1973, und "Taxi Driver", 1976, beide von Martin Scorsese, dem Filmemacher aus Little Italy. Die Revolution des amerikanischen Kinos passierte auf den Straßen von New York, und die Filme damals prägen das Kino-Bild von New York bis heute. Scorseses New York war ein "Hexenkessel" - so der deutsche Titel von "Mean Streets". Zwei Jahre zuvor hatte William Friedkins "French Connection/Brennpunkt Brooklyn" Gene Hackman als griesgrämigen, brutalen Cop durch New York gehetzt und die Stadt endgültig zum Schauplatz gemacht. Eine Stadt der Junkies, Dealer, Zuhälter, Prostituierten, Kleinkriminellen, Spitzel, Psychos, sozial Deklassierten, Versager, alle im Netz der großen Verbrecher- und Rauschgiftbanden.

Ein Mythos, nicht mehr unnahbar

Scorsese hat dieses New York in seinen frühen Filmen in ein magisches Terrain verwandelt und ihm in dem Taxi Driver Travis Bickle einen mythischen Helden gegeben. Robert De Niro spielt ihn, in "Mean Streets" hatte er noch einen merkwürdigen Hut getragen und aufs Empire State Building geschossen, nun ist er, traumwandlerisch und unberechenbar, ein müder Krieger, der sich zu einem letzten blutigen Kreuzzug aufrappelt für die Rettung seiner Stadt.

"Der Mann, der sich durch die Stadt bewegt wie eine Ratte durch die Abwässerkanäle", erklärt Paul Schrader, der Drehbuchautor, "das absolute Symbol für die Einsamkeit in der Großstadt... Das Auto als das Symbol der Einsamkeit in der Stadt, ein metallener Sarg."

Eine Einsamkeit, aus der sich Rebellion entwickelt, das Kino lebt davon. Travis Bickle formt die Selbstzerstörungskräfte seiner Stadt um in einen mörderischen Drive, und in seiner wahnwitzigen, blutigen Aktion fanden wir, noch im '68er-Bann, Zugang und ein Verhältnis zu dieser Stadt. Es war ein Fremder, der das Drehbuch geschrieben hatte, Paul Schrader. "Ich glaube, im Wesentlichen habe ich ein protestantisches Drehbuch geschrieben, kalt und isoliert, und Marty machte daraus einen sehr katholischen Film. Jemand, der aus der Einöde Michigans ins stinkende und überheiße New York kommt."

Der Film war ein Clash, und durch diesen Clash wurde einem das unnahbare New York plötzlich merkwürdig zugänglich und vertraut, gegenwärtig und mythisch zugleich. Und der Mythos war nicht mehr unnahbar.

Film Noir, dann Gangster und Familienfilme

Natürlich war New York von Anfang an präsent im amerikanischen Kino, in den Sophisticated Comedies mit ihren eleganten Salons, in den Films Noirs der Kriegs- und Nachkriegszeit mit ihren finsteren, regenglitzernden Gassen, "Phantom Lady" oder "Where The Sidewalk Ends" - man müsste mal genauer schauen nach den Unterschieden zwischen den Films Noirs, die in New York spielen, und denen von der Westküste, "Criss Cross" oder "Double Indemnity" oder "Kiss Me Deadly". In den Sechzigern dann, als das Fernsehen dem Kino immer heftiger Konkurrenz machte, kam das New York der Gangsterfilme und der Familien- und Jungverliebtenfilme.

Das Kino hat mit Panoramen angefangen, mit singulären Totalen, die die Kameraleute mitbrachten aus allen Regionen der Welt. Nicht komplexe, vielfach gewundene Geschichten und dramatische Events machen die Substanz des Kinos aus, sondern Landschaften und Städte. Die Orte blieben primär, selbst für Hitchcock, der seine Thriller streng von den Schauplätzen her konzipierte. "Ich habe mich gefragt: Was gibt es in der Schweiz? Milchschokolade, die Alpen, Volkstänze und Seen . . . Mit diesen Elementen habe ich den Film gefüttert . . . Aber es muss wirklich mehr als bloßer Hintergrund sein. Die Seen müssen sein, damit die Leute darin ertränkt werden, und die Alpen, damit sie in die Schluchten stürzen."

