Übernachten auf dem Jubiläumsgrat:Schlaf in kleinen Dosen

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Zwischen Zugspitze und Alpspitze steht ein neues Biwak. Der Weg dorthin wird dadurch aber nicht leichter - auf dem Jubiläumsgrat könnte jede kleinste Unachtsamkeit das Leben kosten.

Dominik Prantl

Dieser Text ist erschienen am 25. August 2011. Wir haben die Übernachtungskosten aktualisiert. Alle weiteren Angaben sind unverändert.

Alu-Schachtel mit Bullauge: Per Hubschrauber wurde der knallige Unterstand auf den schmalen Jubiläumsgrat geflogen. (Foto: Prantl)

Die neue Jubiläumsgrathütte war noch nicht einmal an ihrem Platz auf 2684 Metern Höhe angekommen, da war sie schon eine kleine Berühmtheit. Sie war, anders als die meisten ihrer Art, sogar ganz schön herumgekommen im Lande, denn ihre Stifter hatten sich für sie eine Werbetour durch Deutschland ausgedacht. Die Reise führte also samt einer Ausstellung nach Hamburg, Frankfurt, Berlin und auf den Rindermarkt in München.

Am 12. August 2011 wurde sie schließlich mit einem Transporthubschrauber mitten auf den Jubiläumsgrat geflogen. Dort steht sie nun den Alpinisten als Biwakschachtel im felsigen Gelände zur Verfügung, rot leuchtend und weithin sichtbar wie ein englischer Postkasten. Oder eine Coca-Cola-Dose.

Die meisten Großstädter werden sie nie wiedersehen, zu steil und ausgesetzt ist der schmale Grat zwischen Zug- und Alpspitze ( siehe Informationen). Zwölf Personen bietet das sechs mal zweieinhalb Meter breite Gebilde aus Aluminium Platz. Für eine Biwakschachtel, die eigentlich nur als Schutzhütte in Notfällen dienen soll, ist das eine ganze Menge.

Innen fehlt noch der Geruch verschwitzter Socken und feuchter Kleidung. Auf den ebenfalls knallroten Matratzen liegen Kissen und, ordentlich gefaltet, Wolldecken mit dem Edelweiß-Logo des Deutschen Alpenvereins. Dazu wurde ein genauer Hinweis angebracht, mit welcher Seite der Decken die Füße zu bedecken sind - und zwar in fünf verschiedenen Sprachen. Man muss schließlich davon ausgehen, dass die Decken nicht täglich gewaschen werden.

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Um später die Übernachtungsgebühr von drei Euro zu überweisen, zieht man einen Zettel mit Kontodaten aus einem Holzkästchen. Auf der Fußmatte darunter findet sich der Hinweis auf einen viel wichtigeren Geldgeber. Dort prangt der Name des Bergschuhherstellers Hanwag. Er schenkte die Hütte der Alpenvereinssektion München, die mit sicherem Gespür für die Zeitenwende meldete: "Alu-Dose ersetzt altes Wellblech-Grathütterl."

Der Container im grellroten Gewand signalisiert auch das dosierte Vordringen von Sponsoren zu den letzten Außenposten des Höhentourismus. Die Vorstellung von der Bergsteigerei als kommerzfreie Zone ist ohnehin schon lange eine Schimäre.

Der Deutsche Alpenverein bekennt sich seit einigen Jahren zu der Zusammenarbeit mit Partnern aus der Wirtschaft. Er hat dabei wenig Hemmungen, als Naturschutzverband etwa mit einem Autohersteller zu kooperieren. Klettersteige werden nicht nur von Sportartikelherstellern wie Salewa oder Haglöfs unterstützt, sondern, wie im Fall des Brudertunnels an der Lamsenspitze, von der Versicherungskammer Bayern saniert.

Traditionalisten mögen den Kopf darüber schütteln, dass der Kommerz inzwischen auch den altehrwürdigen Jubiläumsgrat erreicht hat. Die Geschichte der Grathütte reicht immerhin bis 1915 zurück, als hier ein einfacher Holzunterstand Schutz bot. 1962 wurde der Verschlag von einem zuletzt recht verwahrlosten Wellblechkabuff abgelöst.

