Süddeutsche Zeitung

U-Bahn in London:Alles nur gereimt

Die U-Bahn spricht, oh weh und ach, in London jetzt in Versen. Das schlägt manche in die Flucht - ausgerechnet diejenigen, die zurückreimen könnten.

Von Alexander Menden, London

Ein beliebtes Dinnerparty-Thema ist in London momentan der Drang vieler Familien, aus der Hauptstadt aufs Land zu ziehen - weg von Abgasen, Krach, überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln, und vor allem den unmenschlich hohen Lebenshaltungskosten. All das wären gute Gründe, nicht in London wohnen zu bleiben, käme das Heulen und Zähneklappern nicht fast ausschließlich von Menschen, die sich als Banker aus Holland Park oder Werbe-Heinis aus Shoreditch ohnehin ein Zweithaus in den grünen Cotswolds leisten können.

Angesichts solcher Luxusprobleme nimmt man - als Nicht-Immobilienmillionär und als Freund der Lyrik - mit einigem Wohlwollen den Grund zur Kenntnis, den jetzt der Daily Telegraph-Autor Ralph Jones für seine London-Flucht nennt: Er habe die fürchterlichen gereimten Sicherheitshinweise in der U-Bahn nicht mehr ertragen, sagt Jones.

Schlimm wie ein Hundefurz

Diese offiziellen Mehrzeiler, die Fahrgäste zu Umsicht, Rücksicht und Vorsicht anhalten, seien ebenso wenig ignorierbar wie der "nachschwelende Furz eines dicken Hundes".

Man kann Jones' Urteil nur zustimmen. Jeder, der diese missgebildeten Gedichtverschnitte liest, müsse automatisch den Respekt vor den Londoner Verkehrsbetrieben verlieren. Besonders belebend ist seine kalte Wut über die beiden ersten Zeilen einer gereimten Aufforderung, allen verfügbaren Platz im Waggon auszunutzen: "We really don't mean to chide, but try to move along inside" (In etwa: "Wir wollen wirklich nicht meckern, aber versuchen Sie bitte, reinzurücken"). "Ersetzt um Gottes willen 'don't' durch 'do not'!" fleht Ralph Jones.

Hassen die Leute von "Transport for London" vierhebige Jamben so sehr, dass sie die Zeile mutwillig durch eine fehlende Silbe aus dem Takt gebracht haben? Oder haben sie einfach keine Ahnung, wie gebundene Sprache traditionell funktioniert? Nein, tatsächlich sind diese dümmlich-fröhlichen Sprüche den Fahrgästen selbst zu verdanken. Anfang des Jahres wurden sie in einem Wettbewerb dazu aufgefordert, gedichtete Verhaltenshinweise zu vorgegebenen Themen ("Müll in der U-Bahn", "Füße auf dem Sitz") einzusenden.

Wenn das, was jetzt überall plakatiert ist, schon eine Auslese darstellt, wagt man sich kaum vorzustellen, welcher Lyrik-Sondermüll in den Papierkörben der Londoner U-Bahn-Werbeabteilung gelandet sein muss. Wo sind die Werbe-Heinis aus Shoreditch, wenn man ihre Expertise ausnahmsweise mal brauchen könnte? Ach ja, auf dem Land.

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Quelle:
SZ vom 27.10.2015/kaeb
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