Unterwegs in Istanbul:Die Explosion der Nacht

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In den alten Vierteln der Stadt am Bosporus etabliert sich eine junge Szene mit exklusiven Clubs und Einkaufsmeilen.

Tanja Rest

One Night in Istanbul, der DJ spielte einen Madonna-Song, der Dancefloor kochte, auf dem Balkon bog sich eine einsame Schöne im steißbeintief ausgeschnittenen Modellkleid von Versace, und du dachtest gerade, dass jeder erste Besuch in einer großen Stadt einem Memory-Spiel gleicht; und dass du jetzt zwei Tage lang Spielkarten aufgedeckt hattest, die nicht zueinander passten: die Märkte nicht zur Shoppingmall, der Mokka nicht zum Starbuck's, der Orient nicht zum Okzident, und dieser größenwahnsinnige Tanztempel namens 360 im rundumverglasten höchsten Stock eines Hochhauses nicht zur Aussicht, die allein im Westen sechs Moscheen und einen Kirchturm birgt, welche es zusammen auf x-tausend Jahre bringen. So etwas in die Richtung dachtest du. Und dann passierte etwas.

Es mag damit zu tun haben, dass man auch in einem In-Club mit Blick auf die raumschiffhaft glühende Hagia Sophia nicht einfach so 15 Euro für einen Long Drink ausgibt, ohne nicht mindestens eine tiefere Erkenntnis zu erhoffen. Auch denkbar, dass der Gin im Tonic sein Geld wert war.

Jedenfalls verschmolzen die Memory-Kärtchen vor den Augen zu einem Ganzen, einem ganz widersprüchlichen, dem einzig denkbaren Bild von Istanbul: Die ausgeschnittene Versace-Schöne, die vor der illuminierten Kulisse dreier Weltreiche zu "Like a Virgin" tanzt ...

"360, hmm?" (Deniz spricht es englisch aus: Three-Sixty.) - Ja. Letzte Nacht. - "Hat vor kurzem erst aufgemacht. Guter Club, findest du?" - Wie man's nimmt. Schick, stylish. Sehr . . . europäisch.

"Tarkan geht da manchmal hin." (Tarkan, der hüftschwingende Pop-Export der Türkei. Seine Präsenz adelt.) "Diese Gegend verändert sich, schon immer. Du kannst zuschauen, wie es passiert."

Das Amüsierviertel Beyoglu an einem bleichen Vormittag. Du sitzt im 1. Stock von Burger King. Am Fenster zieht sich Deniz gerade ein spätes Frühstück rein und blickt dabei über den Taksim-Platz, eine der wichtigsten Verkehrs-Drehscheiben Istanbuls. Ganz in der Nähe hier hat Deniz einen Plattenladen eröffnet - die Standards des türkischen Pop, vor allem aber internationaler Dancefloor, Anastacia, Britney, Robbie, er sagt: "Ihr Leute in der EU glaubt ja immer noch, wir leben in Istanbul hinterm Mond. Gestern waren zwei Italienerinnen da, die fanden das irre, dass bei uns Eros im Regal steht." Deniz ist 24 Jahre alt. Ein Mann im Aufbruch. Wie sein sehr altes Viertel.

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