Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Ende der Reise":Das Paradoxon vom Urlaub

Wir versprechen uns davon Erholung, finden sie dann aber nicht. Aufs Wegfahren zu verzichten, ist auch keine Lösung.

Glosse von Hans Gasser

Mit dem Urlaub ist das so eine Sache. Monatelang freut man sich darauf, spart Geld, sichtet Angebote, bringt familienintern divergierende Ansichten zur Ausgestaltung der schönsten Zeit des Jahres auf einen gemeinsamen Nenner. Meer oder Berge? Hotel oder Camping? Süden oder Norden?

Ist das ohne größere Verwerfungen geschafft, wird gebucht, gezahlt, und, falls kein Virus und keine Feuer dazwischenkommen, fährt man tatsächlich hin. Flaniert an der Adria, badet im Atlantik, wandert über die Seiser Alm oder isst jeden Tag fünf Gänge in San Sebastián. Nach zwei Wochen geht es wieder zurück, meist nicht freiwillig, aber doch mit der Hoffnung, man könne die Entspannung, die Unbeschwertheit und gute Laune noch ein paar Wochen mit sich tragen wie einen Zauber-Rucksack, der einen leichter und nicht schwerer macht.

Und genau hier liegt der Hund begraben. Denn es ist immer dasselbe: Nach drei Tagen im Alltag, respektive am Arbeitsplatz, fragt man sich: War da was? Der Urlaub scheint schon wieder so lange her, als wäre man im vergangenen Jahr da gewesen oder vor dem letzten Krieg. Warum das so ist, darüber steckt die Wissenschaft noch in den Kinderschuhen: Raum durch Zeit mal Psychologie - diese Formel wurde noch nicht gefunden.

Dass es aber so ist, ja mitunter sogar noch viel schlimmer, hat nun wieder eine Befragung der Krankenkasse DAK gezeigt: Gemäß ihrem "Urlaubsreport 2021" hat sich jeder fünfte Deutsche in diesem Sommer bisher nicht gut oder überhaupt nicht erholt. Der Anteil der Urlauberinnen und Urlauber, der sich in den Ferien nicht erholen konnte, liege damit auf "konstant hohem Niveau", schreibt die DAK. Besonders Frauen klagten darüber, dass sie sich bereits im Urlaub "gar nicht entspannen" konnten. Unter den Männern waren es deutlich weniger. Der Großteil der Erholungsverweigerer gab als Grund an, es sei ihnen nicht gelungen, Abstand zum Alltag zu gewinnen. Gescheiterte Reisepläne und schlechtes Wetter wurden auch oft genannt.

Jetzt kann man sich natürlich fragen: Warum tun wir uns all das an? Schließlich ist so ein Urlaub ja auch mit Stress und Anstrengung verbunden, siehe oben. Aber die Frage greift zu kurz. Denn was wäre die Alternative? Aus Angst vor der Nicht-Erholung vom Alltag lieber gleich beim Alltag bleiben und sich erst recht nicht erholen? Da haben die Franzosen einen schönen Spruch: "La peur n'empêche pas de mourir, mais elle empêche de vivre." - Die Angst verhindert nicht den Tod, sondern sie verhindert das Leben. Das mag jetzt, auf den Urlaub gemünzt, etwas pathetisch klingen, aber es ist trotzdem wahr. Und ganz ehrlich, liebe Damen und andere Nicht-Erholer: Der eine oder andere schöne Moment war ja dann doch dabei im Urlaub!? Halten wir es also mit Horaz: "Carpe diem - genieße den Tag und vertraue möglichst wenig auf den folgenden!"

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