Urlaub in Italien:Rimini, offene Stadt

Die Deutschen sind jetzt anderswo: Wie sich die ehemalige Strandurlauber-Stadt dank des Filmregisseurs Federico Fellini neu erfindet.

Von Werner Bloch

"Fellini", sagt Francesca Fellini, "war ein Gigant, einer, der es nicht ausgehalten hat in der Enge seiner Heimatstadt Rimini, und der seine Weltkarriere als fulminante Flucht begann."

Rimini; dpa

Rimini wird gelegentlich als Teutonengrill bezeichnet.

(Foto: Foto: dpa)

Am Ende seines Lebens aber, nachdem der große Regisseur eine schwere Unterleibsoperation in der Schweiz über sich hatte ergehen lassen müssen und die Ärzte ihn fragten, wo in aller Welt er sich am liebsten erholen würde, sagt er schlicht: in Rimini, im "Grand Hotel".

"Wenn das Leben aus uns herausströmt und uns verlässt, dann kehren wir gern an den Ort zurück, den wir am meisten geliebt haben", so Francesca Fellini, seine Nichte. "Und das ist der beste Beweis, wie sehr mein Onkel Rimini geliebt hat."

Rimini ist ein Hasswort

Liebe, Hass und Ekel liegen manchmal eng zusammen. Rimini selbst ist ja ein Hasswort: eines, das als Negativ-Mythos für deutschen Strandurlaub steht. Doch die Deutschen sind inzwischen weitergezogen, in Richtung billigere Urlaubsquartiere, in die Türkei, nach Spanien.

Heute strömen allenfalls italienische Familien nach Rimini, dazu Besucher des wilden Nachtlebens und viele, viele einheimische Pensionäre. Weil der Exodus der Deutschen Riminis Tourismusindustrie in eine schwere Krise gestürzt hat, muss die sich seit ein paar Jahren neu erfinden - und landete plötzlich bei der Kultur: Fellini als Retter in höchster Not, obwohl der Zeit seines Lebens ein ambivalentes Verhältnis zu seiner Heimatstadt unterhielt und größtenteils mit ihr über Kreuz war.

Deshalb sitzt sie ja auch hier, Francesca Fellini, die Nichte, die in Italien eine berühmte Fernsehmoderatorin geworden ist und bis vor kurzem lieber Distanz zur eigenen Familiengeschichte pflegte. Nicht einmal den Namen Fellini führte sie, weil sie auf diesem Entrée-Billet keine Medienkarriere starten wollte.

Aber Fellini und Rimini, das geht eben doch zusammen, sagt Francesca Fellini, die mittlerweile zur inoffiziellen Nachlassverwalterin des Regisseurs avanciert ist. Und tatsächlich: Wer mit Fellinis Augen auf Rimini schaut, der entdeckt so gänzlich unerwartete, wunderbare Seiten an dieser Stadt - als sei das massentouristische Rimini nur ein böser Traum.

Daheim im Borgo

Fellini hasste das Meer. Er hasste den Badebetrieb und zog es vor, jeden Tag langsam den Corso abzuschreiten oder aber am "Platz der Drei Märtyrer" seine Jugendfreunde zu treffen. Am wohlsten fühlte er sich in Riminis Arbeiterviertel, dem Borgo San Giuliano, nur ein paar hundert Meter vom geschäftigen Treiben der Uferpromenade entfernt - und doch Lichtjahre weit weg.

Hier trafen sich 1872 Anarchisten aller Länder zu ihrem ersten Weltkongress, noch heute zeugen bunte Wandmalereien auf den einfachen Arbeiterhäusern von Revolutionspathos und dem Willen zur Weltveränderung: rote Fahnen, geballte Fäuste. Später kamen auf den bröckelnden Fassaden kunstvoll gemalte Ikonen und Highlights aus der Fellini-Ikonographie hinzu: Gemälde der göttinnengleichen Anita Ekberg im Brunnen, ein Porträt des jugendlichen Marcello Mastroianni aus "La dolce vita".

