Unbekannter 5. Kontinent:No Worries!

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Sandpisten bis zum Horizont - wer mit dem Auto im Busch unterwegs ist, sollte jede Menge Wasser dabei haben. Und ein Funkgerät wäre auch nicht schlecht, um Hilfe zu holen. (Foto: imago)

Von wegen Outback: Das beeindruckt vor allem Touristen. Doch die meisten Australier leben in Städten an der Küste.

Von Katja Trippel

Gibt es ein Land außer Australien, in dem einem das Navigationsgerät solch eine Ansage machen kann? "Folgen Sie dem Straßenverlauf 700 Kilometer und biegen bei der ersten Kreuzung links ab!" Wo die Straße zudem gut geteert ist, während die Landschaft rechts und links so weit erscheint wie der Himmel über ihr? Wo man stundenlang kein anderes Auto trifft, dafür Kängurus, Emus oder Schnabeligel? Und dann mitten im Nichts plötzlich ein Pub mit Zapfsäule auftaucht, dessen Wirt oder Wirtin einen herzlich mit "Hi mate, how's going?", begrüßt, so als kenne man sich seit Jahren?

Ganz sicher führt einen das Navi in diesem Fall quer durch "OZ" - diesen riesigen Kontinent am anderen Ende der Welt, der so vielen Deutschen als Sehnsuchtsort gilt. Auch 2018 flogen wieder gut 200 000 Urlauber Richtung Down Under, allen Nachrichten über Korallenbleiche, Buschfeuer und sterbende Koalas zum Trotz. Schließlich kann man nur hier innerhalb eines Landes so viele Kontraste erleben: Wüsten und Regenwälder, putzige Beuteltiere und gefährliche Reptilien, Jahrtausende alte indigene Kulturen sowie den Surf- und Party-Lifestyle der Neu-Australier.

Freilich liegen die Highlights nicht gerade ums Eck. "No worries" sagen die Einheimischen, nimmt man sich halt etwas Zeit, um sie zu er-fahren: Vom hippen Melbourne zur sonnigen Goldcoast sind es fast 1800 Kilometer; weiter hoch nach Cairns, dem Sprungbrett ans Great Barrier Reef, noch mal so viele. Vom tropischen Top End zum Uluru im Roten Zentrum fährt man 2000 Kilometer. Von Adelaide im Süden nach Perth im Westen: 2500; zu den Walhaien am Ningaloo-Riff noch mal tausend.

Fast alle Australien-Anfänger unterschätzen diese Distanzen kolossal, da geht es ihnen nicht anders als den ersten europäischen Entdeckern. Der Schotte Thomas Mitchell etwa schleppte 1830 auf seine Expeditionen zwei Holzschiffe mit, weil er felsenfest davon überzeugt war, bald auf Seen oder Flusssysteme zu stoßen. Monatelang sah er jedoch vor allem gleißend heißes, rappeltrockenes Buschland - und verlor darin einige Weggefährten.

Bis heute ist das Outback kein Kinderspielplatz. Man muss nicht einmal so blöd sein, in Gewässern zu baden, in denen Salzwasserkrokodile schwimmen, oder mit Flipflops durch Buschland wandern. Es reicht, wie es erst im November drei Australiern passierte, mit dem Auto in einem abgelegenen Flussbett stecken zu bleiben. Ohne satellitengestützte Notfallortungsgeräte sowie viel, wirklich sehr viel Trinkwasser, wird die Lage schnell kritisch.

Netterweise stellen die Australier überall lieber drei Warnschilder zu viel auf als eines zu wenig. Aber wer sie befolgt, kann die Weite der australischen Landschaften entspannt genießen. Nur wenige, dafür spektakuläre Gebirgszüge, ragen aus den Weiten. Der Rest ist eher flach als hügelig und auch eher dürr als trocken - der ohnehin rare Regen wird infolge des Klimawandels noch rarer.

