Süddeutsche Zeitung

Urlaub in der Türkei:Sonne, Strand - und wo bleibt die Moral?

Ferien in der Türkei stehen wieder hoch im Kurs - von Empörung über die Entwicklung im Land keine Spur. Aber politische Überzeugungen müssen auch im Urlaub gelten.

Kommentar von Angelika Slavik

Für viele Menschen bedeutet Urlaub auch, sich endlich mal um nichts kümmern zu müssen. Keine Verantwortung, keine komplizierten Entscheidungen, bloß Strand, Wassermelone und Sonnenbrand. In diesem Jahr, so erwartet es der Reiseveranstalter Tui, werden die Deutschen ihren Urlaub wieder besonders gern in der Türkei verbringen. Das ist, gelinde gesagt, irritierend. Es ist sogar ziemlich deprimierend. Denn es zeigt, wie schnell die schöne Idee vom politischen, vom moralischen Konsumenten an Grenzen stößt.

Die Türkei ist ein Land, in dem Menschen, die sich kritisch über die Politik des amtierenden Präsidenten Erdoğan äußern, um ihre Sicherheit fürchten müssen. In dem Journalisten nicht frei arbeiten können. Ist das der richtige Ort, um am Strand zu liegen und dem Laissez-faire zu frönen? Sollten Urlauber, die an demokratische Werte glauben, wirklich dort ihr Geld hintragen?

Natürlich könnte man nun argumentieren, dass eine Reise in ein Land, dessen politische Führung sich um Menschenrechte und Demokratie nicht schert, ja keine Zustimmung zu diesem politischen Kurs bedeutet. Man könnte sagen, dass es viele Menschen gibt, die vom Tourismus leben, und dass nichts falsch daran ist, mit ihnen Geschäfte zu machen. Man könnte sagen, dass Reisen unpolitisch ist. Bloß: Wenn man das Buchungsverhalten der vergangenen Jahre ansieht, wird deutlich, dass es sehr wohl mal einen massiven Rückgang der Urlauberzahlen in der Türkei gab - 2016 nach den Terroranschlägen in Istanbul. Übersetzt bedeutet das: Wenn Urlauber um ihre eigene Sicherheit fürchten, suchen sie sich lieber ein anderes Reiseziel. Die Sicherheit der anderen hingegen, die der Oppositionellen und der Publizisten, die reicht als Argument offenbar nicht aus.

Dieses Phänomen gibt es nicht nur bei der Urlaubsplanung, auch bei vielen anderen Konsumentscheidungen scheinen ethische Überlegungen unterm Strich nicht zu verfangen. Deutschland, ein Land, in dem es für absolut alles Regeln und Vorschriften gibt, in dem der Müll so penibel sortiert wird wie wahrscheinlich nirgendwo sonst, in diesem Deutschland kaufen die Leute ohne zu zögern SUVs von Volkswagen und Klamotten aus Bangladesch. Dieselbetrug hin, ausgebeutete Arbeiter her.

Ist das kollektive Gedächtnis so schlecht? Oder endet Moral immer dort, wo sie unbequem wird? Immerhin gäbe es ja Alternativen. Die Strandurlauber könnten schließlich auch nach Spanien fahren, um sich ihren Sonnenbrand abzuholen. Dort ist es aber teurer. Die Autokäufer könnten ein kleineres Modell von einem anderen Hersteller wählen oder gleich auf Carsharing umsteigen - das ist aber nicht so schick, schon klar.

Was Überzeugungen wert sind, sieht man erst, wenn es unbequem wird, sie zu vertreten

Die Welt ist, das kann man nicht anders sagen, emotional wahnsinnig anstrengend geworden. An vielen Stellen erodieren Werte, die man noch vor ein paar Jahren für ungefährdet gehalten hat. Die Gesellschaft, nicht nur, aber eben auch die deutsche, muss deshalb um diese Werte kämpfen: um Meinungsfreiheit, um Demokratie, um Gleichberechtigung. Um die Definition von Wahrheit. Und ja, auch um eine respektvolle Wortwahl in der Debatte. Schon dieser Entwicklung zuzusehen, ist fast körperlich schmerzhaft und es ist ein noch größerer Aufwand, sich zu überlegen, was man als Einzelne, als Einzelner dagegen tun könnte. Insofern mag es menschlich verständlich sein, dass viele Konsumenten Eskapismus-Tendenzen an den Tag legen und bei ihren Konsumentscheidungen politische oder moralische Überlegungen offensichtlich außen vor lassen. Trotzdem ist das keine akzeptable Lösung.

Wer mit den Entwicklungen der Welt nicht einverstanden ist, kann nicht einfach anderen überlassen, diesen Entwicklungen entgegenzutreten. Sich zu überlegen, wie und wo man sein Geld ausgibt, ist ein Beitrag, den man von mündigen Bürgern schon erwarten kann - es ist die naheliegende Möglichkeit, seine Werte zu verteidigen, sei es gegenüber Regierungen, sei es gegenüber Konzernen. Dieser Aufwand, emotional und wirtschaftlich, ist wichtig: Denn was Überzeugungen wert sind, sieht man erst, wenn es unbequem wird, sie zu vertreten. Zudem entwickelt Geld eine mitunter spektakuläre Überzeugungskraft auch und gerade dort, wo andere moralische Eckpfeiler fehlen. Wer also denkt, mit seinen persönlichen Entscheidungen nichts ausrichten zu können, ob im Supermarkt oder im Reisebüro, irrt. Konsumenten können ein starkes Korrektiv sein - diese Macht sollten sie nutzen. Auch im Urlaub.

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SZ vom 16.05.2019/edi
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