Überraschungskreuzfahrt im Mittelmeer:Das Schiff ist unser!

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Kreuzfahrt

Regeln für die Überraschungskreuzfahrt: Start ist in Istanbul, Ziel ist Venedig, das Schiff bleibt im Mittelmeer - wo es anlegt, entscheiden die Passagiere.

(Foto: Illustration: Yinfinity)

Auf einer zweiwöchigen Kreuzfahrt durchs Mittelmeer weiß selbst der Kapitän vorher nicht, wohin die Reise geht. Denn diesmal bestimmen die Passagiere den Kurs.

Von Margit Kohl

Das erste Europa-Parlament tagt vor Skiathos. Die griechische Insel in der Ägäis ist Schauplatz der ersten Abstimmung darüber, wie es weitergehen soll mit Europa. Oder besser gesagt, mit der MS Europa. Ab jetzt dürfen die Passagiere des Kreuzfahrtschiffes bestimmen, auf welcher Route sie in den kommenden zwei Wochen über das Mittelmeer fahren wollen. Die 340 Gäste der so gut wie ausgebuchten Überraschungskreuzfahrt wollen diesmal dem Kapitän den Kurs vorgeben.

Vor der Fahrt ist nur klar: Die MS Europa bleibt im Mittelmeer, auch der Start in Istanbul und das Ziel Venedig sind von der Reederei vorher festgelegt worden. Dazwischen sollen die Passagiere das Kommando übernehmen. Doch kaum hat das Schiff Istanbul verlassen, will Kapitän Mark Behrend das Ruder nicht aus der Hand geben: Er steuert auf Skiathos zu. "Wir dürfen in Istanbul nur ablegen, wenn wir den nächsten Hafen nennen. Hätte ich sagen sollen, das weiß ich nicht, denn das haben mir meine Passagiere bislang noch nicht mitgeteilt?", begründet der Kapitän seinen Alleingang.

Demokratie kann ganz schön anstrengend sein

Mit der Freiheit ist das ohnehin so eine Sache. Denn einige würden im Urlaub nichts lieber tun, als in den Tag hineinzuträumen, statt die Seeroute zu planen. Ein älterer Herr sagt: "Ab nun halte ich es wie der Typ in der Gauloises-Werbung: Heute mache ich mal, was ich will. Nichts." Insofern kann Demokratie auf dem Schiff ganz schön anstrengend sein. Vielleicht ist es ja moralisch aufbauend, dass die erste Abstimmung des Europa-Parlaments in Griechenland stattfindet, dem Land, in dem Demokratie einst erfunden wurde. Und was kann demokratische Entscheidungsprozesse besser erleichtern als ein Expertenrat - und auch ein wenig steuern?

Die meisten Passagiere haben sich zur ersten Abstimmung in der amphitheaterförmigen Lounge versammelt, als der Kapitän drei Routenvorschläge für das erste Drittel der Reise präsentiert. Variante A: Chios, Delos, Mykonos und Naxos. Variante B: Patmos, Rhodos und Simi, dann nach Marmaris. Variante C: Volos, Piräus, Spetses.

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Die Qual der Wahl: Überall scheint die Sonne, sagt der Meteorologe. Die gewählte Route in Orange, die Alternativen in Blau und Rosa.

(Foto: Illustration: Yinfinity)

Ein Lektor erklärt kurz, was es wo zu sehen gibt, ein Meteorologe gibt Prognosen zum Wetter: Sonnenschein über dem ganzen Mittelmeer. "Putzimaus, da bleib I ned zuhaus", antwortet eine fesche Wienerin ihrem Mann, der lieber am Pool ruhen will statt Inseln zu erkunden. Doch bevor es zur Abstimmung kommt, rückt der Kapitän mit einer interessanten Information heraus, weil wohl viele Passagiere der Meinung waren: Im Angebot fehlt Santorin! Da kein Kapitän eine Meuterei riskiert, erklärt Behrend: "Samstags wären wir dort das einzige Kreuzfahrtschiff." Weil das sonst so gut wie nie vorkommt und man mit der Routen-Variante A geografisch Santorin ganz nah kommt, ist die Wahl schnell beschlossen: Bei A sind im Nu fast alle Hände oben.

Weiße Kleidung, Sonnenbrillen, wie aus dem Kreuzfahrtprospekt

Für Kapitän Behrend ist es die erste Überraschungskreuzfahrt. Für Inge und Jürgen Hollmann aus Wuppertal schon die zweite. Beide sind mit Sonnenbrille ausstaffiert und weiß gekleidet wie in einem Kreuzfahrtprospekt, als sie am Pool Platz nehmen. Sie erwarten, dass endlich mal die Post abgeht. Sie erinnern sich noch gut daran, dass es beim letzen Mal eine Poolparty als Zusatzüberraschung gab. Vor allem aber Schlauchboot-Fahrten zu einsamen Ständen mit einer eigens aufgebauten Eisdiele oder einem Beach-Barbecue mit leckeren Langusten. "Jetzt haben wir uns für diese nassen Anlandungen extra Wasserschuhe gekauft und nun passiert nix", sagt Inge, und Jürgen nickt.

Dass nicht nur die Passagiere die Crew mit der Routenwahl überraschen, sondern auch umgekehrt Passagiere überrascht werden wollen, das sei manchmal nicht so einfach, sagt Sonja Schwalbe, die Touristikmanagerin an Bord. Für Zakynthos habe man diesmal so eine Strandanlandung mit dem Schlauchboot angefragt. Doch bis die Behörden endlich die Genehmigung erteilt hätten, sei die MS Europa schon wieder weg gewesen.

Bei einer Überraschungskreuzfahrt stoßen die Organisatoren logistisch an die Grenzen des Machbaren.

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