Rimini, offene Stadt

In der Bar nahe dem Ponte Tiberio schieben zwei Rentner gleichsam kulturell Wache. Sie teilen gern mit, was sie über die Historie des Stadtteils wissen. Na gut, ob Fellini hier wirklich geboren sei, wie er es selbst behauptete, wisse man nicht. Fellini liebte es, seinen Gesprächspartnern falsche biographische Fährten zu legen.

"Aber hier, in diesem alten Arbeiterviertel, war er ganz sicher zu Hause", sagt Dino Spadini, der Vorsitzende des Kulturvereins zur Rettung des Borgo. "Jetzt nennt man es auch Fellini-Viertel, denn er hat der Gegend auch ein Denkmal gesetzt in dem Film ,Amarcord'."

Eine Stadt als Attrappe

Allerdings drehte Fellini nicht in dem wunderschönen Borgo selbst, sondern ließ jeden Stein als Kulisse in Rom nachbauen - eine ganze Stadt als Attrappe, die Erfüllung eines verrückten Kinotraums, aber auch als Exempel seiner fast krankhaften Bemühungen, den Ort seiner Kindheit um jeden Preis zu meiden.

Im Borgo war Fellini wohl ganz bei sich - vielleicht weil er so anders war, authentischer als das ewige Halligalli am Strand. "Fellini", sagt Dino Spadini, "war ein verschlossener Charakter, ein schüchterner und schwieriger Mensch. Er wollte mit den Riminiesen möglichst wenig in Kontakt kommen. Als er 1942 nach Rom zog, um als Zeichner, Radiojournalist und schließlich Filmemacher zu arbeiten, dachten wir alle: Er hat uns vergessen. Aber Fellini hat immer an Rimini gedacht."

Zum Beispiel ans "Grand Hotel", die Herberge der Adeligen, Reichen und Superreichen. Wie eine Katze sei er als junger Mann hier herumgeschlichen, schreibt Fellini in "La mia Rimini".

Und die Managerin des "Grand Hotels", einer Enklave aus einer Zeit, als Luxus noch etwas mit gesellschaftlichem Stand zu tun hatte, berichtet noch heute, Fellini habe immer von außen in den Park hineingeluchst oder sich sogar hinter der Treppe versteckt, um Menschen zu beobachten: "Später hatte er dann seine eigene Suite, Zimmer 315, von wo aus er das Leben auf der Terrasse beobachtete und die Gäste ausspionierte. Er interessierte sich für Marotten, für Charaktere. Und er fand hier Personen, die in seinen Filmen eine Rolle spielten."

George Bush und Prinzessin Di

Im "Grand Hotel" sind George Bush und Prinzessin Di abgestiegen, Sting und Rana von Jordanien - doch inzwischen rumpelt das alte Schlachtschiff gewaltig, der Lack splittert ab, und wenn auch heute noch der berühmte Hauscocktail auf der Terrasse genommen wird, so wirkt nicht nur das livrierte Personal merkwürdig künstlich und steif.

Immerhin: Wer will, kann sich hier ein Fellini-Paket schnüren lassen: mit Übernachtung in der berühmten Suite 315, Frühstück, Besuch des Fellini-Museums und einem Konzert mit Musik aus Fellini-Filmen am Strand.

Leider erlitt der große Cineast in Zimmer 315 einen Schlaganfall - zwei Jahre später war er tot. Seitdem zählt der alte Friedhof zu den Pilgerstätten der Fans, und einen schöneren und zugleich heitereren Ruheort unter würdigen Zypressen kann man sich nicht vorstellen.

Gleich am Eingangstor das Grabmal, wo Federico, seine Frau Giulietta Masina und sein früh gestorbener Sohn beigesetzt sind. Über dem Familiengrab thront eine dreieckige Monstrosität aus Bronze, die einen zerborstenen Schiffsrumpf darstellen soll oder vielleicht auch ein gebrochenes Herz: ein Bild des Schiffs der Träume soll das angeblich sein, das Fellini, der große Mythenfabrikant, in seinen Filmen immer wieder auf Reisen schickte.

