Süddeutsche Zeitung

Touristik:Weniger ist Meer

Lesezeit: 3 min

Vor allem kleine Reiseveranstalter haben erkannt, wie man auf Reisen Plastik vermeiden kann.

Von Ingrid Brunner

Die Menge an Kunststoffen, die die Menschheit produziert hat, reicht aus, um den gesamten Erdball sechs Mal in Plastikfolie einzupacken. Das ist eine der Kernaussagen im Dokumentarfilm "Plastic Planet" des österreichischen Filmemachers Werner Boote aus dem Jahr 2009. Sicher, der Vergleich ist längst überholt. Doch er ist eindringlich genug. Der Film erreichte nur ein Nischenpublikum. Nun aber ist das Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen - und auch in der Reisebranche. Einige Reiseveranstalter, darunter große Anbieter wie die Tui-Gruppe, Gebeco, FTI oder DER Touristik, engagieren sich zum Beispiel in der Nachhaltigkeitsinitiative Futouris und gehen dort gemeinsam Zukunftsthemen an. Zuletzt war dies "Nachhaltige Ernährung", als nächstes steht bei Futouris die "Müllfreie Destination" auf der Agenda.

Ökologisch ausgerichtete Reiseveranstalter gibt es natürlich schon länger, mittlerweile aber beginnt die gesamte Branche umzudenken. So bietet der Wanderreisespezialist Wikinger 2019 eine plastikfreie Reise auf den Darß an. Auf den Malediven erzeugen die Robinson Clubs ihr Trinkwasser aus Meerwasserentsalzungsanlagen, füllen es in Glasflaschen und sparen auf diese Weise nach eigenen Angaben bis zu 800 000 Plastikflaschen pro Jahr. Wer einmal die infernalischen Bilder von der Insel Thilafushi gesehen hat, wo der Müll der Malediven verbrannt wird, kann nicht umhin, dies als Fortschritt zu sehen.

Viele Touristen trauen dem Wasser aus Auffüllstationen nicht - zu Unrecht

"Die intakte Natur ist der Ast, auf dem wir sitzen. Wir sollten ihn nicht absägen", sagt Eva Machill-Linnenberg, Sprecherin von Wikinger Reisen. Also zurück zu Jute statt Plastik? Eher geht es um Upcycling, etwa in Form von Einkaufstaschen aus PET-Flaschen. Die spendiert Wikinger seinen Thailand-Urlaubern, hergestellt von der lokalen Müllsammelinitiative "Trash Heroes". Für ein Einkaufen ohne Plastiktüten. Viel zu viele Plastiktüten sind das eine, Millionen Einwegflaschen sind ein weiteres Problem. Nachfüllbare Trinkflaschen auszugeben sei nur ein Anfang, sagt Machill-Linnenberg, denn die recycelbare Flasche ist nur dann hilfreich, wenn die Reisenden Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Und da hakt es. Deshalb hat Wikinger auf seinen Südafrika-Reisen nun alle Jeeps mit Wasserspendern ausgerüstet. Macht 200 000 Plastikflaschen im Jahr weniger, so der Veranstalter.

Die Resonanz bei den Kunden sei positiv. Doch es gebe auch Skepsis: Ob das Wasser auch keimfrei sei? Wo man doch in Reiseführern ständig ermahnt werde, Wasser nur aus versiegelten Flaschen zu trinken. Genau das tun immer noch die meisten Urlauber weltweit. In der Region Machu Picchu etwa stammen 70 Prozent des Mülls von Touristen, sagt Yvonne Küpper. Sie arbeitet bei Fairaway, einem Veranstalter von nachhaltigen Reisen mit Sitz in Krefeld. Fairaway hat sich zum Ziel gesetzt, im Jahr 2020 in allen 28 Ländern, die man im Angebot hat, ohne Einwegplastik unterwegs zu sein. Ein Stein in diesem Puzzle ist das Marokko-Projekt. Dort will Fairaway in den Partnerhotels Wasserzapfstellen aufstellen. Wenn jeder Gast pro Tag vier Flaschen Wasser verbrauche, seien das in zwei Wochen 56 Flaschen, die mangels Müllabfuhr auf wilden Deponien landen.

Eine funktionierende Abfallwirtschaft aufzubauen sei ein zäher, langwieriger Prozess, sagt Küpper. Einzelaktionen von Hoteliers bringen ihr zufolge in schwach entwickelten Ländern wenig. Besser sei da schon die konzertierte Aktion einer Gruppe von Hoteliers und Reiseagenturen in Jordanien: Sie haben gemeinsam eine Petition an die Behörden verfasst, in der sie Müllrecycling fordern.

Ausgerechnet in Indonesien, wo das Problem besonders groß ist, ist man beim Thema Einwegflaschen recht weit. Auf Bali kann man sich auf der Webseite refillbali.com Abfüllstationen anzeigen lassen. Als Reaktion auf die Vermüllung der Insel hat sich von dort aus die gemeinnützige Social-Media-Kampagne "Refill My Bottle" entwickelt. Wer mitmachen will, kann sich mit einer Abfüllstation eintragen: etwa in Geschäften, Cafés, Galerien. Auf einer Online-Landkarte können Nutzer die Trinkwasserspender finden. Die Karte zeigt mittlerweile 750 Abfüllstationen in neun Ländern.

Auch die Luxushotellerie hat die Zeichen der Zeit erkannt. Die Hilton-Gruppe verabschiedet sich von Plastikhalmen und -flaschen - zumindest in Europa, dem Nahen Osten und Afrika. Sämtliches Einwegplastik hat die Oetker-Hotelgruppe aus ihren Häusern verbannt. Was einzeln verpackt werden muss, etwa Wattestäbchen, hat nun eine Papierhülle. Die Gäste reagieren positiv, erklärt die Abteilung Corporate Social Responsibility der Oetker Collection. Die Mitarbeiter unterstützten die Veränderung mit weiteren Vorschlägen.

Auch die Kreuzfahrtbranche hat erkannt, dass die Ozeane ihre Geschäftsgrundlage sind - und es eine gute Idee ist, sie zu schützen. Der Reedereiverband Clia erklärt, Recycling und Müllmanagement ihrer Mitglieder werde überwacht durch Umweltingenieure an Bord und übertreffe mittlerweile die Recyclingrate pro Person an Land. Mit dem Verzicht auf den viel zitierten Strohhalm ist es aber längst nicht getan. Einige sind da schon weiter. Die Hurtigruten haben seit diesem Juli Einwegplastik von all ihren Schiffen verbannt. Auch Tui Cruises ersetzt sukzessive Plastik in Kabinen, Restaurants, an den Bars und in der gesamten Lieferkette. Aida Cruises verzichtet auf Mikroplastik in Kosmetikprodukten. Wer das für Kleinkram hält, irrt. Diese Rückstände landen noch schneller und direkter in der Nahrungskette als große Plastikteile. Letztere sind erst ein ästhetisches Problem, um irgendwann zu Mikroplastik zerrieben zu werden.

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SZ vom 20.09.2018
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