Süddeutsche Zeitung

Tragödie am Mount Everest:"Manchmal ist der Berg einfach stärker"

Planungsfehler, übertriebener Ehrgeiz, Selbstüberschätzung: Im Mai 1996 kamen acht Expeditionsmitglieder am höchsten Berg der Welt ums Leben. Bergsteiger Ekke Gundelach war mit Rob Hall, einem der Opfer, zuvor bereits auf dem Gipfel. Er erinnert sich. Ein Interview.

Birgit Lutz-Temsch

SZ: Was hat Sie auf den Mount Everest gezogen?

Gundelach: Meine Motivation war einfach, auf den höchsten Berg der Erde zu steigen. Ich wollte ursprünglich von der chinesichen Seite hinauf und dann mit den Skiern abfahren. Dass ich dann 1994 mit Rob Hall aufstieg, war eher Zufall: Ich war 1993 in der Antarktis, um den höchsten und dritthöchsten Berg der Antarktis zu besteigen, und habe ihn dort kennengelernt. Er erzählte, dass er kommerzielle Touren macht - da habe ich aber gleich abgewunken.

SZ: Warum?

Gundelach: Das kam für mich nicht in Frage, das waren astronomische Preise, 65000 Dollar. Er hat dann aber mitbekommen, dass ich Bergführer und in der UIAGM, der Internationalen Vereinigung der Bergführerverbände bin. Da bot er mir an, wenn ich ihm einen Kunden bringe, kann ich umsonst mit. Das ist mir gelungen.

SZ: Wie ist Ihre Expedition verlaufen?

Gundelach: 1994 waren sehr günstige Wetterbedingungen. Hall hat jeden bearbeitet, mit Sauerstoffflaschen zu gehen. Ich war eher von europäischen Maßstäben geleitet - seit Messners sauerstoffflaschenloser Everest-Besteigung 1978 wollte ich auch ohne nach zum Gipfel.

Es ist ja wie Doping, man bringt einfach mehr Leistung mit Sauerstoff. Ab dem Südsattel nahm ich dann aber auch Sauerstoff, weil ihm das nicht gepasst hat. Er hat richtig argumentiert, man bekommt ohne leichter Erfrierungen, es hatte 40 Grad unter Null um ein Uhr nachts. Und acht Stunden später waren wir auf dem Gipfel. Auch Rob Hall ist immer mit Sauerstoff gegangen. Mir ist das auch auf niedrigeren Achttausendern aufgefallen, wo das eigentlich gar nicht so üblich ist.

SZ: Wie war Rob Hall als Expeditionsleiter?

Gundelach: Hall hatte einen ganz hervorragenden Ruf. Das war ein Spitzenmann, was Leistung und Erfahrung angeht. Ein feiner Kerl, auch zwischenmenschlich. Er strahlte eine natürliche Autorität aus, trat gern mit Understatement auf. Wenn ich, als ich ihn in der Antarktis kennenlernte, nicht gewusst hätte, wer das ist, hätte ich gedacht, das ist halt so ein neuseeländischer Holzfäller, der ein paar Späße auf Lager hat. Am Everest hatte er ein sehr gutes Verhältnis zu den Sherpas - die sind auch alle hochgekommen - und zu den Kunden.

SZ: Was ging in Ihnen vor, als Sie dann von der Tragödie hörten?

Gundelach: Ich war äußerst betroffen. Dass er umgekommen ist, ist besonders tragisch gewesen.

SZ: Warum ist dann gerade er gestorben?

Gundelach: Aus den Spekulationen habe ich mich immer rausgehalten. Aber es gab schon Vorzeichen: Bei unserer Expedition 1994 war zum Beispiel ein Norweger dabei, Arling Kagge, bergsteigerisch ein völlig unbeschriebenes Blatt - der hat im Khumbu-Eisbruch noch Klettern geübt! Der ist dann beim Runtergehen gestolpert, ins Seil gestürzt, es gab Schwierigkeiten, aber er hat's überlebt.

