Süddeutsche Zeitung

Urlaub in der Corona-Krise:Reisen mit Abstand

Sommerferien am Strand - hinter Plexiglas? Das wird gerade in Italien diskutiert. Dabei gibt es schönere Urlaubsarten, die als Erste wieder möglich sind.

Von Ingrid Brunner, Stefan Fischer, Hans Gasser, Monika Maier-Albang, Jochen Temsch

Viel Luft dazwischen: Urlaub im Campingbus

Die Sehnsucht wird stärker. Je länger die Krise und das Reiseverbot andauern, desto mehr wünscht man sich in die Ferne. Dabei sinken die Ansprüche: Musste es vor ein paar Wochen noch Sardinien oder Korsika mit deren wilden Stränden sein, wären wir nun schon froh, unseren kleinen Campingbus am Ossiacher See postieren zu dürfen, oder, man wird ja noch träumen dürfen, auf einer kroatischen Insel. Wo auch immer es zu Pfingsten oder im August möglich sein wird, eines steht doch wohl fest: Camping im eigenen Auto gehört zu den Urlaubsformen, die am schnellsten wieder möglich sein müssten.

Erstens ist man die meiste Zeit an der frischen Luft und unter der Sonne. Zweitens versuchte man schon in Vor-Corona-Zeiten, möglichst viel Abstand zum nächsten Camper zu wahren, um nicht dessen Schnarchen und Grillwurstrauch ausgesetzt zu sein. In Korsika ist das in den Pfingstferien meist problemlos möglich, da die Plätze nicht so voll sind und man sich hinstellen kann, wo man möchte.

Das müsste man in diesem Sommer vielleicht etwas strikter handhaben, indem weniger Camper pro Campingplatz aufgenommen und auf mehr Abstand zwischen ihnen geachtet wird. Gut für die Urlauber, gut für die Virologen! Der zugehörige Strand wäre dann auch lockerer besetzt. Fehlt nur noch die Sache mit den sanitären Anlagen. Wohnmobilisten haben Klo und Dusche selbst. Wenn die sich im Wohnmobil waschen und nur die Busbesitzer und Zelter die Campingklos aufsuchen, dürfte das Ansteckungsrisiko gering sein.

Das wäre doch der ideale Urlaub. Es müsste sich nur in der Politik herumsprechen. Korsika, Kroatien, von mir aus: Ossiach - wir kommen! Hans Gasser

Der Weg ist wirklich das Ziel: Fernreisen mit dem Fahrrad

Gemütlich Strecke machen, durch die Landschaft gleiten, im Rhythmus treten und atmen, die Muskeln arbeiten, die Gedanken fliegen lassen, Pausen einlegen, wo es einem gerade gefällt - das ist nicht nur gut für den Kopf. Radfahren ist auch gut gegen das Virus. Wer radelt, senkt sein Risiko gleich doppelt. Der meidet in der Stadt volle Busse und Bahnen, hält Abstand und lüftet seine Lunge durch. Selbst langsames Fahren stärkt die Konstitution und beugt Herz-Kreislauf-Problemen vor, die einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung begünstigen.

Wobei das mit dem Abstandhalten in Städten so eine Sache ist. Die Radwege sind voll, die Fahrspuren eng, die Schlangen an Ampeln lang, und statt zwei Meter Distanz müssen es auf dem Fahrrad eher 20 Meter sein, wenn man im Windschatten der anderen keine Tröpfchen abbekommen will. Also nichts wie raus in die Natur, auf einen der vielen Radfernwege. Es gibt Hunderte in Deutschland und Europa. Ob durchs Allgäu oder Altmühltal, im Harz oder im Thüringer Wald, von Berlin nach Usedom, die gesamte Ostseeküste entlang und wieder 1650 Kilometer zurück nach Bayern auf der Deutschland-Route D 11 - Möglichkeiten gibt es unzählige. Und wenn es wieder machbar ist, gehören auch wieder das Loire-Tal, die Kurische Nehrung, die Moldau oder der Klassiker München - Venedig in die Auswahl.

Nur nicht zu viel Gepäck mitnehmen, waschen kann man unterwegs in einer Pension oder auf dem Zeltplatz. Und die Etappen nicht zu verbissen angehen, die Fahrt genießen - der Weg ist das Ziel. (Tipps für Radfernwege in Deutschland und Europa: sz.de/thema/Radreise) Jochen Temsch

Allein auf dem See: Hausboot auf der Müritz

Es muss nicht immer das schwimmende Hotel sein. Ein kleines Häuschen mit Aussichtsterrasse auf dem Dach, mit Küche, Bad, Wohn- und Schlafräumen ist nicht die übelste Alternative. Statt durchs Mittelmeer zu cruisen, fährt man eben mit dem Hausboot auf der Müritz. Einfach ablegen, selbst Traumschiffkapitän sein, seine eigenen Durchsagen machen. Unter Aufsicht dürfen sogar mal die Kinder ans Steuer. Es gibt keinen Fahrplan, dafür spontane Landausflüge, selbst organisiert und gratis. Die Gewässer sind ruhig, es drohen keine Monsterwellen, schlimmstenfalls ein Schnakenschwarm.

