Unesco-Welterbe:Der Wiener Welterbe-Schmäh

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Österreich will den Charme seiner Gastgeber zum Unesco-Welterbe machen. Das klingt absurd, doch bald könnte es möglich sein.

Interview: Hans Gasser

2003 verabschiedete die Unesco eine Konvention zum Schutz des immateriellen Welterbes. Dazu zählen die mündlichen Überlieferungen zentralafrikanischer Pygmäen genauso wie die polyphonen Gesänge Georgiens. Rieks Smeets, Chef der Abteilung für immaterielles Welterbe im Pariser Unesco-Sekretariat, hofft, dass die Konvention bis Ende des Jahres von 30 Ländern ratifiziert ist und damit in Kraft treten kann. Er erklärt die Bedeutung gelebter Kultur.

Auf dem Wiener Opernball zeigt Österreich viel "Schmäh". (Foto: Foto: AP)

SZ: Immer mehr Welterbestätten führen zu einer Inflation. Nun schützt die Unesco auch noch immaterielle Dinge. Wird bald die ganze Welt Welterbe sein?

Smeets: Es gibt in Europa ein Wetteifern, das auch ökonomische Gründe hat. Der Tourismus schnellt nach einer Auszeichnung manchmal um 500 Prozent in die Höhe. Um eine Inflation zu verhindern, wollen wir die immateriellen Güter nur für etwa zehn Jahre auf der Liste belassen. Das reicht, um Interesse zu wecken und den Schutz zu befördern. So befänden sich nie mehr als maximal 500 immaterielle Kulturgüter gleichzeitig auf der Liste.

SZ: Wie wollen Sie verhindern, dass Touristenmassen ein ausgezeichnetes Ritual zerstören?

Smeets: Wir versuchen, auf die Staaten einzuwirken: Lasst nicht die Touristen in die Dörfer, sondern lasst manchmal ein paar Leute aus dem Dorf in die touristischen Zentren, um eine Performance zu geben. Und wenn lokales Recht den Zugang zu einer traditionellen Veranstaltung verbietet, dann solltet ihr das respektieren.

SZ: Rituale, Tänze, Gesänge spielen vor allem in Afrika und Asien eine große Rolle. Soll das immaterielle Welterbe entschädigen für die wenigen Monumente, die die Unesco dort ausgezeichnet hat?

Smeets: Nein, es ist einfach die Anerkennung, dass ein großer Teil unserer kulturellen Vielfalt eben nicht materiell ist. Es stimmt, dass in diesen Ländern Monumente weniger wichtig sind als die gelebte Kultur. Doch Europa holt auf. Auf der aktuellen Vorschlagsliste befinden sich immerhin 18 europäische Einträge von insgesamt 69. Dazu gehören besondere Feste, Karnevals oder Marionettentheater. Wichtig ist, dass es sich um gelebte Tradition handelt, die essenziell für die Identität einer bestimmten Gruppe ist.

SZ: Österreich will den Charme seiner Gastgeber zum Welterbe erklären lassen. Ein reiner Marketing-Gag, oder hat die Bewerbung Chancen?

Smeets: Es ist nicht komplett aussichtslos. Denn soziale Traditionen fallen auch darunter. Doch es steht zu beweisen, dass diese Art von Charme seit mehreren Generationen besteht. Wenn es jedoch rein kommerziellen Zwecken dient, dann ist die Chance gering. Ich denke zudem nicht, dass man alle Gastgeber Österreichs als eine Gemeinschaft definieren kann, für deren Identität der Charme essenziell ist. Aber das ist ein interessanter Fall. Wir bekommen viele solcher Vorschläge, die in der Konvention nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Dennoch werden wir sie berücksichtigen.

SZ: Höfische Musik aus Vietnam oder die mündliche Überlieferung der Aka-Pygmäen sind kaum von Außenstehenden erfahrbar. Wird die Konvention dennoch Erfolg haben?

Smeets: Sogar mehr als das materielle Erbe. Aber eine andere Art von Erfolg, der nichts mit wirtschaftlichen Vorteilen zu tun hat, sondern noch mehr auf die Erhaltung der immateriellen Kulturgüter zielt. Wir arbeiten mit sechs Filmemachern zusammen, die Feste und Riten dokumentieren und sie damit einer breiteren Öffentlichkeit vorstellen.

SZ: Die dann als Touristenhorde die Orte überrennt.

Smeets: So gesehen bin ich froh, dass 85 Prozent der Touristen sich mehr für Strand und weniger für Kultur interessieren. Man muss sich auf so etwas auch einlassen. Es gibt wohl wenige, die sich freiwillig eine vierstündige Aufführung des japanischen Nogaku-Theaters ansehen. Ich finde es gar nicht so schlecht, dass etwa in vielen türkischen Hotels Derwischtänze aufgeführt werden, die wenig mit den echten zu tun haben, deren Integrität aber dadurch schützen.

© SZ vom 10.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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