Mehr als bloßer Hintergrund

Ein paar Jahre vor "Taxi Driver" hatte ich "The Wrong Man" gesehen, einen Hitchcock der ungewöhnlichen Art, so ungewöhnlich, dass der Meister selbst in einem Auftritt vor dem Vorspann drauf hinwies: fast dokumentarisch, Henry Fonda, ein Musiker in der Band des Stork Club, der immer nachts von der Fifth Avenue nach Hause zu seinem Reihenhaus geht, dann fälschlich als Räuber verdächtigt und den demütigenden Polizei- und Justizprozeduren ausgesetzt wird. Seine Frau, Vera Miles, wird darüber wahnsinnig, zwei unglückliche Kinder in der großen anonymen Stadt New York, die gleichgültig gegenüber ihren Schicksalen zu sein scheint.

Es muss mehr sein als bloßer Hintergrund... Die Gesamtheit der Filme, die in New York spielen, sind wie ein langer Ethno-Bandwurm, eine nie endende Studie des Lebens in der großen Stadt, in der man heimisch wird beim Zuschauen. Alles hat man da schon sehen können. Die Fahrt vom Flughafen auf die Skyline zu. Den Terror der Rush Hours mit den stockenden Yellow Cabs und den patzigen Taxifahrern - wie viele Bloomingdale-Läden gibt es denn in dieser Stadt, fragt Clint Eastwood als Hilfssheriff Coogan aus Arizona seinen Fahrer; na, einen, erwidert der; dann sind wir zweimal dran vorbeigefahren, sagt Eastwood.

Manhattan natürlich mit seinen übervollen Gehsteigen, auf denen die Woody-Allen-Figuren absolutes Heimrecht haben. Die Alleen mit den bürgerlichen Reihenhäusern und den hohen Treppen davor. Die Lofts im Schlachterviertel, in "Someone Like You" mit Ashley Judd und Hugh Jackman. Die tiefen Straßenschluchten von Hell's Kitchen. Die dumpfen, wuchtigen Mietsblöcke. Die U-Bahnen in den "Death-Wish"-Filmen, und auch Llewyn Davis ist viel darin unterwegs, mit einer Katze im Arm, die ausgerechnet Ulysses heißt. In letzter Zeit immer häufiger Wall Street, nun hat auch Martin Scorsese einen Film dort gedreht, mit Leonardo DiCaprio als Banker.

Es ist ein Ort, der in seiner Künstlichkeit inzwischen hypernatürlich geworden ist, in dem das ständig ineinander geht, der Prozess der Klischierung und der Abbau von Klischees. Eine Stadt in unaufhörlicher Transformation, sagt Sidney Lumet, man ist ständig daran, sie abzureißen und neu aufzubauen.

Lumet war, aufrichtiger und aufregender als Woody Allen, der filmische Chronist der Stadt, er hat sein Leben lang in New York gelebt, und die meisten seiner Filme spielen dort. Die Stadt ist unerschöpflich, sagt er, er hatte für alle möglichen Geschichten sofort die richtigen Viertel im Visier, und wenn er einen Film in Moskau gedreht hätte und nach der Rückkehr ein paar Szenen nachdrehen hätte müssen, hätte er sofort gewusst, wo New York nach Moskau ausschaut.

Mit Lumets Filmen ist man permanent unterwegs, und "Prince of the City" ist in dieser Hinsicht sein Meisterstück, ein großes Epos um eine Drogen-Sondereinheit des NYPD, die sich als die Herren der Stadt aufspielen - und dafür bitter bestraft werden. Gedreht an 131 Schauplätzen der Stadt, auf Long Island, im Manhattan der Anwälte und vor Gericht in Brooklyn. Sidney Lumet macht New York zur großen Bühne, kein Sightseeing, sondern wirkliches Stadt-Spektakel.

Die Wirklichkeit der Stadt liegt darin, dass sie Projektionsfläche bleibt. Ich hätte Lust, Seattle zu erforschen oder Chicago, das in "Source Code" so geheimnisvoll in der Sonne glänzt. Den einzigartigen Eindruck des Fremden und des Heimischen möchte ich nicht der Zerstörung durch die Wirklichkeit aussetzen. New York bleibt singulär, bleibt für sich. Nein, ich bin kein Amerikaner geworden, hat der Immigrant Jonas Mekas erklärt. Ich bin New Yorker.

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