Rimini, offene Stadt

"Aber nein, Fellini war ganz anders", sagt der Direktor der Fondazione Fellini, die sich im alten Haus der Familie im Borgo eingenistet hat. "Kein Zyniker und kein Psychologe, sondern ein Zirkusmensch, der immer zu derben Scherzen aufgelegt war."

Das taubenblaue Haus der Fellini-Stiftung im Borgo befindet sich immer noch im Familienbesitz und beherbergt jetzt das Fellini-Archiv mit unzähligen Plakaten, Materialien, Skizzen und Entwürfen.

Der Regisseur war eben zuerst einmal Zeichner, und anhand seiner Entwürfe und Karikaturen schuf er auch seine Filmfiguren. "Sehen Sie die üppigen fleischlichen Formen von Antika Ekberg, Fellini war inspiriert von der südländischen Mutterfigur, aber er hatte auch Angst vor den Frauen."

Zu sehen sind auch Devotionalien wie das Klavier, auf dem er seine Filmmusiken komponierte, die Trompete der Gelsomina aus "La Strada" und die erste Schreibmaschine, die er für seine Zeitungsartikel benutzt hat.

Am Corso, wo das Leben tobt

Im Sommer hält es die Fellini-Stiftung nicht mehr aus in den eigenen Wänden. Dann drängt sie hinaus, organisiert Veranstaltungen mit Filmmusik am Strand im Amphiteatro Romano sowie Filmvorführungen im Kino Fulgor, einem alten muffigen Saal, in dem schon Fellini Filme sah, und der jetzt restauriert wird.

Das Kino liegt am Corso, der Hauptachse Riminis, die im Sommer merkwürdigerweise verwaist bleibt - vielleicht, weil alles Leben am Strand tobt. Dabei sind es nur 300 Meter von den Liegestühlen bis in die Innenstadt, zum "Platz der Drei Märtyrer", wo Julius Cäsar seine berühmte Ansprache an die Soldaten gehalten hat, bevor er den Rubicon überquerte: Alea iacta est.

Rimini hat immer schon Militärgeschichte geschrieben, bei den Römern und auch im Zweiten Weltkrieg, wo eine der letzten deutschen Verteidigungslinien ans Meer stieß.

Doch die Riminiesen haben sich niemals einschüchtern lassen: Fellinis Chuzpe gegenüber den Autoritäten ist dafür eine gute Chiffre. Noch heute sehen sie sich in einer kritischen, linken, trotzigen Position, sind Unangepasste im Berlusconi-Land.

Immer lockerer als anderwo

"Wir haben seit 60 Jahren eine linke, antiklerikale Regierung und hoffen, dass es noch sechzig Jahre so weitergeht", sagt der stellvertretende Bürgermeister. Schließlich waren die Sitten hier immer lockerer als anderswo, spätestens seit der Ankunft des ersten Bikinis auf italienischem Territorium, war doch Rimini ein Vorreiter der textilen und auch der sonstigen Befreiung.

Im Sommer ist die Küste bei Rimini auf 15 Kilometern immer noch der längste bewirtschaftete Strand der Welt. 170 Diskotheken, viele von ihnen am Strand, lärmen in der Hauptstadt des italienischen Nachlebens, und hier gibt es auch Prostitution, wo Razzien am Strand, oft gegen russische und afrikanische Prostituierte, zum Alltag gehören.

Ganz sicher hätte diese Halbwelt Fellini gefallen. Präsent ist der Regisseur überall, schon bei der Ankunft auf dem Aeroporto Federico Fellini. Hier wird man mit Werbung für Pelze empfangen - auch im Hochsommer - und das auch noch auf russisch!

Das Groteske, das einem im Stadtbild von Rimini begegnet, entspricht den Stimmungen und Schemen aus den Fellini-Filmen, die der Besucher in seinem Kopf mit sich herumträgt.

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