Trinkgeld:Danke, bitte!

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Von wegen dezent Trinkgeld liegen lassen! Inzwischen weisen Reiseveranstalter ihre Kunden gern auf konkrete Summen hin. (Foto: flashgaz/iStockphoto.com)

Früher gaben Urlauber Trinkgeld, wenn sie mit einem Service zufrieden waren. Freiwillig. Heute werden sie oft mit mehr oder weniger sanftem Druck zur Kasse gebeten. Verbraucherschützer vermuten dahinter Methode.

Von Sven Weniger

Die Reise mit dem Nostalgiezug durch Afrika kostet mehr als 12.000 Euro. Die Antarktis-Luxuskreuzfahrt schlägt mit 8000 Euro zu Buche. Wer durch die Anden kraxeln will, ist bei einem guten Trekkingveranstalter schon mit rund 4000 Euro dabei. Natürlich pro Person, doch immerhin mit allem Drum und Dran: Transport zu Land, Luft und See - ein Komplettpreis, mit dem sich klar rechnen lässt. Oder doch nicht?

Fast unbemerkt haben sich in den vergangenen Jahren Extrakosten in die Angebote der Reiseveranstalter geschlichen. Sie werden im Katalog meist nicht erwähnt. Dennoch muss der Urlauber fest mit ihnen rechnen, auch wenn sie zunächst kaum kalkulierbar sind: Trinkgelder.

Wer früher im Urlaub mit einem Service zufrieden war, sei es im Restaurant, Hotel oder bei der Stadtführung, drückte dem Kellner, Portier und Guide gegenüber seine Anerkennung durch einen Obulus aus, individuell und freiwillig, ein kleines Dankeschön, mehr nicht. Das ist vorbei, vor allem bei Pauschalreisen, die fast 50 Prozent des Tourismusmarkts ausmachen und unterschiedlichste Dienstleistungen bündeln. Die zusätzlichen Ausgaben entstehen also ausgerechnet dort, wo eigentlich schon der Begriff ein Urlaubspaket zum Festpreis verspricht.

Zehn bis 15 Euro Trinkgeld pro Person und Tag

Kommen nach der Buchung die Reiseunterlagen ins Haus, greifen viele Veranstalter ein weiteres Mal in die Taschen ihrer Kunden. Dabei ist es egal, ob es sich um vermeintliche Schnäppchenangebote handelt oder solche aus dem obersten Preissegment.

Ob Nostalgiezug, Luxuskreuzfahrt oder Anden-Trekking: Man solle schon zehn bis 15 Euro Trinkgeld pro Person und Tag veranschlagen, liest der verblüffte Kunde: für Busfahrer, Zimmermädchen, Küchenpersonal und Gepäckträger; lokale Fremdenführer seien ebenso zu bedenken wie der Reiseleiter, der, besonders pikant, immerhin der offizielle Repräsentant des Veranstalters selbst ist, dessen Leistung ja bereits bezahlt wurde.

Da wird mit Handlungsrichtlinien nicht gegeizt, etwa welche Servicekraft wie viel bekommen sollte und wie man die genaue Zahl der Urlaubstage berechnet, die mit Trinkgeld zu honorieren seien. So erhöht sich der Preis für eine zweiwöchige Reise schnell um 150 bis 250 Euro.

Verbraucherschützer sehen dahinter Methode. "Bis jetzt kannten wir solche von vornherein festgelegten Trinkgelder nur von Kreuzfahrten", sagt Kerstin Hoppe vom Bundesverband der Verbraucherzentralen VZBV, der in mehreren Verfahren Unterlassungserklärungen von Seereiseanbietern erzwang, deren Kataloge diese quasi-obligatorischen Zusatzkosten an Bord verschwiegen. "Feste Service-Entgelte", sagt Tatiana Halm, Juristin bei der bayerischen Verbraucherzentrale, "sind eigentlich versteckte Preise, die zunächst verschwiegen werden." Und das sei illegal.

Mit manchen dieser Pauschalen würde direkt das Bordkonto des Reisenden belastet. Dieser müsse dann schon protestieren, damit dies nicht geschehe; von einer Entscheidung aus freien Stücken könne keine Rede mehr sein.

"Wir geben nur Empfehlungen. Alles ist absolut freiwillig", sagt Michael Schulze, Direktor für Schiffsreisen beim Kreuzfahrtveranstalter Phoenix Reisen. Die Kunden hätten sich darüber noch nie beschwert. Schulze distanziert sich von festgelegten Servicepauschalen bei Kreuzfahrtreisen. Damit ist er allerdings eher die Ausnahme.

Die meisten Kreuzfahrt-Reedereien verlangen ein Service-Entgelt, sie listen es sogar - sortiert nach Reisezielen - in eigenen Tabellen in ihren Katalogen auf: beispielsweise sieben Euro pro Nacht im Mittelmeer oder zwölf Dollar in der Karibik.