Das Modell des Jahres 2011 ist - zumindest nach dem alpinen Isomatten-Maßstab - dagegen fast ein Wellnessbereich. Jene Bergsteiger, die nach mehreren Stunden Kräfte zehrender Kletterei dort ankommen, haben offensichtlich ihre Freude an dem unerwarteten Luxus im Hochgebirge. Nach den ersten zehn Tagen sind einige Seiten des Hüttenbuchs, dem Facebook für Nostalgiker, bereits gefüllt mit Elogen. "Gemütlicher als so manches Matratzenlager", schreibt einer; ein anderer Nutzer vermerkt: "Tolles Nobelbiwak. Da macht uns auch die Pause Spaß."

Zwar gibt es hier, wie in Biwakschachteln üblich, weder Strom noch Wasser, weder Ofen noch Toilette, beim Probeschlafen war nur der Autor dieser Zeilen zu Gast. Es haben sich aber auch schon 18 Personen sardinengleich in die Dose gequetscht, womit der Begriff Biwak eine neue, touristische Dimension erhält.

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Tatsächlich entstammt das Biwak dem militärischen Wort Beiwache, dem Kampieren von Soldaten im freien Feld, was in Frankreich zu "bivouac" verballhornt und schließlich ins Deutsche rückentlehnt wurde. Dem Biwak haftet etwas Spartanisches an.

Der Alpinist versteht unter biwakieren im engeren Sinne eine Nacht eher unfreiwillig ohne Dach über dem Kopf zu verbringen, oft nur in einen Kunststoffsack gehüllt. Der englische Höhenbergsteiger Doug Scott verbrachte einst sogar auf dem Südgipfel des Mount Everest ein Notbiwak weitgehend unbeschadet auf über 8700 Metern.

Die neue Jubiläumsgrathütte kühlt zwar in der Nacht aus, doch im Sommer reichen die Sponsor-Decken. Eine Vertreterin der Zugspitzbahnen weist nachdrücklich darauf hin, dass es sich hier dennoch nicht um eine Hütte für Wanderer handelt. "Was wir und die Bergwacht sicher nicht wollen, ist eine Art Biwaktourismus."

Denn der Weg in das Refugium wird nicht von Sponsoren geebnet, mögen die auch die tollsten Schuhe und Klamotten herstellen. Der Grat ist genauso schwierig wie zur Glanzzeit der alten Schachtel.

Wer erst Mittags aufbricht und antizyklisch geht, kann in der Hütte übernachten, und so die Anstrengung auf zwei Tage verteilen. Dazu gibt es einen exklusiven Sonnenuntergang vor der Alpenkulisse. Allerdings schläft nicht jeder gut auf 2684 Metern, wo die Höhe Tribut vom Körper fordert.

Und selbst auf dem als etwas einfacher geltenden Stück des Jubiläumsgrats zwischen Biwakschachtel und Alpspitze ist höchste Konzentration gefordert. Ein Ausrutscher kann auch hier tödlich enden.

Erst an der Bergstation der Alpspitzbahn darf man sich wieder sicher fühlen. Der Seilbahn-Mitarbeiter sagt: "Ich war einmal vor vielen Jahren in der alten Biwakschachtel. Das ist unvorstellbar, wie es da drin ausgesehen hat." Die neue Dose werde er nicht besuchen. Er brauche das nicht mehr.

Anreise: Mit dem Auto über die A 95 nach Garmisch-Partenkirchen und je nach Gehrichtung entweder mit der Alpspitzbahn zum Osterfeldkopf oder von Eibsee mit der Eibseeseilbahn zum Zugspitzgipfel. Mit der Bahn nach Garmisch-Partenkirchen und weiter mit der Zugspitzbahn zu den Talstationen der oben genannten Seilbahnen.

Unterkunft: Übernachtungsgebühr von 5 Euro pro Person und Nacht, Zahlung vor Ort oder Überweisung an die AV-Sektion München.

© SZ vom 25.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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