Nachbarn haben Hausbooturlauber nur am Abend, wenn sie in einer Marina ankern. Von Boot zu Boot grüßt man sich, prostet sich im gebotenen Abstand zu, ohne dabei unsozial zu sein. Sicher, damals in Irland auf dem River Shannon, da bildeten der allabendliche Pubbesuch, die Livemusik und das Gedränge am Tresen ein sinnstiftendes Ritual, das den Tag krönte. Doch man ist ja nun geübt darin, sich selbst mit Bier, Wein und allem Notwendigen zu versorgen, und verfügt somit über die nötige logistische Kernkompetenz für einen Hausboot-Törn. Und überhaupt: Ist der Einkauf nicht längst das neue Ausgehen, zu dem man sich aus der Jogginghose schält und sogar die ungeschnittenen Haare kämmt?

Unter Hausbooturlaubern gibt es keinen Dresscode. Man kann sich ganz wie zu Hause fühlen, nur mit mehr Platz drumherum. Total entschleunigt tuckert das Boot voran. Der unverstellte Blick schweift übers Wasser. Über Kormorane, Kraniche, Adler, über prächtige Schlösser am Ufer, versteckt zwischen Röhricht und Trauerweiden. Ingrid Brunner

Einsam an der Spitze: Almhütten sind virusfeindlich - aber leider rar

"Auf die Berge will ich steigen, Wo die frommen Hütten stehen, wo die Brust sich frei erschließet Und die freien Lüfte wehen."

Dass Heinrich Heine auch im Jahr 2020 noch subversiv sein kann, hätte man nicht gedacht - bis die Alpenvereine vom Bergwandern abgeraten haben. Nun ist es im Hinblick auf den Frühsommer so, dass die Adriastrände für uns wohl nicht erreichbar sein werden, und da muss die Frage erlaubt sein, was jetzt, da die Infektionszahlen sinken, eigentlich noch gegen das Wandern sprechen könnte. Man kann wunderbar Distanz halten, an engen Stellen zur Seite treten und die anderen Wanderer vorbeilassen.

Ob die bewirtschafteten Berghütten ihre ölsardinigen Matratzenlager in diesem Sommer aufsperren, ist ungewiss. Umso mehr tritt die gute alte Almhütte auf den Plan (nicht zu verwechseln mit dem Luxus-Chalet, das uns als Hütte verkauft wird). Wer das Glück hat, eine solche zu ergattern, etwa in Osttirol oder in der Schweiz, der ist dort, als Selbstversorger, vor Ansteckung mit dem Virus derart gefeit wie die draußen weidenden Kühe vor der Schweinepest. Ein paar Vorräte aus dem Dorfladen, zum Waschen ein Brunnen mit Holztrog und jeden Tag eine Bergtour, was könnte der Gesundheit förderlicher sein?

Sobald sich andere, neugierige Wanderer der Hütte annähern, sollte man vernehmlich zu husten beginnen, um sie zu schneller Umkehr zu bewegen. Wer keinen Bauer kennt, der ihm seine Almhütte vermietet, findet im Internet diverse Vermittlungsseiten. (huettenpartner.com, alp-bnb.ch) Hans Gasser

Zwei Pinien Abstand: Campingplätze an der Adria bieten genug Freiraum

Die Bekannte aus Rimini hat ein Video geschickt, eines, das herausragt aus den zahlreichen Whatsapp-Corona-Überlebenshilfen. Es zeigt einen Jogger am Strand, der gemächlich vor sich hinläuft zur Melodie von "Paulchen Panther". Dann wechselt der Sound: Forte. Ein Polizist hat die Verfolgung aufgenommen. Ausgedehnte Jagd. Am Ende ist der Jogger schneller.

Klar, dass man sich angesichts solcher - noch immer aktueller - Szenen den vertrauten Pfingsturlaub am Campingplatz bei Ravenna abschminken kann. Aber für den Sommer gibt es ja noch Hoffnung. Irgendwann nach dem 3. Mai wird Italien doch seine Bürger wieder aus den Häusern und an die weiten Strände lassen müssen. Dann ist man am Campingplatz zwar nicht allein, aber gegen Ende der italienischen Sommerferien vielleicht weitgehend für sich. Die Italiener haben ihre festen Zelte und Stellplätze auf dem Gelände, die paar deutschen Gäste werden sich verteilen in den Sanitäranlagen.

Zur Not gibt es auch Mobile Homes, da muss man die Dusche nicht mit Fremden teilen. Die Pizza gibt's to go, gern wird man sie auch mit Mundschutz abholen, gegrillt wird auf dem eigenen Kocher, Lebensmittel einkaufen müsste man zu Hause auch. Und wenn Österreich die Grenzen für Deutsche öffnet, sollte die Weiter- und Durchfahrt doch auch möglich sein.