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Service-Entgelt oder Trinkgeld -gibt es eine Grauzone der Begriffe, die sich Veranstalter mehr oder weniger geschickt zunutze machen? Wer detaillierte Vorgaben zur Höhe dieser Sonderkosten in seine Reiseinformationen schreibt, wer auch am Urlaubsort noch einmal dringend auf deren Zahlung drängt, setzt der nicht fest auf ihre Einnahme, selbst wenn er sie "freiwillig" nennt?

Viele Urlauber sehen das so. Es nervt sie, wenn am Ferienende Briefchen die Runde machen, in die wie bei der Kirchenkollekte Bares gesteckt werden soll. Und doch, wer will sich schon als Geizhals fühlen, ein schlechtes Gewissen haben, weil er der rumänischen Reinigungskraft oder dem peruanischen Lamatreiber einen kleinen Bonus verwehrt? Also zahlt er.

Teils gehen Reiseveranstalter sogar so weit zu schreiben, die individuelle Belohnung von Leistungen durch Trinkgeld sei unerwünscht. Schließlich solle das Geld gerecht unter allen Mitarbeitern verteilt werden. Auch diejenigen, die im Hintergrund bleiben, sollen etwas abbekommen. Doch gerade die Vorgabe der Höhe und die kontrollierte Einnahme der Trinkgelder wecken unter Verbraucherschützern den Verdacht: Veranstalter machen ihre Reisen preisgünstiger, als sie bei fairer Kalkulation wären. Ein wichtiger Kostenfaktor, die Gehälter der Mitarbeiter am Urlaubsort, könne besonders niedrig gehalten werden, da der Urlauber sie mit seinen Trinkgeldern subventioniere.

Meist sind die Mitarbeiter im Ferienort nicht beim deutschen Veranstalter, sondern bei lokalen Partneragenturen beschäftigt. So würden Urlauber über Umwege für Lohndumping im Reiseland instrumentalisiert. Zwischen 50 und 100 Prozent Lohnzuschlag durch Service-Entgelte können ohne weiteres zusammenkommen. Ohne sie reicht es mancherorts offensichtlich einfach nicht.

Trinkgelder seien, so liest man zum Thema auf der Website der Tui-Reisecenter, in großen Teilen der Welt "ein wesentlicher Bestandteil des Einkommens" der Mitarbeiter. Löhnt der Reisende bei genauer Betrachtung also zweimal für dieselbe Leistung? Dagegen verwahren sich die Veranstalter.

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Tui-Sprecherin Susanne Stünckel hält die Trinkgeld-Formulierung der Reisecenter für unglücklich, man werde sie ändern. Sie versichert, dass es "keine Verpflichtung zur Zahlung von Trinkgeldern gibt". Stünckel zieht außerdem eine Trennlinie zwischen eigenen Angestellten, für die keine Trinkgelder vorgesehen seien, und lokalen Dienstleistern am Urlaubsort, für die man zwar Empfehlungen abgebe, aber eigentlich nicht zuständig sei. Welcher Gast sich derart arbeitsrechtliche Überlegungen im Urlaub macht, bleibt offen.

"Wir zahlen für sehr gute Mitarbeiter vor Ort auch überdurchschnittliche Löhne. Trinkgelder sollen vor allem deren Motivation stärken", sagt Felix Willeke, Marketing-Leiter von Lernidee Erlebnisreisen. Zur Problematik der verpflichtenden Trinkgelder sagt er: "Nur wenn die Veranstalter da geschlossen handeln, können wir das Thema für die Zukunft lösen."

Verbraucherschützerin Halm glaubt, dass das Problem und seine Konsequenzen bisher erst ansatzweise erkannt wurden. "Wir haben dazu kaum Klagen von Verbrauchern", sagt die Juristin, "die nehmen das offenbar hin, wenn auch murrend." Der VZBV möchte das Thema nun in seine Stellungnahme zu den Pauschalreiserichtlinien aufnehmen, die zurzeit im Europäischen Parlament erarbeitet werden.

Verbraucherschützer empfehlen, schon bei der Reisebuchung darauf zu achten, dass Trinkgelder im Leistungsumfang inbegriffen sind, um sich vor Sonderkosten zu schützen. Denn eines ist absehbar: Sollten Trinkgeld-Vorschriften Schule machen, gäbe es bald US-amerikanische Verhältnisse. In den Staaten verdienen Servicekräfte nur Hungerlöhne. Gibt der Gast wenig, sei es im Taxi, Hotel oder Restaurant, wird er vom Servicepersonal, das eben noch nett war, umgehend wie ein Aussätziger behandelt - oder gar beschimpft.

© SZ vom 17.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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