Süddeutsche Zeitung

Tourismus:Auf nach Deutschland

Für die meisten Länder in Europa gilt keine Reisewarnung mehr, doch die Urlaubslust der Bundesbürger hält sich in Grenzen. Viele sind unsicher, was sie am Zielort erwartet.

Von Hans Gasser

Nach monatelangem Stillstand kommt die deutsche Reisebranche in diesem Sommer nur langsam in Schwung. Obwohl die Reisewarnung für die meisten europäischen Länder seit Mitte Juni aufgehoben ist, sind viele im Land der früheren "Reiseweltmeister" zögerlich und vorsichtig, was die Urlaubsbuchung betrifft. Das gilt insbesondere auch für einstige Lieblingsziele wie Spanien und Italien. Zwar steige der Verkauf von Flugpauschalreisen ans Mittelmeer seit Anfang Juni wieder stetig an, wie der Deutsche Reiseverband (DRV) mitteilt. So zeige eine repräsentative Auswertung einer Buchungswoche Ende Juni, dass Griechenland, die Balearen und die Kanarischen Inseln zweistellige Zuwächse verzeichnen und Italien, Kroatien und Österreich immerhin einstellige.

"Trotz dieser positiven Tendenz liegt die Gesamtzahl der Buchungen nur bei einem Viertel des Vorjahres", sagt der Präsident des DRV, Norbert Fiebig. Das werde sich in den nächsten Wochen zwar noch etwas verbessern, da viele Urlauber relativ kurzfristig buchen. "Wir gehen aber davon aus, dass es nicht viel mehr als ein Drittel der Pauschalreise-Buchungen des vergangenen Sommers werden", sagt Fiebig.

Und dies, obwohl die Infektionszahlen überall stark rückläufig sind und an den meisten Urlaubszielen Maßnahmen zum Infektionsschutz ergriffen wurden. Warum also diese Zurückhaltung?

Das habe zum einen wirtschaftliche, noch mehr aber psychologische Gründe, sagt der Wirtschaftspsychologe Martin Lohmann, der seit Jahrzehnten das Reiseverhalten der Deutschen misst und analysiert. Kurzarbeit oder Arbeitsplatzverlust führten vor allem bei den ärmeren Bevölkerungsschichten zu einem Verzicht auf Urlaubsreisen. Bei der Mittelschicht und den Wohlhabenderen spiele Unsicherheit in Bezug auf das, was einen am Urlaubsort erwartet sowie die Angst vor Ansteckung im Flugzeug und in Hotels eine Rolle, so Lohmann: "Es gibt aber beides: Solche, die platzen vor Freiheitsdrang und sofort wegfahren, sobald es wieder möglich ist. Die anderen - und das ist wohl die größere Gruppe - fragen sich: ,Will ich das überhaupt, mit vielen Menschen im Flugzeug, mit Maske im Hotel oder auf dem Kreuzfahrtschiff?"' Zudem sei das Angebot deutlich kleiner als in anderen Jahren: weniger geöffnete Hotels, weniger Flüge und nicht erreichbare Badeziele wie Ägypten, Tunesien und die Türkei. Eine Reiseintensität, wie sie vor der Corona-Krise geherrscht habe, erwartet Lohmann erst 2022: "Somit trifft diese Krise die Reisebranche härter und länger als jede bisherige."

Beim Branchenführer Tui, der seit Mitte Juni wieder "Pilotreisen" nach Mallorca anbietet, gibt man sich dennoch optimistisch. Die ersten Mallorcareisen seien binnen 36 Stunden verkauft gewesen, so Tui-Sprecherin Susanne Stünckel. Von 40 Flügen im Juni habe man das Angebot auf 1500 Flüge im Juli erhöht; 50 Prozent der Konzernhotels am Mittelmeer seien wieder geöffnet. Das Angebot sei kleiner, aber nicht teurer: "Die Preise werden nicht steigen, solange so viel leer steht."

Was jetzt schon feststeht: Der Reisesommer 2020 kennt einen - zumindest relativen - Gewinner: Deutschland. War das eigene Land schon in den vergangenen Jahren mit etwa einem Drittel aller Urlaubsreisen noch weit vor Spanien das beliebteste Ziel der Deutschen, so wird es jetzt noch voller.

"Wir sehen eine sehr hohe Nachfrage nach Urlaub an den Hotspots wie der Ostsee, der Nordsee und Bayern", sagt Dirk Dunkelberg, stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Tourismusverbandes (DTV). Unsicherheit zu den Urlaubsbedingungen im Ausland hätten dazu geführt, dass nun auch Menschen, die sonst nach Italien oder Spanien gefahren wären, hierzulande Ferien machen. Wenn das Wetter mitspiele, werde es auch noch viele kurzfristige Buchungen geben. "Wir raten aber, auch in die Mittelgebirge oder etwa zu den unbekannteren Seen in Brandenburg zu fahren, damit sich nicht alles auf wenige Regionen konzentriert."

Trotz dieses Booms wäre es laut Dunkelberg schon ein Erfolg, wenn es in diesem Jahr bei den Übernachtungszahlen in Deutschland "nur" zu einem Rückgang von 30 bis 40 Prozent kommen würde. Denn Touristen aus Amerika und Asien bleiben vollständig aus, und Nachbarn wie Niederländer und Schweizer kommen nur zögerlich zurück. Dies trifft vor allem die Städte, die auch wegen des Wegfalls von Tagungen und Messen stark leiden. "Wer jetzt Lust auf Städte hat, der findet in diesem Jahr die besten Bedingungen, um sie in Ruhe zu entdecken", sagt Dunkelberg. Wenig Menschen, günstige Hotels.

Wo es hingegen mit Sicherheit voll wird, das sind die Campingplätze. Der Trend zum autarken Urlaub hat sich coronabedingt noch verstärkt. Laut Kraftfahrtbundesamt gingen die Zulassungszahlen von allen Fahrzeugklassen im Juni deutlich zurück. Nur eine verzeichnet einen Zuwachs von 62 Prozent: Wohnmobile.

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SZ vom 11.07.2020/edi
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