Urlaubssaison:Sonne, Strand, Stress

Überfüllter Strand in Benidorm, Spanien, am 22. Juli 2015

Am Strand von Benidorm in Spanien am 22. Juli 2015.

(Foto: David Ramos/Getty)

Zwei von drei Deutschen verreisen in diesen Wochen. Für viele hat der Urlaub beinahe eine religiöse Bedeutung gewonnen - womit sie sich leicht überfordern.

Ein Kommentar von Matthias Drobinski

Alles gepackt? Sommerkleid und weißes Leinenhemd, Badehose und Bikini, Taucherbrille, Wanderschuh? Den Koffer zugepresst, den Rucksack verschnürt, das Auto getankt? Der Hund bei Freunden, die Katze beim Nachbarn? Dann kann es losgehen, am besten um fünf Uhr früh im Dämmerlicht, mit wattigem Kopf, Vergessenspanik und diesem unbestimmten Ziehen im Bauch: endlich Urlaub.

Die Welt mag gerade aus dem Leim gehen, die Deutschen aber reisen. Die Flüchtlinge an den Grenzen und im Mittelmeer mögen sie betreten machen, die Reisewarnungen und Terroranschläge manchen bewegen, doch noch umzuplanen. Vielleicht überlegt auch der ein oder andere, ob er angesichts der Stimmung in Griechenland dort nicht so tun soll, als sei er Engländer. Zu Hause bleibt deswegen aber kaum einer. Der Deutsche Reiseverband nennt die Lage "erfreulich", bei den Buchungen wie auch beim Umsatz liege man über dem Vorjahr. Zwei von drei Deutschen verreisen in diesen Wochen. Sie stehen im Stau kurz vor der Nordsee und treffen in Myanmar ausgerechnet den Arbeitskollegen, baden nackt auf Ibiza oder reisen verhüllt durch Iran, drängen sich mit tausend Campern unter Pinien oder teilen die Einsamkeit Kareliens mit tausend Mücken. Allein in Deutschland arbeiten fast drei Millionen Menschen im Tourismus. Es sei noch Luft nach oben, heißt es in der Branche.

Einst war der Urlaub ein Gnadenakt: Der Beurlaubte durfte sich auf Zeit vom Fürstenhof oder aus dem Heer verabschieden. In harten Kämpfen erstritten die Gewerkschaften kollektive Erholungszeit bei vollem Lohnausgleich. Drei Tage im Jahr gestanden 1903 die Bauunternehmer ihren Arbeitern zu. Heute hat der Arbeitnehmer durchschnittlich Anspruch auf 29 Urlaubstage. Der bezahlte Urlaub ist eine der großen sozialen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Und seit sich das Reisen vom Privileg weniger Begüterter zum Jedermannstourismus gewandelt hat, verwenden die meisten Menschen im Land einen guten Teil dieser Errungenschaft, um sich auf den Weg zu machen, wenn die anderen es tun: in der Zeit der großen Schulferien, wie sie nun in Bayern beginnen.

Der Erholungsurlaub dient, wie es so schön heißt, der Erhaltung und Wiederherstellung der Arbeitskraft. Wäre dies tatsächlich Sinn und Ziel des Sommerurlaubs, würden wohl viele Menschen einfach zu Hause bleiben, die Rollläden herunterlassen und mal ordentlich ausschlafen. Aber der Urlaub samt der mit ihm verbundenen Reise hat ja längst diesen profanen Zweck hinter sich gelassen. Er ist Teil des Lebensgefühls und der Lebensdeutung. Er stiftet soziale Ordnung und Sinn. Der Urlaub ist einer der selten gewordenen Orte gemeinsamer freier Zeit. Er unterbricht den Alltag, er schafft Riten, er lässt ahnen, dass es andere Welten und Wirklichkeiten gibt. Der Theologe Johann Baptist Metz sagte einmal, Religion bedeute die Unterbrechung des gewöhnlichen Lebens. Wenn das so ist, dann hat die Urlaubsreise religiös anmutende Züge angenommen.

Das kann sehr schön sein, wenn Familien in der auf diese Weise geheiligten Zeit endlich miteinander leben und nicht, wie sonst, aneinander vorbeihetzen. Es können Paare dem Vorrat des gemeinsam Erlebten frische Anekdoten hinzufügen, Kumpels im Pulk über die Alpen radeln, Freundinnen gemeinsam die Welt entdecken. Und es wohnt ja tatsächlich selbst auf dem banalen Campingplatz am See und am durchschnittlichen Balearenstrand die Sehnsucht nach dem Unendlichen, wenn man abends in die Sterne guckt und sich selber zuflüstert: Morgen muss ich nichts, aber auch gar nichts. Menschen brauchen solche Unterbrechungen, um menschlich zu bleiben.

Die Überhöhung des Urlaubs hat ihn aber auch anstrengend und angestrengt gemacht. Man fährt ja nicht mehr einfach weg. Man setzt ein Statement, Ziel und Art der Reise sind begründungspflichtig. Es geht in den Londoner Regen, damit die Kinder Englisch lernen, nach Kuba, bevor dort alle sind, nach Lesbos, um zu zeigen, dass nicht jeder Deutsche Schäuble heißt. Wer all inclusive am Sonnenstrand gebucht hat, muss sich schon was einfallen lassen, vielleicht: "Wir waren beruflich so eingespannt (ah!), dass wir das jetzt brauchen." Es gibt Leute, die ihren Badeurlaub zur Bildungsreise umdekorieren, um besser dazustehen. Doch spätestens die Facebook-Bilder enthüllen die Wahrheit.

Und, wo fahrt ihr hin? Kaum eine Frage bringt sicherer soziale Unterschiede an den Tag und die feinen Abstufungen einer Wohlstandsgesellschaft. Wer auf die Malediven fährt, steht als neureich unter Verdacht, der Pilger in der Selbstverwirklicherecke. Und wer gar nicht fahren kann, gehört oft zu den wirklich Ausgeschlossenen im Land.

Kein Wunder, dass im derart mit Sinn und Selbstdefinition überladenen Urlaub der Gelingensdruck steigt, dass Paare sich bis zur Trennung übers richtige Hotel oder den falschen Weg streiten - endlich haben sie mal die Zeit dazu. Kein Wunder, dass vor den Gerichten so erbittert über Schimmel in der Hoteldusche und verpasste Flieger gestritten wird: Es geht nicht um Mängel, es geht um ein Stück verlorenes Leben. Der reibungslose Urlaub gilt als Menschenrecht. Kein Wunder, dass Urlauber erschöpfter heimkommen, als sie weggefahren sind. Und als vor Jahren der SPD-Politiker Peer Steinbrück den Deutschen empfahl, beim Urlaub zu sparen und dafür mehr für die Altersvorsorge zu tun, prasselte die Empörung auf ihn nieder wie ein Sommergewitter. Kein Wunder: Das war geradezu blasphemisch.

Höchste Zeit, dem Aufgeblasenen den Dampf abzulassen, dem Leistungsdruck im Namen der totalen Erholung ein Schnippchen zu schlagen. Wir fahren nach Osnabrück - na und? Es kommt aufs Unterwegssein an, ob in Deutschland oder Vietnam. Die Kunst des Reisens besteht darin, sich zum Fremden zu machen und befremden zu lassen, offen zu werden für Mitreisende und Einheimische, für Standorte und Standpunkte. Und sie besteht darin, gelassen zu werden, sich ins Offene zu wagen und zu wissen: Irgendwas wird schon schiefgehen. Alles gepackt?

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