Später dann, 1995, als ich in Neuseeland mit meiner Frau den Mount Cook bestiegen habe, hat mich Rob Hall zum Flughafen gebracht. Ich erinnere mich noch genau, kurz vor dem Security Check habe ich ihn gefragt, ob er künftig wieder so unerfahrene Leute mitnimmt wie den Kagge. Da hat er nichts gesagt, nur ganz nachdenklich geschaut. Und das war genau der Grund, warum er gestorben ist. Da sind Leute dabei gewesen - die hätte ich nie mitgenommen. Das ist halt so, wenn's ums Geld geht. Die Amerikaner, die glauben tatsächlich, dass man mit Geld alles kaufen kann. Und das geht eben nicht. Es gibt Situationen, da ist der Berg stärker.

SZ: War auch der Ehrgeiz zu groß, die zahlenden Kunden nach oben zu bringen?

Gundelach: Gleichzeitig war ja Scott Fisher mit Mountain Madness am Berg. Den kannte ich auch, das war ein ganz wilder Hund, hat ausgeschaut wie ein Filmschauspieler mit scharf geschnittenem, braun gebranntem Gesicht, ein ganz sympathischer Mann.

Beim Tee hat er mich einmal gefragt, ob ich's auch schon mal mit Marihuana probiert hätte - der war überzeugt, dass das die Akklimatisierung fördert. So einen psychologischen HIntergrund haben die, das können wir uns gar nicht vorstellen, das ist ganz anders als in Europa.

Vielleicht hat diese Konkurrenzsituation mit dazu geführt, dass man nicht so auf die Sicherheit schaut. Vielleicht hat er sich auch zu sehr auf den Sauerstoff verlassen - und wenn dann die Flaschen leer sind, dann gibt's nichts mehr. Vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen dem Briefträger gegenüber, der sich das mühsam zusammengespart hatte, und ein Jahr vorher schon umkehren musste. Vielleicht wollte Hall unbedingt, dass es diesmal klappt und hat deshalb die Umkehrzeit nicht beachtet, sie waren ja erst um 16 Uhr oben.

Er hätte die Leute besser aussuchen müssen. Denn in 8000 Metern spielt auch die Tagesform eine Rolle und so viele Dinge die man vorher nicht abchecken kann und nicht vorhersehen. Es ist nach wie vor eines der ganz großen Abenteuer auf unserer Erde, weil der Ausgang einfach ungewiss ist.

SZ: Was sind die Voraussetzungen für so eine Expedition?

Gundelach: Unabdingbar ist eine hervorragende Grundlagenausdauer und Höhenanpassungsfähigkeit. Beim Abstieg hatten wir keinen Sauestoff mehr, und ich musste meinen Seilpartner mehrmals anbrüllen, in die richtige Richtung abzuseilen - man wird so müde in dieser Höhe. Aber wenn man in 8700 Metern Höhe im steilen Gelände abseilt, muss man sich konzentrieren, darf nichts falsch machen, sonst ist man weg. Hier braucht man die Erfahrung, die man nur durch jahrzehntelanges Training erwirbt, bei dem der Körper die Abläufe verinnerlicht. Dann bewegt man sich auch bei totaler Müdigkeit automatisch richtig.

SZ: Wie blicken Sie heute auf Ihre Leistung zurück?

Gundelach: Ich hab viel schwierigere Berge bestiegen. Aber er ist halt enorm hoch und es ist ewig weit zu laufen - da darf es nichts geben, sonst gehören sie dem Berg. Das ist mit dem Dezimalsystem nicht zu erklären, was ein Unterschied von 500 Höhenmetern in dieser Höhe ausmacht.

Ich bin dankbar, dass es so gut ging, dass das Wetter gut war. Aber es war keine besondere Leistung, noch dazu mit Sauerstoffflasche, ich bin da objektiv mir selber gegenüber. Wenn ich um einen Berg lang kämpfen muss, zurückgeschlagen werde, das Wetter zu schlecht war oder ich nicht gut genug, dann bedeutet mir das viel mehr. Den Nanga Parbat zum Beispiel, den hab ich mehrmals probiert, oder den Mount McKinley.

SZ: Wäre dieses Unglück vorher passiert, hätten Sie es trotzdem gemacht?

Gundelach: Vielleicht wäre ich, wenn das vorher passiert wäre, nicht mit einer kommerziellen Gruppe gegangen. Weil man sich die Leute nicht aussuchen kann. Die spielten in meinem Fall keine Rolle, weil der zweite Deutsche und ich zwar unbedingt Halls Logistik und Infrastruktur gebraucht haben, aber wir sind eigentlich alleine hoch und auch wieder runter.

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Quelle:
SZ vom 11.05.2006
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