Gut, die Liegen werden sie etwas ausdünnen müssen, nicht an den Lidi Ravennati, aber weiter südlich, bei Rimini und Cattolica, wo man für gewöhnlich die Sonnenmilch des Nachbarn riecht. Beachvolleyball? Ein distanziertes Spiel vielleicht. Tischtennis? Eher nicht. Aber der Aperol Spritz in der Hängematte, die Zehen im warmen Sand, und das nächste Zelt zwei Pinien entfernt. Das könnte klappen. Monika Maier-Albang

Die eigenen drei Wände: Der Strandkorb ist das Möbel der Stunde - man kann sogar darin übernachten

Der Strandkorb ist das Urlaubsmöbel der Stunde. Er hat einem schon immer allerhand vom Hals gehalten: den Wind an Ost- und Nordsee, ein Übermaß an Sonne und Sand, Bälle und Frisbeescheiben, vor allem auch die übrigen Urlauber. Der Korb selbst und einige Quadratmeter davor und daneben sind gewissermaßen Privatbesitz für die Dauer eines Badetages, von allen als solcher respektiert. Eine Sandburg als Schutzwall, notfalls mit einem Wassergraben drumherum, tut ihr Übriges.

In diesem Jahr wird das von besonderem Wert sein. Privatsphäre ist jetzt auch ein Gebot der Gesundheit. In einem Strandkorb wird das Abstandhalten jedoch nicht zu einer Einschränkung, sondern liegt in der Natur der Sache. Ohne dass dieses vielseitige Möbel etwas Abweisendes hätte. Plaudern von Korb zu Korb ist so wenig riskant wie zu Hause über die Balkone hinweg. Und wer sich der Sonne oder auch einer Brise aussetzen will, der dreht seinen Strandkorb in die bevorzugte Position und klappt ihn so weit auf wie möglich. Dann hat er kaum noch etwas Abschirmendes an sich.

Er ist eine perfekte Mischung, mehr als eine Liege und weniger als ein Zelt. Höhle und Piazza zugleich. Der elegante Übergang vom öffentlichen zum Wohnraum - denn das kann ein Strandkorb auch sein. Es gibt Modelle, die dienen explizit zum Übernachten. Seit 2016 breiten sie sich an den Nord- und Ostseestränden in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen aus. Immerhin so breit wie ein schmales Doppelbett, geschützt gegen Regen, stets in der Nähe von Sanitäranlagen und mancherorts sogar mit einem Frühstücks-Bringservice.

Im Bett frühstücken, und das nicht nur mit Meerblick, sondern direkt am Strand - was sich nach Exotismus auf den Malediven anhört, ist norddeutsche Realität. Speziell in diesem Jahr, in dem sich viele Urlaubsträume zerschlagen haben. Wenn etwas möglich erscheint, dann Ferien im eigenen Land, in einer Wohnung oder einem Häuschen hinter den Dünen - und einem Strandkorb. Stefan Fischer

Ganz privat: Ferienwohnungen auf dem Bauernhof

Zum Schluss geht es nur noch ein paar Steilkurven überm Etschtal hinauf, durch ein Wäldchen, über eine Weide. Der Blick auf die Dolomiten ist weit, mit den Felsnadeln am Schlern und dem schroffen Massiv des Rosengartens sind wir auf Augenhöhe. Ankommen. Aufatmen. Der Hofhund rennt bellend daher und wedelt mit dem Schwanz, er kennt einen noch vom vergangenen Jahr. Auf dem Bauernhof in Südtirol. Vor Corona jedenfalls.

Die Bäuerin ist mit ihren Gästen per du. Wer will, lässt sich von ihr den Betrieb zeigen, die Kühe, die Namen haben, kauft Milch und Eier bei ihr. Man kann aber auch einfach seine Ferienwohnung beziehen und der Gastgeberin vom Balkon aus zuwinken, wenn sie im Kräutergarten Rosmarin zupft. Holzofenbrot backen und Traktor fahren für die Kinder gibt es dann vielleicht wieder nächstes Jahr.

Urlaub auf dem Bauernhof ist mit Zuhausesein vergleichbar. Die Gäste bleiben für sich, kochen selbst und halten genügend Abstand zu den anderen. Südtiroler Höfe, die in der Kooperation "Roter Hahn" organisiert sind, bieten maximal fünf Apartments an. Familiäre Atmosphäre ist garantiert, wie in den eigenen vier Wänden. Außerdem stehen die Betriebe oft abgelegen inmitten der Kulturlandschaft, den Haflingern auf den Weiden dürfen Wanderer auch ohne Mundschutz begegnen. In dieser Unbeschwertheit liegt eine große Freiheit.

Anrührend, dass Besucher der Vermittlungs-Website die aktuellen Corona-Informationen länger suchen müssen als den Bauernspruch zum Pandemie-Monat, als gäbe es die Krise gar nicht: "Der April passt wunderbar, zwischen März und Mai im Jahr." Jochen Temsch

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Quelle:
SZ vom 23. April 2020/kaeb
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