Süddeutsche Zeitung

Trendsport Skitour:Spaß ohne Risiko

Neben der Piste hochlaufen und bei der Abfahrt den Tiefschnee vermeiden: Skitouren werden immer beliebter - und bieten gerade kleinen Wintersportgebieten neue Chancen.

Von Hans Gasser

Es ist eine lustige Schlacht. Wer an einem schönen Samstagmorgen im Winter auf dem großen Parkplatz unterhalb des Hirschbergs im Tegernseertal noch eine Parklücke ergattert hat, wird Zeuge einer materialintensiven Choreografie: Ein Ritschen und Ratschen der bunten Klebefelle, ein Klicken der neuesten Carbon-Skistiefel, begleitet vom Piepsen der Verschütteten-Suchgeräte, die von vielen Dutzend Tourengehern gleichzeitig eingeschaltet werden. Manche schultern noch einen Rucksack mit Lawinen-Airbag.

Dann kann es auch schon losgehen, gleich neben dem Babylift. Die Spur führt im Wald erst mal durchs kleine Skigebiet, um weiter oben dann ins freie Gelände zu münden, nie besonders steil und kaum lawinengefährlich, bis nach 900 Höhenmetern der Gipfel erreicht ist. Bei der Abfahrt tun sich manche schwerer als beim Aufstieg und sind froh, wenn sie die präparierten Pisten im unteren Teil erreicht haben.

Auf den Hirschberg führt eine der beliebtesten Skitouren in den deutschen Alpen. Hier können auch Anfänger ohne große Schwierigkeiten ihr erstes Gipfelerlebnis auf Tourenskiern haben, gut beschildert vom Deutschen Alpenverein (DAV).

Und es gibt viele Anfänger. Während die Zahl der Alpinskifahrer seit Jahren stagniert, ist die Zahl der Skitourengeher stark gewachsen. So gaben 2017 in der neuesten Mitgliederbefragung des DAV 25 Prozent der Befragten an, Skitouren im ungesicherten Gelände zu machen, und zusätzlich 19 Prozent gehen Skitouren auf Pisten. Da es eine Überschneidung zwischen beiden Gruppen gibt, rechnet Thomas Bucher, Sprecher des DAV, mit mindestens 30 Prozent Tourengehern unter den Mitgliedern, das wären 355 000. Nehme man jene hinzu, die nicht im DAV organisiert sind, komme man, konservativ geschätzt, auf 500 000 Skitourengeher in Deutschland. "Das sind etwa drei Mal so viele wie im Jahr 2000", sagt Bucher, der Sport erfreue sich weiterhin großen Zulaufs.

Besonders das Aufsteigen entlang oder neben den Pisten erlebt einen Boom: "Das ist sehr ähnlich wie beim Klettern. Viele gehen lieber in die Halle und wollen nicht unbedingt auf einen hohen Berg", so Bucher. Der Fitnessaspekt spielt bei den Pistentourengehern eine große Rolle. Sie wollen sich in der Natur bewegen, gerne auch abends nach Feierabend, aber kein Risiko eingehen und auch keine Abfahrt durch Tiefschnee wagen, dem sie nicht gewachsen sind. Auf dieses Bedürfnis stellen sich immer mehr Skigebiete und Hüttenwirte ein. 62 Skigebiets-Hütten im deutschen und österreichischen Alpenraum sind allein auf der Website pistentour.com versammelt. Sie öffnen an einem oder mehreren Abenden der Woche für Tourengeher. An diesen Abenden fahren die Pistengeräte erst später, damit die Tourengeher nicht in Gefahr geraten oder die frisch gemachten Pisten zerfahren. "Das Pistengehen nimmt enorm zu", sagt der Betreiber der Website, Martin Osterried. Vor zwölf Jahren hat er damit angefangen. "Da saßen wir zu sechst in der Hütte. Heute sind die Hütten immer voll, manche füllen sich drei Mal pro Abend neu." Erst Schwitzen, dann Weißbier und Schnitzel.

