Süddeutsche Zeitung

Israel:Wie in einer anderen Welt

Israel befindet sich noch im Lockdown, erlaubt Einheimischen aber Urlaub am Roten und am Toten Meer. Das Modell könnte Vorbildfunktion haben.

Von Peter Münch

Die Ferien beginnen am Eisengitter. An der Zufahrt nach En Bokek am Toten Meer werden die Urlaubsgäste in diesen Tagen an einer gut bewachten Straßensperre empfangen. Ein strenger Blick am Kontrollposten, ob denn auch die Maske ordnungsgemäß über Mund und Nase reicht - und dann folgt die Prüfung der Einreisepapiere. Doch kein Pass ist hier zu zeigen, sondern das Ergebnis eines Corona-Tests. Nur wer negativ ist, bekommt ein rosafarbenes Bändchen ums Handgelenk und darf sich erholen vom Lockdown im Rest des Landes, hier, in den Hotelpalästen am salzigen See.

En Bokek ist mit der israelischen Urlaubshochburg Eilat am Roten Meer der Schauplatz eines touristischen Pilotprojekts: Während überall sonst im Land pandemiebedingt die Hotels und Restaurants seit Mitte September wieder geschlossen sind, dürfen sie in diesen beiden Städten seit wenigen Tagen wieder öffnen. Per Regierungsbeschluss wurden En Bokek und Eilat dazu Mitte November kurzerhand zu "Grünen Inseln" erklärt, nicht geografisch natürlich, sondern epidemiologisch. In den Urlaubsorten soll das Virus ausgesperrt bleiben. Nötig sind dazu Massentests aller Angestellten - und auch aller Gäste, die beim Betreten des Inselbodens einen höchstens 72 Stunden alten Test vorlegen müssen. Dieser Test ist dann die Lizenz zum Faulenzen am Strand, zum Abtauchen ins Rote Meer oder zum schwerelosen Treiben im Toten Meer.

Um diese Insel-Lösung ist lange gerungen worden, und es ging dabei längst nicht nur um die Erholung der Gäste, sondern auch um die der Wirtschaft. Wie überall auf der Welt wird auch in Israel der Tourismussektor besonders hart getroffen von der Pandemie. Ausländer werden schon seit März nicht mehr ins Land gelassen, und allein das reißt tiefe Löcher ins Budget. Schließlich hatte Israel 2019 noch ein Rekordjahr mit 4,5 Millionen internationalen Besuchern erlebt und sich Träumen von einem ungebremsten Boom hingegeben. Die Inlandsnachfrage kann in einem Land mit nur neun Millionen Einwohnern das Ausbleiben der ausländischen Gäste nicht kompensieren, zumal die Hotels im Sommer zwischen zwei Lockdowns auch nur für begrenzte Zeit geöffnet waren.

Am schlimmsten ist die Krise in Eilat zu spüren, wo rund 80 Prozent der Einwohner vom Tourismus leben. Kurz vor Beginn des zweiten Lockdowns im September wandte sich der dortige Bürgermeister deshalb in einem Brandbrief an Premierminister Benjamin Netanjahu. "Die Stadt wird eine weitere wirtschaftliche Krise nicht überleben", warnte Meir Jitzchak Halewi. Ohne Urlaubsgäste werde ein Großteil der Betriebe unwiederbringlich schließen müssen und die Arbeitslosigkeit werde auf 70 Prozent steigen. Zur Rettung präsentierte er einen "Eilat-Schutzschild-Plan", in dem die Insel-Idee zum ersten Mal auftauchte.

Die zuständigen Politiker lieferten sich daraufhin noch einiges Gezänk, bis sich schließlich das Gesundheits- und das Tourismusministerium auf einen Öffnungsplan für Eilat und En Bokek einigten. Murren darüber gab es von Hoteliers in Galiläa und am See Genezareth, die sich auch gern auf eine Insel gerettet hätten. Doch die beiden ausgewählten Städte haben den unschlagbaren Vorteil, dass dorthin jeweils nur eine Zufahrtsstraße führt - und damit die Einreise recht einfach kontrolliert werden kann.

Als einer der ersten Besucher tauchte Israels Präsident Reuven Rivlin in En Bokek auf. Er traf auf gut gelaunte Hoteliers und Urlauber, und er nutzte die Gelegenheit zu einem Erholungsappell an die Landsleute: "Ich rufe alle auf, die es sich erlauben können, nun Urlaub in Israel zu machen", sagte er. "Unterstützen Sie unsere heimische Tourismusindustrie durch eine Reise nach Eilat und zum Toten Meer."

Die ausgesprochen reisefreudigen Israelis hätten das wohl nicht einmal gebraucht. Die Hotels am Toten Meer sind zu 80 bis 85 Prozent ausgelastet, in Eilat zumindest an den Wochenende bis zu 90 Prozent. Zehntausende machten sich schon auf zur erholsamen Rettungsmission. Doch nicht jeder kam ans Ziel. Allein in Eilat wurden 250 Autos abgewiesen, deren Insassen den notwendigen Coronatest nicht vorzeigen konnten. Drei Möchtegern-Urlauber wurden sogar mit gefälschten Tests erwischt und der Polizei übergeben. "Wir werden Null-Toleranz gegenüber all denen zeigen, die unverantwortlich handeln und so unsere Anstrengungen zunichtemachen könnten, Eilat zu retten", erklärte daraufhin der erboste Bürgermeister.

Auch den ersten Rückschlag musste man schon verzeichnen, als schon nach wenigen Tagen das erste Hotel am Toten Meer vorübergehend wieder geschlossen werden musste. Zehn Angestellte, alle ohne Symptome, waren bei den vorgeschriebenen Routine-Überprüfungen positiv getestet worden.

Im Jerusalemer Tourismus-Ministerium wertet man den Insel-Versuch dennoch bislang als Erfolg. Die zuständige Ministerin Orit Farkash-Hacohen spricht von einem "Licht am Ende des Tunnels" und hofft darauf, dass auch noch andere Hotels in anderen israelischen Regionen zu "Grünen Inseln" erklärt werden könnten. Eilats Bürgermeister Halewi empfiehlt das Insel-Modell bereits als Vorbild für andere internationale Urlaubsgebiete. Vor allem aber hoffen er und die Ministerin, dass irgendwann in naher Zukunft auch wieder ausländische Gäste in Eilat und am Toten Meer urlauben können.

Bis auf Weiteres aber werden die Israelis noch unter sich bleiben. Der Urlaub in En Bokek oder Eilat fühlt sich dann trotzdem an wie in einer fremden Welt. Draußen herrscht Lockdown und Anspannung, auf der Insel aber liegt man im Spa zur Entspannung.

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SZ vom 03.12.2020/edi
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