Tropft es doch einmal vom Himmel, geschehen überall Wunder: Das allgegenwärtige Spinifex-Gras färbt sich von beige zu zartgrün, die Eukalyptus- und Akazienbäume, die in vielen Hundert Arten wachsen, flattern nicht mehr durstig im Wind, sondern entwickeln stolze Kronen. Aus Wüstenboden sprießen Wildblumen, und einst struppige Büsche liefern jede Menge Bush Tucker: Beeren, Blüten oder Früchte, von denen die Aborigines sich mehr als 50 000 Jahre ausschließlich ernährten.

Überhaupt gewinnt das alte Wissen der Ureinwohner in Zeiten des Klimawandels zunehmend an Bedeutung, das spürt man sogar als Besucher. Immer mehr Veranstalter bieten "cultural experiences" an: Aborigines erzählen von ihrer Kultur, führen Besucher durch die Natur und erklären, wie es ihnen gelang, sie Zehntausende Jahre im Gleichgewicht zu halten.

Nicht zuletzt wurde im Oktober der Klettersteig am Uluru geschlossen, nach langjährigen Protesten der in der Region lebenden Anangu, für die der Berg seit jeher so heilig ist wie der Petersdom für Katholiken. In den Grampians wiederum, einem Bergmassiv im Bundesstaat Victoria, versuchen die lokalen Aborigines derzeit, Jahrtausende alte Höhlenzeichnungen vor Vandalen zu schützen - Werke von immensem kulturhistorischen Wert. Die Regierung hat das bislang versäumt.

Womit wir bei den Paradoxa angekommen wären, die unweigerlich auffallen, wenn man länger durchs Land reist. Eines davon: das Essen. Seit ein paar Jahren tobt in Sydney, Melbourne, Adelaide und anderen großen Städten ein unglaublicher Hype um gutes Essen, schicke Cafés und Restaurants. Doch im Rest des Landes werden stoisch weiter Burger und Steaks serviert: 270 Gramm Fleisch futtert jeder Australier pro Tag und Person, das ist Weltrekord.

Leckeres Gemüse, Obst und Käse, gar in Bio-Qualität, sind nur schwer zu kriegen, und falls doch, sehr teuer. Der Grund: Es gibt nur noch wenige kleine Bauernhöfe, die Landwirtschaft ist hoch industrialisiert. Und die Arbeits- und Lebensbedingungen auf riesigen Rinderfarmen oder Mangoplantagen haben mit dem Country-Lifestyle, von dem vor allem junge Australienfans träumen, wenig zu tun. Das spricht sich rum: Während 2015 noch 33 000 Deutsche unter 30 mit einem Working Holiday Visa durchs Land reisten, sank ihre Zahl 2018 um fast ein Drittel.

Vor allem wackelt das Image der Aussies als Naturburschen und -mädels. Klar lieben sie ihre Kakadus und Wallabies, ihre Eukalyptuswälder und Nationalparks. Doch die meisten der 25 Millionen Australier kennen den Busch nicht mehr, sie wohnen in den Vororten der Küstenstädte. Und fahren sie doch mal raus zum Campen oder Angeln, dann mit schwerem Gerät: Pick-ups ziehen Wohnwagen im XXL-Format, der Dieselgenerator versorgt Kühlschrank, Klimaanlage und "Tellie" (TV) mit Strom; genau wie daheim. Naturnah ist anders. Der Kontakt zum "country", wie die Aborigines sagen, ist abgebrochen.

Ob es daran liegt, dass selbst die dramatischen Umweltveränderungen - die Dürren, die Buschbrände, das Absterben des Great Barrier Reefs - nur eine Minderheit der Australier bewegt, ihren Lifestyle zu überdenken? Von der Regierung ist jedenfalls nicht viel zu erwarten. Ihr Chef, Premierminister Scott Morrison, negiert den Klimawandel sogar offiziell, investiert lieber in neue Kohleminen als in den Erhalt der einzigartigen Natur. Nachhaltigkeit? Klimaschutz? CO₂-Einsparungen? Auch hier heißt die Devise: No worries!

© SZ vom 27.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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