Dabei ist auffällig, dass vor allem kleine und eher tief gelegene Skigebiete vom Skitourentrend profitieren können, wenn sie es richtig anstellen. So gibt es etwa an der Kolbensattelhütte in Oberammergau pro Woche drei Tourenabende, die immer gut besucht sind. Dort hat man schon vor Jahren eine eigene Aufstiegsspur neben der Piste eingerichtet, um auch tagsüber Konflikte und Zusammenstöße zwischen abfahrenden Alpinskifahrern und Tourengehern zu vermeiden. Bei zu wenig Naturschnee wird die Spur sogar mit der Kanone beschneit. Und dort, wo Lifte abgebaut oder stillgelegt werden, gibt es oft einen regelrechten Ansturm der Tourengeher. So hat etwa der Wirt der Sattelberghütte am Brenner als einer der ersten den Trend erkannt: Nach Stilllegung des Liftes hat er ein gebrauchtes Pistengerät aus der Konkursmasse gekauft, mit dem er nun die Piste zu seiner Hütte und darüber hinaus präpariert - für die Tourengeher. Die danken es ihm mit zahlreichem Erscheinen. Seine Hütte hat er immer mehr zu einer Art Berghotel mit Saunalandschaft ausgebaut. Ähnlich viel los ist auch auf der Rauthhütte in Leutasch, und am Grünten im Allgäu geht es gerade hoch her. Seit diesem Winter stehen dort die Lifte wegen Insolvenz still, aber die Tourengeher kommen so zahlreich, dass der Wirt der Grüntenhütte nicht genug Personal findet, um an mehreren Abenden pro Woche aufzusperren.

Der Wirt der Grüntenhütte kann gar nicht genug Personal für die neuen Gäste finden

Die Hersteller von Skitourenmaterial freuen sich über den Trend und befeuern ihn mit immer leichterer - und teurerer - Ausrüstung. Für gute Skier mit Steigbindung und Fellen werden schnell fast 1000 Euro fällig, Tourenstiefel kosten oft zwischen 300 und 500 Euro. Dazu kommt ein Verschütteten-Suchgerät (LVS), oft noch ein Rucksack mit Airbag, was zusammen ebenfalls 1000 Euro kostet. "Es ist der einzige Markt im Skibereich, der noch wächst", sagt Herbert Buchsteiner, Bereichsleiter für Skier und Bindungen bei Atomic. In den vergangenen fünf Jahren habe sich der Absatz von Tourenskiern jährlich um 20 Prozent erhöht. Gleichzeitig ging der Alpinski-Markt global zurück, was laut Buchsteiner auch daran liegt, dass viele Pistenfahrer ihre Skier lieber leihen als kaufen. Etwa 200 000 Tourensets würden global pro Jahr verkauft, das sei der gesamte Markt.

Besonders gefragt ist laut dem auf Tourenausrüstung spezialisierten Hersteller Dynafit sehr leichtes Material, gerade auch für das Pistentourengehen, das man "zu einer Sportart für die ganze Familie" machen will. Am Pitztaler Gletscher hat der Hersteller vergangenen Herbst sogar einen "Skitourenpark" konzipiert, mit drei Aufstiegsrouten in verschiedenen Schwierigkeitsstufen im gesicherten Skiraum. Die Bergbahnen bieten dazu ein ermäßigtes Tourengeher-Ticket an. Auch bei Dynafit verzeichnet man seit mehr als zehn Jahren zweistellige Wachstumsraten beim Absatz von Tourenausrüstung, etwas abgebremst durch die vergangenen drei schneearmen Winter. 1,2 Millionen aktive Skitourengeher gibt es laut Marktanalysen des Herstellers in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien.

Trotz des Wachstums der Sportart hat sich die Zahl der Unfälle nicht vergrößert. Laut DAV ist die Zahl der Todesopfer und Verletzten unter den Mitgliedern sogar rückläufig. Zwischen 2013 und 2016 waren es im Schnitt jährlich sechs Tote und an die 100 Verletzte. Zum Vergleich: Beim E-Bike-Fahren kamen im vergangenen Jahr 55 Menschen ums Leben.

Auf der Piste, in der Loipe

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SZ vom 01.02.2018/ihe
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